Klimaschutz

Phänomen Generation „Greta“

Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann hält Fridays for Future für eine dauerhafte Bewegung. Die Teilnehmer agierten zwar auf einer sachlichen Ebene, dennoch drohten Konflikte.

24.09.2021

Von IGOR STEINLE

Demonstranten beim zentralen Klimastreik von Fridays for Future in Frankfurt am Main. Foto: Arne Dedert/dpa

Demonstranten beim zentralen Klimastreik von Fridays for Future in Frankfurt am Main. Foto: Arne Dedert/dpa

Zwei Tage vor der Bundestagswahl will die Klimabewegung Fridays for Future wieder weltweit auf die Straße gehen. Der Jugendforscher Klaus Hurrelmann sagt: Seit der Studentenbewegung der 1960er Jahre war keine Gruppierung so aktiv und erfolgreich wie die „Generation Greta“.

Herr Hurrelmann, es ist zuletzt ruhig geworden um Fridays for Future (FFF). Liegt das an Corona oder daran, dass die Parteien Klimapolitik inzwischen ernst nehmen?

Klaus Hurrelmann: Beides. Der Höhepunkt der Bewegung war sicherlich der 20. September 2019, es gab Riesendemonstrationen in ganz Deutschland, in Berlin waren wahrscheinlich eine Viertelmillion Menschen auf den Beinen. Die Bundesregierung verabschiedete in letzter Sekunde ein Klimapaket, das hätte sie ohne die Bewegung nicht geschafft. Schon danach merkte man, dass eine Erschöpfung eingetreten ist. Was sollte nach so einem Erfolg auch noch kommen? Im Frühjahr 2020 ist dann Corona ausgebrochen und hat alle Aktivitäten der Bewegung lahmgelegt.

Droht FFF ein ähnliches Schicksal wie anderen Gruppen, die themenbezogen aufleuchten und dann wieder verglühen?

Ich würde bei FFF auf eine längere Dauer setzen, wenn auch auf niedrigerem Niveau. Klima ist ein Dauerthema, das im Alltag von immer mehr Menschen spürbar wird. Deswegen würde ich sagen, dass FFF das Zeug hat, zu einer Dauerbewegung ähnlich der Anti-Atomkraft-Bewegung zu werden. Man darf nicht unterschätzen, dass fünf Prozent der jungen Menschen dort wirklich intensive Arbeit hineinstecken. Das ist eine sehr große Zahl, nur die Studentenbewegung in den 1960er Jahren war ähnlich breit in der Fläche verteilt und aktiv.

Momentan sind einige junge Menschen vor dem Bundestag im Hungerstreik. Radikalisieren sich die Aktivisten?

FFF hat sich von dieser Aktion abgegrenzt, weil emotionale Erpressung nicht zu ihrem Politik- und Erfolgsrezept gehört. Anstatt in depressiven Druck hineinzugehen, haben sie immer aktiv für ihre Ziele gekämpft. Es gab auch bei ihnen immer Menschen an der Schwelle zur Überängstlichkeit. Das ist in diesem Alter aber nicht unüblich, bis zu zehn Prozent der Jugendlichen zwischen 14 und 20 Jahren neigen zu Angststörungen, Depression und Suizidgedanken.

Schürt die FFF-Begründerin Greta Thunberg solche Ängste nicht, indem sie zu mehr Panik auffordert?

Ihre Worte bedeuten, wir sind in einer Notsituation, ich wünsche mir, dass Ihr dementsprechend handelt. Das ist eine Mahnung, Aktionen zu ergreifen. Natürlich kann das auf Menschen angsteinflößend wirken, aber es ist kein Schüren von Angst, sondern die Warnung vor einer existenziellen Gefahr.

Manche Protestforscher sagen, wenn FFF so brav bleibt, werden sie in Zukunft nicht mehr wahrgenommen.

Das Markenzeichen von FFF ist, dass sie immer auf der sachlichen Ebene bleiben. Bei ihnen gibt es keine Gewalt, keine Gesetzesverstöße, beim Schulschwänzen handelt es sich lediglich um das kalkulierte Verletzen eines Ordnungsrechtes. Ich vermute, dass das so bleiben wird. Ob sie Radikalisierungstendenzen anderer Organisationen widerstehen können, hängt aber auch davon ab, ob sie von der Politik gehört werden und welche Menschen neu hinzukommen.

Sie sprechen in Ihrem Buch von der „Generation Greta“. Kann man die jungen Menschen wirklich alle über diesen Kamm scheren? Es gibt ja durchaus auch Jugendliche, die einen anderen Lebensstil pflegen – und eher materielle Interessen haben.

Es geht um etwa ein Drittel der jungen Generation. Sie fallen auf, weil sie engagiert sind, gut gebildet, es sind viele Frauen unter ihnen. Sie haben gute wirtschaftliche Perspektiven und können es sich deswegen leisten, darüber nachzudenken, wie es weitergehen soll. Das ist eine ganz neue Akzentsetzung, die dieser Generation den Stempel aufdrückt. Aber natürlich gehören dazu nicht alle in der Bewegung. Ein weiteres Drittel orientiert sich in alle Richtungen und ist durchschnittlich interessiert an Politik. Und schließlich gibt es ein Drittel sozial und wirtschaftlich benachteiligter junger Leute aus schwierigen Verhältnissen, überwiegend Männer. Die haben alles andere als Klimaprobleme, für die ist die wirtschaftliche Zukunft entscheidend.

Zugespitzt formuliert wollen also Ärztetöchter, die ohnehin schon oben sind, dem unteren Drittel, das für den sozialen Aufstieg auf Wirtschaftswachstum angewiesen ist, vorschreiben, dass es damit nun vorbei ist. Birgt das Stoff für einen Konflikt?

Das ist der Fall. Dieser Konflikt wird aber kaum direkt ausgetragen und wenn, dann sehr konstruktiv. In heterogen zusammengesetzten Gesamtschulen kann man beobachten, dass die jungen Leute sich der großen Unterschiede bewusst sind, sie hören sich aber zu und akzeptieren einander. Ich sehe keine Spaltung innerhalb der jungen Generation. Auf lange Sicht können diese unterschiedlichen Lebenslagen aber zu einem gesellschaftlichen Konflikt führen.

In den 1960er Jahren begehrte die junge Generation gegen Verbote und Konventionen auf, jetzt setzt sie sich für Verbote und Vorschriften ein. Wie konnte das passieren?

Es ist ein instinktives Verhalten. Damals ging es um Freiheit. Für die Gesellschaft war es notwendig, aus Verklemmungen und nationalsozialistischen Verkantungen auszubrechen. Heute haben wir eine sehr vernunftorientierte junge Generation, die sagt, wir kommen nicht aus dieser Krise heraus, wenn jeder macht, was er will. Sondern im Gegenteil: Wir müssen kollektiv aufpassen, dass alle umweltgefährdenden Aktivitäten eingeschränkt werden, damit der Globus nicht auseinanderfliegt.

Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Foto: Privat

Jugendforscher Klaus Hurrelmann. Foto: Privat