Kriminalstatistik

Polizeipräsidium Reutlingen: 2021 so wenige Straftaten wie zuletzt vor 17 Jahren

Laut der Statistik des Reutlinger Polizeipräsidiums gab es 2021 erneut weniger Straftaten. Die Zahl der Wohnungseinbrüche sank sogar auf den tiefsten Stand seit 1983.

30.03.2022

Von ST

Der Schriftzug des Polizeipräsidiums Reutlingen an der Wand bei einer Pressekonferenz. Bild: Hans-Jörg Schweizer

Der Schriftzug des Polizeipräsidiums Reutlingen an der Wand bei einer Pressekonferenz. Bild: Hans-Jörg Schweizer

Wie das Präsidium am Mittwoch bekannt gab, registrierte die Polizei in den Landkreisen Esslingen, Reutlingen, Tübingen und dem Zollernalbkreis im vergangenen Jahr 43.957 Straftaten, das entspricht im Vorjahresvergleich einem Rückgang um knapp zwölf Prozent (2020: 49.867) und somit der niedrigsten Fallzahl seit über 17 Jahren. Besonders deutlich wurde das bei den Diebstahlsdelikten und bei den Straftaten im öffentlichen Raum. Auch die Fallzahlen der Wohnungseinbruchskriminalität sanken auf den niedrigsten Stand seit 1983.

Die Kriminalitätsbelastung im Bereich des Polizeipräsidiums Reutlingen liegt mit 3.547 Straftaten pro 100.000 Einwohner (2020: 4.021) erneut deutlich unter dem landesweiten Durchschnitt (BW: 4.380). Die Aufklärungsquote konnte im Vergleich zum Vorjahr um 2,9 Punkte auf nunmehr 63,7 Prozent gesteigert werden, so die Polizei.

Tatverdächtige: Auch die Zahl der ermittelten Tatverdächtigen ging zurück auf insgesamt 20.614 (2020: 22.308). Der Rückgang erstreckt sich hierbei auf alle Altersgruppen mit Ausnahme der Kinder. Hier war ein Zuwachs um 13,9 Prozent auf 870 tatverdächtige Kinder zu verzeichnen (2020: 764). Die Zahl der nichtdeutschen Tatverdächtigen betrug im vergangenen Jahr 8.056 (2020: 8.899). Hier hält die seit 2017 rückläufige Tendenz weiter an. Ihr Anteil an der Gesamtzahl der Tatverdächtigen verringerte sich auf 39,1 Prozent (2020: 39,9). Ohne die Verstöße gegen das Aufenthalts-, Asylgesetz oder Freizügigkeitsgesetz EU, die fast ausschließlich nur von Ausländern begangen werden können, ist ein Rückgang der Tatverdächtigenzahlen bei Nichtdeutschen um 8,8 Prozent auf 6.980 (2020: 7.655) festzustellen. Somit sind diese Zahlen im vierten Jahr in Folge rückläufig. Auch die Zahlen der tatverdächtigen Asylbewerber bzw. Flüchtlinge (ohne Verstöße gegen das Aufenthalts-, Asylgesetz bzw. dem Freizügigkeitsgesetz EU) sind rückläufig. Deren Zahl ist im Vergleich zum Vorjahr deutlich um 16,7 Prozent auf insgesamt 1.546 (2020: 1.855) gesunken. Dies entspricht einem Anteil von 7,9 Prozent aller Tatverdächtigen (2020: 8,8).

Pandemie-Effekt: „Der insgesamt deutliche Rückgang der Kriminalitätsbelastung kann sicherlich zum Teil auf die Auswirkungen der Pandemie zurückgeführt werden“, so die Pressestelle. Reise-, Ausgangs- und Kontaktbeschränkungen sowie Schließungen von Geschäften, Gastronomie- und Freizeiteinrichtungen „führten zu veränderten Tatgelegenheitsstrukturen“. So lassen sich unter anderem die Fallzahlenrückgänge in folgenden Bereichen erklären:

- Diebstahl minus 2.068 Fälle auf 10.037 Straftaten (-17,1 %)

- Straftaten im öffentl. Raum minus 2.006 Fälle auf 17.187 Straftaten (-10,5 %)

- Ladendiebstahl minus 581 Fälle auf 2.264 Straftaten (-20,4 %)

- Wohnungseinbruchsdiebstahl minus 133 Fälle auf 323 Straftaten (-29,2 %)

Wohnungseinbrüche: Beim Wohnungseinbruchsdiebstahl (WED) setzte sich der stark rückläufige Trend des Vorjahres fort. Mit insgesamt 323 Wohnungseinbrüchen (2020: 456) war dies die niedrigste Fallzahl präsidiumsweit seit mindestens 1984. In 46,1 Prozent aller Fälle blieb es beim Einbruchsversuch: „Nach einem Einbruch sind die psychischen Folgen oft größer als der materielle Schaden. Auch wenn die Fallzahlen wiederholt zurückgegangen sind, werden wir hier mit unseren repressiven und präventiven Maßnahmen nicht nachlassen. Die Kriminalpolizeiliche Beratungsstelle des Polizeipräsidiums Reutlingen bietet zum Thema Einbruchsschutz kostenlose Beratungen an“, betont Polizeipräsident Udo Vogel.

