Digitalisierung in der Wirtschaft

Kärcher: „Ohne kluge Investitionen geht es nicht“

Der Reinigungsgerätehersteller macht seine Fabriken smart, um wettbewerbsfähig zu bleiben. Vorstandschef Hartmut Jenner über Digitalisierung und Schulnoten für die Regierung. Von Alexander Bögelein

18.09.2021

Von Alexander Bögelein

Kärchert nicht nur für Kameras: Vorstandschef Hartmut Jenner auf einer Scheuersaugmaschine. Foto: Marijan Murat/dpa

Kärchert nicht nur für Kameras: Vorstandschef Hartmut Jenner auf einer Scheuersaugmaschine. Foto: Marijan Murat/dpa

Winnenden. Klarer Kurs, klare Ziele, klare Struktur: Hartmut Jenner, Vorsitzender des Vorstands der Alfred Kärcher SE & Co. KG, hat den Reinigungsgerätehersteller zum Weltmarktführer gemacht. Seit 30 Jahren arbeitet er für das Unternehmen, seit 20 Jahren steht er an dessen Spitze. Im Gespräch in der Firmenzentrale zeigt sich: Der 56-Jährige ist so geerdet wie gedankenschnell – und ein nahbarer Firmenchef. Ein Gespräch über die Zukunft der Reinigungstechnik, Digitalisierung und deutsche Schwächen.

Was ist so schön am Thema Schmutz und Sauberkeit, dass Sie seit 30 Jahren für Kärcher arbeiten?

Hartmut Jenner: Das Faszinierende für mich ist, dass die Reinigungsbranche immer noch völlig unter-innoviert ist. Es gibt sehr wenige mechanisch technische Lösungen, um Schmutz zu entfernen. Das meiste wird noch von Hand gemacht. Unsere Aufgabe als Kärcher war und ist, dass wir diese Themen mechanisieren und automatisieren, damit Reinigen schneller, ergonomischer und umweltfreundlicher wird. Da gibt es auch künftig noch viel zu tun.

Was ist die wichtigste Veränderung seit Sie Kärcher-Chef sind?

Ganz eindeutig die starke Globalisierung unseres Unternehmens. Wir machen heute 85 Prozent unseres Umsatzes von zuletzt 2,7 Milliarden Euro außerhalb von Deutschland. Dafür mussten wir entsprechende Strukturen aufbauen. Heute haben wir einen internationalen Verbund, führen die Mitarbeiter über Netzwerke. Das ist einer der wesentlichen Gründe, warum wir auch in Zeiten von Corona erfolgreich geblieben sind.

Umwelteinflüsse wirken sich auf die Frequenz von Reinigung aus

Wird im Ausland mehr geputzt als im Land der Kehrwoche?

Überall dort, wo es durch Umwelteinflüsse erforderlich ist, steigt die Frequenz von Reinigung. Im arabischen Raum beispielsweise sind die Verkeimungsprozesse aufgrund der hohen Luftfeuchtigkeit viel höher, die Menschen dort müssen mehr reinigen als hierzulande.

Wann haben Sie das letzte Mal selbst gekärchert?

Das mache ich fast täglich. In meinem Urlaub habe ich zuhause eine Treppe mit dem Hochdruckreiniger vom Moos befreit. Meine Frau und ich sind Träger eines Waldkindergartens. Dort habe ich mit dem Kärcher-Mähdeck gemäht. Auch teste ich viele Geräte, bevor sie in Serie gehen.

Wie fühlt Sie das an?

Phantastisch. Das hat einen hohen Befriedigungsgrad, weil man sieht, was man macht. Allerdings sind meine Privateinsätze bei unseren Ingenieuren ein bisschen gefürchtet.

Warum schmunzeln Sie?

Ich stelle dabei gelegentlich fest, was man noch besser machen kann.

Der gewerbliche Robotermarkt mit dynamischen Entwicklungen

Neben Geräten für Privatleute ist das Geschäft mit Firmenkunden stark. Was treibt das Wachstum?

Der gewerbliche Robotermarkt entwickelt sich sehr dynamisch. Vielen Gebäudereinigern fehlen Mitarbeiter. Die Unternehmen brauchen diese Roboter, nicht um Mitarbeiter zu ersetzen, sondern um die angefragten Leistungen erfüllen zu können.

Sie sind auch unter die Softwareanbieter gegangen.

