Corona

Palmer als Initiator: Mehrere Bürgermeister wollen Lockdown kippen

Unter dem Motto „Das Leben in den Städten schützen“ haben der Tübinger Oberbürgermeister Boris Palmer und weitere Oberbürgermeister und Bürgermeisterinnen aus ganz Baden-Württemberg einen gemeinsamen Appell an Ministerpräsident Winfried Kretschmann gerichtet, in dem sie sich gegen einen pauschalen Lockdown für Kunst, Kultur und Gastronomie aussprechen.

29.10.2020

Von ST

Kämpft dafür, dass Gaststätten offen bleiben und Künstler weiter arbeiten können: OB Boris Palmer. Archivbild: Ulrich Metz

Kämpft dafür, dass Gaststätten offen bleiben und Künstler weiter arbeiten können: OB Boris Palmer. Archivbild: Ulrich Metz

Tübingens Oberbürgermeister Boris Palmer übermittelte den Brief heute zunächst per Mail nach Stuttgart. Unterzeichnet ist der Brief unter anderem auch von Thomas Keck (Reutlingen), Michael Bulander (Mössingen), Ulrich Fiedler (Metzingen) und Helmut Reitemann (Balingen).

Man wisse um den Ernst der Lage, heißt es darin. „Wir können aber nur erfolgreich sein, wenn wir auch die Bürgerinnen und Bürger vom Sinn der Maßnahmen überzeugen können. Das fällt uns bei den gestern in Berlin gefassten Beschlüssen schwer.“

Und weiter: „Theater, Oper, Kino, Gastronomie, Hotellerie und Cafés haben gute Hygienekonzepte etabliert und sind als Treiber des Infektionsgeschehens nach unserer Kenntnis von eher geringer Bedeutung.“ Es erschließe sich nicht, warum gerade diesen Bereiche für den Lockdown ausgewählt worden seien und es scheine, als seien sie ausgewählt worden, weil die Annahme zugrunde liege, „dass diese am ehesten entbehrlich seien“. Die Oberbürgermeister bitten darum, „die Umsetzung der Beschlüsse im Landesrecht nochmals auf den Prüfstand zu stellen“.

Das TAGBLATT wird später ausführlich berichten.

Der Brief im Wortlaut:

Sehr geehrter Herr Ministerpräsident,

wir wissen, dass die Lage ernst ist und wir der weiteren Ausbreitung des Corona-Virus entschieden entgegentreten müssen. Hierbei haben Sie wie in der Vergangenheit unsere volle Unterstützung. Wir können aber nur erfolgreich sein, wenn wir auch die Bürgerinnen und Bürger vom Sinn der Maßnahmen überzeugen können. Das fällt uns bei den gestern in Berlin gefassten Beschlüssen schwer.

Wir fragen uns, nach welchen Kriterien die Bereiche ausgewählt wurden, die nun komplett geschlossen werden sollen. Theater, Oper, Kino, Gastronomie, Hotellerie und Cafés haben gute Hygienekonzepte etabliert und sind als Treiber des Infektionsgeschehens nach unserer Kenntnis von eher geringer Bedeutung. Es ist für uns nicht ersichtlich, dass durch den kompletten Lockdown dieser Bereiche das Tempo der Pandemie ausreichend gebremst werden könnte.

Es scheint, als liege der Auswahl der Schließungsbereiche die Annahme zugrunde, dass diese am ehesten entbehrlich seien. Dieser Auffassung treten wir entgegen. Kunst, Kultur und Gastronomie machen das Leben in unseren Städten wesentlich aus. Sie einfach abzuschalten, gefährdet auf Dauer Bürgersinn, Zusammenhalt und Lebensgeist der Stadtgesellschaften. Wir sehen die Gefahr, dass die Maßnahmen damit das gefährden, was wir zuallererst brauchen, um die Pandemie durchzustehen.