Häusliche Gewalt: Entgegen allgemeiner Befürchtungen im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie und der landesweiten Entwicklung stiegen, rein statistisch gesehen, die Fälle häuslicher Gewalt im Bereich des PP Reutlingen - mit Ausnahme des Landkreises Reutlingen - nicht an, sondern gingen um 3,8 %, von 977 (2020) auf nunmehr 940 Delikte zurück. Ob es aufgrund der Pandemie im Zuge des Lockdowns zu einem Zuwachs im Bereich des Dunkelfelds kam, kann die Polizei aus den reinen Fallzahlen nicht feststellen. Es müsse in Erwägung gezogen werden, dass die permanente Anwesenheit eines Peinigers in der Wohnung dazu führen kann, dass es vermehrt zu Übergriffen kommt und es dem Opfer auch erschwert wird, Hilfe in Anspruch zu nehmen oder eine Anzeige zu erstatten. „Durch die beim Polizeipräsidium Reutlingen neu eingerichtete Koordinierungsstelle Häusliche Gewalt leisten wir unseren Beitrag im landesweiten Verbund, um die Gefährdung potentieller Opfer besser bewerten zu können und sie somit vor gewalttätigen Partnern zu schützen“, so Vogel weiter. Auch hier existiert ein nicht genau zu quantifizierendes Dunkelfeld.

Betrug: Die Pandemie hinterließ im vergangenen Jahr auch in anderen Deliktsbereichen ihre Spuren. So stiegen die Fallzahlen im Bereich des Subventionsbetrugs von zwei Fällen jeweils in den Jahren 2017 bis 2019, über 26 Fälle im Jahr 2020 auf nunmehr 46 Fälle an. Die damit verbundene Schadenssumme hat sich seit 2017 von 8.094 Euro auf mittlerweile über 980.000 Euro in 2021 erhöht. Hierbei handelte es sich überwiegend um Betrugsfälle im Zusammenhang mit Corona-Subventionen. Auch die Fallzahlen beim Gebrauch unrichtiger Gesundheitszeugnisse sind von zurückliegend 10 Fällen in 2020 auf 172 Fälle im Jahr 2021 drastisch angestiegen.

Internet-Kriminalität Aber auch die sich durch die fortschreitende Vernetzung und Digitalisierung rasant verändernden Tatbegehungsweisen beeinflussen die Entwicklung der Fallzahlen. Zahlreiche Delikte werden heute online, per Computer oder mittels Smartphone begangen - insbesondere im Bereich der Vermögens- und Fälschungsdelikte. Dabei lässt sich der Aufenthaltsort der Täter häufig nicht ermitteln. Diese Fälle werden in einer separaten „PKS-Ausland“ erfasst, obwohl die geschädigten Bürgerinnen und Bürger im Zuständigkeitsbereich des Polizeipräsidiums wohnen. So haben die Organisationseinheiten des Polizeipräsidiums Reutlingen im Jahr 2021 weitere 10.308 Straftaten bearbeitet, die in der PKS-Ausland erfasst wurden. Dabei wurden insgesamt 14.855 Geschädigte und ein Gesamtschaden in Höhe von über 19,3 Mio. Euro registriert. Den Großteil dabei bilden die 8.536 Vermögens- und Fälschungsdelikte, wobei hier wiederum allein die Zahl der Betrugsfälle 8.280 beträgt.

Mord und Totschlag: Nachdem im vergangenen Jahr bei den Straftaten gegen das Leben mit 55 Fällen ein Fünfjahreshoch erreicht wurde, sank die Anzahl der Straftaten auf nunmehr 49 Fälle, was einer Abnahme um 10,9 Prozent entspricht. Von den 49 Tötungsdelikten wurden 36 versucht (Versuchsanteil 73,5 %) und 13 vollendet. Dabei handelte es sich im Einzelnen um zwölf Fälle des Mordes (neun Versuche und drei Vollendungen), 28 Totschlagsdelikte (26 Versuche und zwei Vollendungen), acht Fahrlässige Tötungen und einen Schwangerschaftsabbruch.

