Übrigens

Public Viewing, oder was?

Ein Fahnenmeer und eine Riesenleinwand oder doch lieber eine gemütliche Runde im heimischen Wohnzimmer? Volker Rekittke und Lorenzo Zimmer haben da unterschiedliche Meinungen.

28.05.2018

Von vor/loz

Bald bevölkern in Nationalfarben gehüllte Fußball-Fans wieder die Public-Viewing-Lokale. Bild Uli Rippmann

Bald bevölkern in Nationalfarben gehüllte Fußball-Fans wieder die Public-Viewing-Lokale. Bild Uli Rippmann

Pro: WM-Achtelfinale 2010: Deutschland kickt gegen England, in der 38. Minute wird’s eng: Frank Lampard macht den Ausgleich zum 2:2 – der Ball springt nach einem Lattenschuss hinter die Torlinie. Doch die Schiedsrichter entscheiden anders. Wie Wembley 1966 – nur diesmal zugunsten der deutschen Elf. Kollektives Aufatmen im evangelischen Gemeindehaus Mähringen, wo auch diesen Sommer wieder alle Deutschland-Spiele übertragen werden. Am Ende gewinnt 2010 das DFB-Team 4:1 – und ich realisiere, dass Jogis Jungs im Viertelfinale gegen Argentinien stehen. Am Tag unserer Hochzeitsfeier. Au weia.

Doch sechs Tage später im Kusterdinger Klosterhof ist das Timing fast perfekt: Die Trauzeremonie findet während der ersten Halbzeit statt. Dann strömt der größere Teil der Gästeschar vor die Leinwand. In der zweiten Halbzeit fallen drei von vier Toren. Mi-ros-lav Klo-se! (68. und 89. Minute) und Arne Friedrich (74.) sei Dank. In WM- und EM-Zeiten kann Public Viewing so schön sein. Selbst für jemanden wie mich, der sich sonst nicht so richtig für Fußball interessiert.

Hauptsache, jedes Spiel findet an einem anderen Ort statt, mit anderem Publikum. Auch bei der WM 2018 werde ich wieder zum Location-Hopper. Fest gesetzt sind: Der nette Nachbar in Immenhausen, der im Gegensatz zu mir viel von Fußball und sogar politisch-historischen Hintergründen versteht. Dann die Garage in Wannweil, wo der Kumpel eines Kumpels schon seit Jahren zu Bier, Grillwürstchen und Fussball-Fachsimpeln lädt. Wahrscheinlich werde ich auch beim Griechen auf WHO vorbeischauen. Spätestens beim Sommerfest der nahen Waldorfschule werde ich dort wieder andere Papas (und Mamas) bei Bier oder harzigem Kechribari vor der Leinwand des Faros-Wirts treffen. Gespannt bin ich auf einen für mich völlig neuen Kick bei Bekannten in Unterjesingen. Dem Hörensagen nach wird dort selbst Angesetzter gereicht.

Im Rudel Kicken gucken – wie geil ist das denn! Auch ganz ohne schwarz-rot-goldene Kriegsbemalung.

Von Volker Rekittke

Contra: „So ähnlich musses in einer Messi-Wohnung riechen“, denke ich und drehe mich angewidert weg. Ich hätte mich genauso gut direkt im Magen meines Gegenübers befinden können – ich hätte das ganze Bier, die soeben verzehrte rote Wurst und den abstoßenden Duft eines ungeleerten Aschenbechers auch nicht unmittelbarer abbekommen. Der Herr trägt ein Deutschland-Trikot, will mir um den Hals fallen. „Tooooor, Alter!!!“, bellt er und wartet auf ein Anzeichen der Sympathie in meiner Mimik. „Juhu, Tor“, höre ich mich knapp und etwas griesgrämig sagen, ehe ich mich wieder zur Leinwand drehe. Der Ball rollt schon wieder übers Feld und ich frage mich, wie Deutschlands Gegner taktisch mit dem Rückstand umgehen wird.

Seit sich solche olfaktorischen Angriffe bei der letzten Europameisterschaft gehäuft haben und es sich zudem immer wieder als ein Ding der Unmöglichkeit herausgestellt hat, ein Fußballspiel auf einer Public-Viewing-Veranstaltung in Ruhe zu verfolgen, meide ich diese. Wer Lust hat, sich das Gesicht mit schwarz-rot-goldenen Schmink-Balken zu beschmieren, auf Dixi-Toiletten in ein Meer aus Fremdurin zu pinkeln (wenn ich nur an das Plätschern denke!) und sich dabei noch die Beine in den Bauch zu stehen, der kann das gerne tun.

Ich schaue Fußball lieber zu Hause. Diejenigen Freunde, die wie ich das Spiel sehen wollen und es genießen, für ihr Bier, ihre Grillwurst oder ihr Brötchen nur den handelsüblichen Supermarkt-Preis zu bezahlen, werden auch bei dieser WM in meinem Wohnzimmer wieder herzlich willkommen sein.

Letztens habe ich irgendeinen bayerischen Politiker im Fernsehen sagen hören, wie sehr er sich freue, dass Weltmeisterschaften endlich wieder die deutschen Nationalfarben salonfähig gemacht haben. Treffender hätte er es nicht sagen können: Public-Viewings sind für die, für die das Kollektiv zählt. Die mal wieder eine Fahne schwenken und Wildfremden in den Armen liegen wollen. Die ihren Jubel zur Schau stellen. Mir geht es bei der Fußball-WM um etwas anderes. Um Fußball.

Von Lorenzo Zimmer