Paradies

Paradies

Im zweiten Weltkrieg berühren sich die Lebenswege einer Widerstandskämpferin, eines Kollaborateurs und eines SS-Offiziers.

04.06.2017

Von Klaus-Peter Eichele

Paradies

Der SS-Offizier Helmut (Christian Clauss) hat eine klare Vorstellung vom Paradies auf Erden. Es ist eine harmonische Gemeinschaft aller Arier auf Kosten der restlichen, in seinen Augen rassisch minderwertigen Menschheit, die versklavt oder vernichtet wird. Dass der Spross eines alten deutschen Adelsgeschlechts die Literatur, speziell die russische, liebt, tut seiner glühenden Hitler-Verehrung keinen Abbruch. Leicht irritiert wird sein Weltbild erst, als er bei der Inspektion eines Vernichtungslagers die dorthin deportierte Exil-Russin Olga (Yuliya Vysotskaya) wiedertrifft, mit der er vor dem Krieg eine Affäre hatte und die er immer noch begehrt.

Die einst vor den Bolschewisten nach Frankreich geflohene Aristokratin hat sich nach dem Einmarsch der Deutschen in Paris der Résistance angeschlossen und zwei jüdische Kinder versteckt. Nach ihrer Verhaftung wird sie von dem französischen Polizisten Jules (Philippe Duquesne) verhört, einem biederen Familienvater, der seinen Dienst unter der Diktatur genauso pflichtschuldig und gelegentlich korrupt verrichtet, wie zuvor in der Demokratie.

Konventionell erzählt, wäre diese Geschichte dreier Europäer in der Zeit des Nationalsozialismus, deren Lebenswege sich an entscheidenden Stellen berühren, wohl ein schwülstiges Melodrama geworden. Diese Blöße gibt sich der russische Regie-Veteran Andrei Konchalovsky („Runaway Train“) jedoch nicht. So lässt er den Überzeugungstäter, den Opportunisten und die Humanistin einen Großteil ihrer Lebensgeschichten frontal in die Kamera sprechen, als säßen sie in einem Verhör oder vor einem imaginären Gericht.

Die gespielten Szenen wiederum sperren sich in ihren formstrengen Arrangements und den kühlen Schwarz-weiß-Bildern gegen jeden Anflug von Rührseligkeit. Mit diesen Kunstgriffen macht der Regisseur deutlich, dass es ihm weniger um individuelle Schicksalverstrickungen geht als um das Exemplarische der drei Lebensläufe. Letzten Endes stellt „Paradies“ die zeitlosen Fragen: Warum wird der Mensch zum Wolf seiner Spezies‘ und wie kann er sich andererseits inmitten der Barbarei seine Menschlichkeit bewahren?

Drei Biografien fügen sich subtil zum Epochenporträt Europas unter der Barbarei des Nationalsozialismus.

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Erstellt:
04.06.2017, 11:11 Uhr
Lesedauer: ca. 1min 58sec
zuletzt aktualisiert: 04.06.2017, 11:11 Uhr

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