Straßenkriminalität: Die Delikte der Straßenkriminalität sind nun im vierten Jahr in Folge rückläufig. Die Zahlen belaufen sich auf insgesamt 6.432 Fälle (2020: 7.089), was einen weiteren Rückgang um 657 Fälle bzw. 9,3 Prozent ausmacht. Bei den Delikten der Straßenkriminalität handelt es sich gewissermaßen um im öffentlichen Raum wahrnehmbare Straftaten wie etwa. Handtaschenraub, Taschendiebstahl, Diebstahl von/aus Kraftfahrzeugen, Fahrraddiebstahl Sachbeschädigungen, die das Sicherheitsempfinden der Bürgerinnen und Bürger maßgeblich mitbeeinflussen.

Sexualstraftaten: Die ebenfalls das Sicherheitsgefühl der Bevölkerung stark beeinträchtigenden Straftaten gegen die sexuelle Selbstbestimmung sind im Vergleichszeitraum um insgesamt 25,5 Prozent bzw. 211 Fälle auf nunmehr 1.037 Fälle angestiegen (2020: 826). Im Wesentlichen ist der Anstieg auf den anhaltend starken Zuwachs bei den Delikten der Kinderpornografie zurückzuführen. Diese Entwicklung lasse sich in allen vier Landkreisen beobachten. Bei den Ermittlungen im Deliktsfeld „Kinderpornografie“ werden bei den Tatverdächtigen regelmäßig große Mengen an Beweismittel sichergestellt, woraus sich oft ein Anfangsverdacht für weitere Ermittlungsverfahren ergibt.

Auch im vergangenen Jahr stand der Bereich der sexualisierten Gewalt im Fokus polizeilicher Präventionsaktivitäten. Insbesondere zum Thema sexualisierte Gewalt gegen Kinder fanden Elternabende sowie Fortbildungen für Erzieherinnen und Erzieher statt. Dabei arbeite die Polizei mit den Jugendämtern, dem Opferhilfeverein WEISSER RING e. V., der Psychosozialen Prozess- und Zeugenbegleitung sowie weiteren Partnern eng zusammen.

Telefonbetrug: Trotz aller Präventionsbemühungen, umfangreicher Öffentlichkeitsarbeit und regelmäßigen Warnmeldungen an die Bevölkerung kam es auch im Jahr 2021 wiederholt zu hohen Schadenssummen im Bereich des Callcenter-/Telefonbetrugs. Bei 83 vollendeten Fällen erbeuteten die Täter insgesamt eine Summe von über 1,6 Millionen Euro. Neben dem rein materiellen Schaden sind die nicht seltenen psychischen und sozialen Belastungen, die mit dieser perfiden Kriminalitätsform einhergehen, nicht zu unterschätzen. Somit bilden die betrügerischen Anrufe auch weiterhin einen Schwerpunkt polizeilicher (Präventions-)Arbeit.

Gewalt gegen Einsatzkräfte: Nach einem leichten Rückgang der Fallzahlen im Jahr 2020 (446 Fälle) wurde im vergangenen Jahr mit 485 Fällen (+ 8,7 %) von Gewalt gegen Polizeibeamte der höchste Wert im Fünfjahreszeitraum erreicht. Somit nehmen die Fallzahlen in diesem Deliktsbereich auch langfristig gesehen ständig zu. 2021 wurden insgesamt 267 (2020: 208) Polizistinnen und Polizisten verletzt, zwei davon schwer. Die häufigsten Verletzungen entstanden durch Schläge (67) und Tritte (64). Mit 77,9 Prozent stand der überwiegende Anteil der Täterinnen und Täter dabei unter Alkohol- oder Drogenbeeinflussung. Die Aufklärungsquote betrug im Jahr 2021 98,6 Prozent (2020: 99,6 Prozent). Polizeipräsident Vogel: „Übergriffe auf unsere Kolleginnen und Kollegen, auf Rettungskräfte, Feuerwehrleute oder Ordnungsdienste der Kommunen sind zutiefst zu verurteilen. Auch künftig bringen wir jeden einzelnen Vorfall zur Anzeige und ziehen hierbei mit den Staatsanwaltschaften an einem Strang. Wer sich für die Belange der Bürgerinnen und Bürger einsetzt, der verdient Respekt und Anerkennung, denn jeder kann irgendwann einmal selbst Hilfe gebrauchen.“

 



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Erstellt:
30.03.2022, 10:31 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 26sec
zuletzt aktualisiert: 30.03.2022, 10:31 Uhr

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