Tübingen · Bilal Waqas

Palmer rechtfertigt und kritisiert die Abschiebung

Oberbürgermeister Boris Palmer hat in einer ausführlichen Stellungnahme die Abschiebung von Bilal Waqas aus Tübingen nach Pakistan kommentiert und kündigt Unterstützung an. Waqas‘ Frau sprach mit dem TAGBLATT über die Aussagen Palmers.

14.01.2020

Von Sabine Lohr

Bilal Waqas will schnellstmöglich nach Deutschland zurück. Privatbild: Ricarda Zelter

Bilal Waqas will schnellstmöglich nach Deutschland zurück. Privatbild: Ricarda Zelter

Bilal Waqas geht es nicht gut. „Wir sind beide völlig verzweifelt“, sagte Ricarda Zelter, die Frau des vor einer Woche nach Pakistan abgeschobenen 35-Jährigen. Dazu kommt, dass das Langzeitinsulin, das der Diabetiker Waqas dringend braucht, in Pakistan nicht zu bekommen sei. „Er hält sich mit den Medikamenten über Wasser, die er bekommen kann, aber auf Dauer geht das nicht“, so Zelter. Sie habe vom Hausarzt eine Bestätigung bekommen, dass ihr Mann das Langzeitpräparat dringend benötige. Er sei jetzt in seinem Heimatdorf bei seinem Bruder und wisse nicht, wie es weitergehen soll.

Gestern hat sich Oberbürgermeister Boris Palmer in einer Pressemitteilung zu Wort gemeldet: „Ich bedauere es sehr, dass sich die Abschiebung des Ehemanns von Ricarda Zelter, Bilal Waqas, nicht verhindern ließ und möchte ihm möglichst schnell die Rückkehr nach Tübingen ermöglichen.“

In der Vergangenheit habe sich die Familie Zelter schriftlich mit der Bitte um Unterstützung an Palmer gewandt. „Leider zeigte sich in der Prüfung des Falles, dass Herr Waqas durch Verstöße im Zusammenhang mit seinem Asylantrag die Möglichkeit auf eine Aufenthaltsgenehmigung verwirkt hatte“, so Palmer. „Das zuständige Amt hat mir schlüssig nachgewiesen, dass es rechtlich keine Möglichkeit für eine Aufenthaltsgenehmigung gab. Weil ich diese Rechtslage für menschlich und sachlich falsch hielt, habe ich Familie Zelter im Sommer 2018 empfohlen, den Petitionsausschuss einzuschalten.“

Der Petitionsausschuss habe sich aber „nicht in der Lage gesehen, der Petition abzuhelfen“. In der Logik des Ausländerrechts sollen Anreize vermieden werden, durch falsche Angaben einen Aufenthalt aus dem Asylstatus heraus zu erreichen. Darüber habe sich der Ausschuss nicht hinwegsetzen wollen.

Stattdessen folgte er einem Vorschlag der Stadtverwaltung, der einen Daueraufenthalt gesichert hätte: Waqas sollte ausreisen und einen Antrag auf Familienzusammenführung stellen. Für den Fall, dass er diesen Weg mitginge, sicherte das Tübinger Ausländeramt eine sogenannte Vorabzustimmungserklärung zu. Das heiße, für Waqas habe keinerlei Risiko bestanden, dass sein Antrag abgelehnt werden würde.

Gegenüber dem TAGBLATT sagte Ricarda Zelter, eine Ausreise nach Pakistan sei für sie nicht in Frage gekommen. „Denn das hätte bedeutet, dass er mindestens fünf Jahre nicht zurückkommen kann.“ Vielleicht, so die 50-Jährige, hätte ihr Mann auch einen Stempel in den Pass bekommen, mit dem er nicht hätte wiedereinreisen dürfen. „Das war uns viel zu riskant. Wir vertrauen Pakistan nicht mehr.“

Palmer schreibt, erst nachdem der Anwalt von Waqas den Vorschlag des Petitionsausschusses abgelehnt und Waqas die Ausreise verweigert hätten, habe die Stadt den Antrag auf Aufenthaltsgenehmigung aus formalen Gründen ablehnen müssen. Das Regierungspräsidium Tübingen habe diese Rechtsauffassung der Stadt bestätigt. „Damit war Waqas ausreisepflichtig und riskierte seine Abschiebung nach Pakistan, die das Regierungspräsidium schließlich angeordnet hat.“ Dass Waqas abgeschoben werden könne, hätten sie gewusst, so Ricarda Zelter. „Das wurde ja immer angedroht. Aber das lief dann alles über den Rechtsanwalt.“

