Frankfurt/Tübingen

Palmer wegen N-Wort und Judenstern-Vergleich in der Kritik

Bei einer Konferenz an der Frankfurter Goethe-Universität am Freitag hat Tübingens OB Boris Palmer nicht nur Studierende gegen sich aufgebracht. Auch Palmers Anwalt Rezzo Schlauch kündigt ihm die Unterstützung.

29.04.2023

Von hz/dpa/swp

Boris Palmer. Archivbild: Ulrich Metz

Boris Palmer. Archivbild: Ulrich Metz

Und wieder ist Tübingens OB Boris Palmer mit einer umstrittenen Äußerungen in den Schlagzeilen. Im Vorfeld der Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten“ an der Frankfurter Goethe-Universität geriet er mit Studierenden aneinander, die ihn mit Rassismusvorwürfen empfangen hatten. Im folgenden Wortgefecht Palmers mit den Studierenden sprach der Tübinger OB mehrfach das „N-Wort“ unabgekürzt aus. Dies gilt heute als rassistische Äußerung, weil Menschen mit dunkler Hautfarbe damit herabgesetzt werden.

Als Palmer „Nazis raus“-Parolen entgegengerufen wurden, stimmte er mit ein, wie in einem Video im Netz zu erkennen ist. Palmer wehrte sich aber dagegen, als „Rassist“ oder „Nazi“ bezeichnet zu werden. „Ihr beurteilt Menschen anhand von einem einzelnen Wort. Das ist nicht anderes als der Judenstern“, sagt Palmer in den Aufnahmen, was ihm weitere Kritik einbrachte. „Tschüss“- und „Verpss-dich“-Rufe begleiteten den schließlich abziehenden Tübinger OB.

Dem SWR gegenüber erklärte Palmer am Samstag, was er mit dem Judensternvergleich gemeint habe: „Es geht mir um die Ausgrenzung. Dass man mich deshalb ächtet, weil ich das N-Wort sage, und deshalb als Nazi bezeichnet werde. Das ist ähnlich wie das Aufkleben eines Judensterns.“

Im Netz kursieren auch Videos, wie Palmer später zu erklären versucht, warum er das N-Wort ungekürzt verwendet - und dies nicht zwangsläufig für rassistisch hält: „Der simple Sprechakt gibt keinerlei Auskunft darüber, ob die Person ein Nazi ist oder nicht.“ Es komme auf den Kontext an. Spreche man eine Person an, sei dies eine justiziable Beleidigung. Diskutiere man aber über Astrid Lindgrens Roman „N-Wort-König“, sei das eine legitime Verwendung.

Palmer erhielt teilweise Zuspruch aber auch Kritik von den Konferenzgästen: Der Moderator verließ den Raum und sagte laut einem FAZ-Bericht „Herr Palmer, mit Ihnen will ich nichts mehr zu tun haben.“ Palmer sagte laut SWR, es sei nicht seine Absicht gewesen, „die Konferenz in Misskredit zu bringen“.

Das Forschungszentrum „Globaler Islam“ hatte die Konferenz organisiert, bei der es auch um die Herausforderungen für Kommunen durch Einwanderung ging. Seinen Vortrag „Memorandum für eine andere Migrationspolitik“ hielt Boris Palmer trotz der Vorfälle. Unter anderen der Psychologe Ahmad Mansour und der stellvertretende Bundesvorsitzende der Deutschen Polizeigewerkschaft Manuel Ostermann waren weitere Gäste.

Nach der Veranstaltung erklärte sich Palmer auch auf Facebook: „Die Theorie, dass schon ein Sprechakt an sich rassistische Strukturen reproduziere, teile ich nicht. Das hoch umstrittene Wort gehört im Übrigen gar nicht zu meinem aktiven Wortschatz. Ich benutze es nur, wenn darüber diskutiert wird, ob man schon ein Rassist ist, wenn man es verwendet. Darüber entscheidet für mich der Kontext.“