Das gilt umso mehr, als wir zwar lesen, dass die Schließungen bis zum Ende des Monats befristet sein sollen, darauf aber nicht vertrauen können. Im Gegenteil. Es ist zu befürchten, dass die Pandemie durch diese sektoralen Eingriffe so wenig gebremst wird, dass sie bis zum Frühjahr verlängert werden müssen. Das hätte gravierende Strukturbrüche zur Folge. Allein mit Geld kann man Unternehmergeist, Kreativität und Leistungswillen nicht erhalten. Dauerhafte Abwertung und Untätigkeit wird viele zum Aufgeben treiben. Was dadurch zerstört wird, ist auf lange Zeit nicht mehr wiederherzustellen.

Aus diesem Grund bitten wir Sie, die Umsetzung der Beschlüsse im Landesrecht nochmals auf den Prüfstand zu stellen. Wir sind uns im Klaren, dass Baden-Württemberg keine völlig andere Linie fahren wird. Aber wir hielten es für angemessen, dem Infektionsschutz bei der Definition der Maßnahmen einen höheren Stellenwert zu geben und von gänzlich abstrakten Verboten Abstand zu nehmen. Beispielsweise ist Gastronomie mit Decken oder Heizstrahlern an der frischen Luft nach unserer Meinung völlig unbedenklich. Der Besuch einer Kunstausstellung oder einer Theatervorstellung kann durch weiter verschärfte Besucherzahlgrenzen, Masken und Abstände sicher gestaltet werden.

Wir bitten Sie, diese Differenzierungen nochmals zu erwägen, bevor ein allzu pauschaler Lockdown angeordnet wird.

Die Unterzeicherinnen und Unterzeichner

OB Richard Arnold, Schwäbisch Gmünd

OB Stefan Belz, Böblingen

OB Andreas Brand, Friedrichshafen

OB Michael Bulander, Mössingen

OB Ulrich Fiedler, Metzingen

OB Johannes Friedrich, Nürtingen

OB Bernd Häusler, Singen

OB Thomas Keck, Reutlingen

OB Matthias Klopfer, Schorndorf

OB Klaus Konzelmann, Albstadt

OB Michael Lang, Wangen im Allgäu

OB Julian Osswald, Freudenstadt

OB Boris Palmer, Tübingen

OB Helmut Reitemann, Balingen

OB Thilo Rentschler, Aalen

OB Michael Scharmann, Weinstadt

OB Norbert Zeidler, Biberach

BM Tobias Benz, Wyhlen

BM Marcus Ehm, Sigmaringen

BM Meike Folkerts, Titisee-Neustadt

BM Birgit Förster, Niefern-Öschelbronn

BM Janette Fuchs, Todtmoos

BM Philipp Hahn, Hechingen

BM Lisa Hengstler, Gütenbach

BM Franziska Kenntner, Mehrstetten

BM Dagmar Kuster, Hettingen

BM Diana Kunz, Zaberfeld

BM Petra Müller-Vogel, Gaiberg,

BM Daniela Paletta, Biberach (Baden)

BM Sarina Pfründer, Sulzberg

BM Doris Schröter, Bad Saulgau

BM Sabine Schwaiger, Aglasterhausen

BM Antonia Walch, Sternenfels

BM Monica Wieland, Gutenberg-Hürben

BM Sybille Würfel, Maisch

BM Helga Wössner, Mühlenbach

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Erstellt:
29.10.2020, 14:21 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 08sec
zuletzt aktualisiert: 29.10.2020, 14:21 Uhr

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Renna 29.10.202015:10 Uhr

Die Damen und Herren OB und BM haben offenbar nichts begriffen. Oder soll das eine populistische Taktik sein, um WählerInnen zu gewinnen? Da viele Kontakte von Infizierten gar nicht nachvollziehbar sind, kann niemand genau sagen, wer oder was das Infektionsgeschehen antreibt. Bei allem Verständnis für die Befürchtungen der Menschen, die vom befristeten (!) Lockdown der aufgezählten Bereiche betroffen sind, ohne ihn würde bald nur noch eine komplette Ausgangssperre helfen, um die Pandemie einzudämmen. Dagegen ist eine einmonatige Schließung von Freizeiteinrichtungen, die ja dafür entschädigt werden, doch wohl das weitaus kleinere Übel.

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