Palmer verteidigt das Vorgehen der städtischen Ausländerbehörde: „Insbesondere die Zuständigen im städtischen Ausländeramt haben gewissenhaft gearbeitet und aktiv Lösungsvorschläge unterbreitet.“ Die Abschiebung von Waqas sieht Palmer dennoch als Fehler: „Herr Waqas hat sich keiner Straftaten außerhalb des Ausländerrechts schuldig gemacht. Er hat gearbeitet und seinen Lebensunterhalt selbst verdient, er hat eine Frau in unserer Stadt. Es gibt überhaupt keinen Grund, ihm ein Leben in Tübingen zu verweigern.“ Nach sieben Jahren in Deutschland sollte die Spur des Asylantrags nicht mehr verfolgt, sondern ein Wechsel zum Einwanderungsrecht möglich gemacht werden.

Dass dafür nur die Ausreise als Option zur Verfügung stehe, sei nicht mehr zeitgemäß und müsste dringend geändert werden. „Denn wir schieben nach wie vor viel zu viele gut integrierte Menschen ab. Im Fall von Herrn Waqas wird auf die Abschiebung ganz sicher die legale Rückkehr folgen. Das ist absurd und zeigt in aller Deutlichkeit den Reformbedarf für den Spurwechsel auf.“

Palmer kündigt an, Bilal Waqas zu helfen. „Nach geltendem Recht folgt auf die Abschiebung eine Einreisesperre von 30 Monaten“, schreibt er. Er sei in Würdigung der Gesamtumstände aber der Auffassung, dass hier von der Einreisesperre abgesehen werden sollte, damit Bilal Waqas möglichst bald wieder nach Tübingen zu seiner Frau zurückkommen kann. „Die Stadt wird einer Einreise zum frühestmöglichen Zeitpunkt zustimmen“, kündigt Palmer an. „Wann das sein kann, hängt damit nur noch von der Verfahrensdauer ab. Ich werde mich an die zuständigen Stellen mit der Bitte um eine beschleunigte Bearbeitung wenden und hoffe, dass die Geschichte damit doch noch zu einem guten Ende kommt.“

Für Ricarda Zelter ist diese Ankündigung ein kleiner Hoffnungsschimmer: „Das ist ja wirklich gut, wenn er das macht, vielleicht hilft es ja“, sagt sie.

Bündnis Bleiberecht widerspricht Palmer

Das Bündnis Bleiberecht Tübingen widerspricht der Auffassung von OB Boris Palmer, dass die Abschiebung aufgrund von „zwingenden Vorgaben des Ausländerrechts“ unvermeidlich gewesen sein soll. Ehe und Familie stünden unter dem besonderen Schutz des Grundgesetzes, schreibt es in einer Mitteilung. Darum formuliere das Ausländerrecht ein schwerwiegendes Bleibeinteresse von Ausländern, die mit Deutschen verheiratet seien. Das Bündnis fordert, dass sich Palmer umgehend aktiv auf allen politischen und verwaltungsrechtlichen Ebenen für eine sofortige Rückkehr von Bilal Waqas einsetzt und dieser dann schnellstmöglich eine Aufenthaltserlaubnis bekomme.

Palmer solle damit aufhören, die Abschiebung von Bilal Waqas „für seine doppelbödige Forderung nach einem sogenannten doppelten Spurwechsel zu missbrauchen“, weil Palmer darin „als Bedingung für ein lediglich eng befristetes Bleiberecht für einige wenige Geflüchtete auch gleichzeitig die menschenrechtswidrige Internierung und Isolation von anderen Geflüchteten in geschlossenen Lagern“ fordere. Zudem sei im vorliegenden Fall die Identität des Betroffenen offenbar so abschließend und eindeutig geklärt, „dass er in einem deutschen Standesamt heiraten durfte und er eben kein sogenannter Identitätstäuscher mehr war“.

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Erstellt:
14.01.2020, 18:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 54sec
zuletzt aktualisiert: 14.01.2020, 18:00 Uhr

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