Reaktionen aus der Politik

Palmers Anwalt Rezzo Schlauch teilte am Sonntag mit: „Unmittelbar nach Kenntnis über den von Boris Palmer in Frankfurt zu verantwortenden Eklat habe ich ihm meine persönliche und meine politische Loyalität und Unterstützung sowie meine juristische Vertretung aufgekündigt.“ Schlauch, der früher selber für die Grünen politisch aktiv war, erklärte weiter: „Keine noch so harte Provokation, keine noch so niederträchtigen Beschimpfungen und Beleidigungen von linksradikalen Provokateuren rechtfertigten, eine historische Parallele zum Judenstern als Symbol der Judenverfolgung in Nazi-Deutschland herzustellen. Da gibt es nichts mehr zu erklären, zu verteidigen oder zu entschuldigen.“ Schlauch hatte Palmer im Parteiordnungsverfahren juristisch vertreten und auch beim OB-Wahlkampf 2022 in Tübingen unterstützt:

Rezzo Schlauch: Palmer ist Bürgermeister der Hirne
04:11 min
Der ehemlige Grünen-Politiker und Palmer-Anwalt Rezzo Schlauch über den Ausgang der OB-Wahl 2022 in Tübingen: Ein Bürger habe ihm gesagt, Boris Palmer sei vielleicht nicht der Bürgermeister der Herzen, aber der Bürgermeister der Hirne. Video: Hans-Jörg Schweizer
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Der Grünen-Stadtverband Tübingen verurteilte „die wiederholte Verwendung des N-Wortes und den inakzeptablen Vergleich mit dem Judenstern“ durch Palmer: „Wir bedauern, dass erneut durch Aussagen von Boris Palmer viele Menschen verletzt wurden.“

Der Tübinger Bundestagsabgeordnete Chris Kühn (Grüne) bekundete in einer Mitteilung vom späten Samstagabend: „Ich schäme mich als Tübinger wieder einmal für den Oberbürgermeister meiner Heimatstadt. Ich wünsche mir eine starke Reaktion der Stadtgesellschaft. Rassismus und die Relativierung des Holocaust dürfen nicht toleriert werden.“

Die SPD Tübingen kritisierte „entschieden die jüngsten Entgleisungen des Tübinger Oberbürgermeisters“. Der Ortsvereinsvorsitzende Florian Burkhardt erklärte dazu: „Palmers Verhalten offenbart sein rassistisches Weltbild, in dem die Gefühle seiner Mitmenschen ihm einfach egal sind. Ein solcher Mann ist als Oberbürgermeister unserer Stadt schlicht untragbar.“ Seine Ko-Vorsitzende Andrea Le Lan ergänzte: „Dass Boris Palmer nun Kritik an seinen Äußerungen mit der nationalsozialistischen Unterdrückung von Jüdinnen und Juden vergleicht, ist eine Verhöhnung der Opfer des NS-Regimes.“

Mehrere politische Jugendorganisationen aus Tübingen (Grüne Jugend, JEF, Junge Liberale, Junge Union und Jusos ) beziehen in einer gemeinsamen Pressemitteilung Stellung: „Als politische Tübinger Jugendorganisationen verurteilen wir den am 28. April 2023 von Herrn Oberbürgermeister Boris Palmer gemachten Vergleich mit der Verwendung des Judensterns. Aussagen wie diese seien nicht nur beschämend und eines Oberbürgermeisters unwürdig, sondern sie lenkten von wichtigen politischen Themen und gesellschaftlichen Herausforderungen ab. „Herausforderungen, die er als OB lösen könnte und müsste.“ Stattdessen reihe sich diese Äußerung in eine lange Reihe von „pietätlosen und bewusst polarisierenden Äußerungen“ ein. „Als Teil der Tübinger Stadtgemeinschaft distanzieren wir uns vehement von diesen.“ Palmers Aussagen würden „Rassismus Vorschub“ geben. „Kritik daran mit der Shoa zu vergleichen, entbehrt jedem Respekt vor den Opfern des NS. Statt langer Rechtfertigungen fordern wir von OB Palmer eine ehrliche Entschuldigung und für die Zukunft einen konstruktiv-kritischen Diskurs“, bei der nicht Palmers Person im Vordergrund stehen solle, sondern die Lösung politischer Probleme. „Das Ziel muss immer der gesellschaftliche Zusammenhalt sein.“

Zeichnung: Sepp Buchegger

Zeichnung: Sepp Buchegger

Die Bundesgeschäftsführerin der Grünen, Emily Büning, nahm Bezug auf Palmers ruhende Mitgliedschaft bei den Grünen und schrieb bei Twitter, dieser Schritt sei „nicht ohne Grund“ erfolgt. „Der neuerliche Tiefpunkt von Boris Palmer kann trotzdem nicht so stehen bleiben.“ Rassistische Äußerungen und die Relativierung des Leidens von Jüdinnen und Juden im Nationalsozialismus seien aufs Schärfste zu verurteilen.

Hessens Justizminister Roman Poseck (CDU) hielt ein Grußwort bei der Konferenz „Migration steuern, Pluralität gestalten. Herausforderungen der Einwanderungspolitik in Deutschland“, bei der Palmer über seine Ansicht zur nicht mehr gebräuchlichen Verwendung des „N-Wortes“ sprach. „Die Wortwahl und die Beiträge von Boris Palmer an der Universität Frankfurt sind indiskutabel. Derartige Provokationen leisten Spaltung, Ausgrenzung und Rassismus Vorschub. Sie schaden in einer Debatte, die mit Sensibilität und Ernsthaftigkeit zu führen ist“, sagte der CDU-Politiker am Samstag in einer Pressemitteilung.

Auch der Präsident der Goethe-Universität, Enrico Schleiff, zeigte sich empört und forderte eine öffentliche Entschuldigung Palmers. „Jede explizite oder implizite den Holocaust relativierende Aussage ist vollkommen inakzeptabel und wird an und von der Goethe Universität nicht toleriert - dies gilt gleichermaßen für die Verwendung rassistischer Begriffe“, sagte Schleiff in einer Stellungnahme auf der Universitäts-Website.

Die Vorgeschichte

Palmer hatte im Mai 2021 in einem Facebook-Beitrag über den früheren Fußball-Nationalspieler Dennis Aogo, der einen nigerianischen Vater hat, das sogenannte N-Wort benutzt. Dies hatte massive Kritik auch bei seinen damaligen grünen Parteikollegen ausgelöst. Ein Parteiausschlussverfahren endete vor einem Jahr mit dem Kompromiss, dass Palmer seine Mitgliedschaft bei den Grünen bis Ende dieses Jahres ruhen lässt.

Im Oktober 2022 war Palmer in Tübingen dann als unabhängiger Kandidat zur OB-Wahl angetreten und im ersten Wahlgang mit absoluter Mehrheit - unter anderem gegen die Kandidatin Ulrike Baumgärtner der Grünen - für eine dritte Amtszeit wiedergewählt worden.

Palmer ist seit 2007 Oberbürgermeister in Tübingen. Mit pointierten Äußerungen etwa zur Flüchtlingspolitik sorgte er immer wieder für Kontroversen und sah sich Rassismusvorwürfen ausgesetzt. Bundesweite Anerkennung brachte ihm hingegen sein Management während der Corona-Pandemie ein. Baden-Württembergs Ministerpräsident Winfried Kretschmann (Grüne) hatte kurz nach der Wiederwahl Palmers auf eine schnellere Wiederaufnahme Palmers bei den Grünen gedrungen.

Der Judenstern-Vergleich

„Das ist nichts anderes als der Judenstern. Und zwar, weil ich ein Wort benutzt habe, an dem Ihr alles andere festmacht. Wenn man ein falsches Wort sagt, ist man für Euch ein Nazi. Denkt mal drüber nach.“ Boris Palmer bestätigte auf Anfrage der Deutschen Presse-Agentur, dass die Äußerungen gegenüber den Studierenden so gefallen sind. „Ich habe die Methode der Protestierer, mir den Stempel als Nazi und Rassist aufzudrücken, niederzuschreien und auszugrenzen, als Vergleich herangezogen“, erklärte Palmer den Kontext aus seiner Sicht. Er habe den Protestierenden erklärt, dass Nazis die Gräber seiner Vorfahren mit Hakenkreuzen beschmiert hätten und ihnen entgegnet, dass „ihre Methode der Ächtungen und Ausgrenzung sich nicht vom Judenstern unterscheidet“. Palmer bestätigte der dpa die Verfolgung seiner jüdischen Vorfahren durch die Nazis. 2021 hatte er seine Familiengeschichte auf Facebook thematisiert: Auf dem jüdischen Friedhof in Königsbach lägen seine Ahnen bis ins 18. Jahrhundert. 1937 sei der Familie dann die Flucht in die USA gelungen. Sein Vater blieb als „uneheliches Kind einer Nichtjüdin im Remstal und wurde in der Schule vom Lehrer Moses genannt, nicht Helmut“.

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Erstellt:
29.04.2023, 13:56 Uhr
Lesedauer: ca. 5min 24sec
zuletzt aktualisiert: 29.04.2023, 13:56 Uhr

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