Ja, unter dem Stichwort Connected Cleaning bieten wir unseren Kunden eine digitale Plattform.

Was verbirgt sich dahinter?

Egal ob Büros in der Urlaubszeit oder Toiletten in Flughäfen: Häufig gibt es feste Reinigungszeiten unabhängig von der Nutzung. Das macht keinen Sinn. Aus diesem Grund haben wir eine offene Plattform entwickelt.

Blick in die Produktion am Standort Oberes Bühlertal. Kärcher investiert massiv in die Modernisierung seiner Werke. Foto: Kärcher

Blick in die Produktion am Standort Oberes Bühlertal. Kärcher investiert massiv in die Modernisierung seiner Werke. Foto: Kärcher

Wie funktioniert die?

Wir erfassen Daten über Sensoren, beispielsweise für Bewegung und Wetter. Diese Daten zeigen, wo ein erhöhter Reinigungsbedarf ist. Viel Verkehr auf dem Parkdeck eines Einkaufszentrums heißt auch, dass die Toiletten frequentierter sind und häufiger gereinigt werden müssen.

Was bringt das Kunden konkret?

Wir helfen ihnen, ihre Arbeit besser zu machen und Mitarbeiter effizienter einzusetzen. Mit der Software erzielen diese ein besseres Reinigungsergebnis bei 20 bis 30 Prozent geringeren Kosten.

Wie läuft das Geschäft dieses Jahr?

Die gute Entwicklung des Geschäfts mit Privatkunden aus dem vergangenen Jahr setzt sich fort. Gleichzeitig erholt sich das Geschäft mit Firmenkunden, das 2020 infolge von Corona eingebrochen ist. Das Jahr bleibt insgesamt aber anspruchsvoll.

Warum?

Das liegt vor allem an den Störungen der Lieferkette. Wir sind nicht bei allem lieferfähig. Zudem sind die Preissteigerungen teilweise unvorstellbar hoch. Da kostet beispielsweise ein kleiner Chip einfachster Machart auf einmal vier Euro statt 40 Cent.

Was heißt das für Ihre Preise?

Solche Steigerungen auf breiter Front kann ein Unternehmen nicht dauerhaft auffangen. Auch wir werden nicht umhin kommen, unsere Preise anzupassen.

„Jeder digitale Punkt kann angegriffen werden“

Sie digitalisieren auf breiter Front interne Prozesse, wird Kärcher damit anfälliger für Hacker-Angriffe?

Jeder digitale Punkt kann angegriffen werden. Das ist aber kein Grund, das nicht zu machen. Wir nehmen das Thema IT-Sicherheit sehr ernst. Wir schulen die Mitarbeiter, machen regelmäßig Sicherungs-Updates und vieles mehr. Bei allem Aufwand ist uns klar: 100-prozentig schützen kann man sich bei diesem Thema nicht.

Ihre IT-Vorzeigefabrik ist Bühlertal.

Wir haben seit 2018 im Rahmen des Projektes „Bühlertal 5.0“ rund 6 Millionen Euro investiert. Abläufe digitalisiert und automatisiert. Dabei hilft ein fahrerloses Transportsystem, mit dem wir die Staplerfahrten stark verringert haben. Mit dem neuen digitalen Produktionsleitsystem , das wir jetzt auf andere Standorte übertragen, steuern und optimieren wir Abläufe und Kosten. Ohne kluge Investitionen, bleibt man hierzulande nicht wettbewerbsfähig.

Wie bewerten Sie den stockenden Ausbau der digitalen Infrastruktur in Deutschland?

Ich habe da keinerlei Verständnis dafür. Das ist ein großer Wettbewerbsnachteil. Wir haben viele Gegenden ohne Mobilfunk-Abdeckung, ohne schnelles Internet. Über das Thema sprechen wir in Deutschland seit zehn Jahren. Ich bin viel unterwegs. Es gibt kaum ein Land, das schlechter aufgestellt ist als Deutschland.

Was erwarten Sie von der neuen Bundesregierung?

Egal von welcher Regierung erwarte ich, dass sie wettbewerbsfähige Strukturen schafft. Das ist die Aufgabe einer Regierung. Dafür bezahlen wir auch Steuern.

Welche Schulnote geben Sie der aktuellen Bundesregierung bei dem Thema?

Nicht einmal die Note ausreichend.

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Erstellt:
18.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 46sec
zuletzt aktualisiert: 18.09.2021, 06:00 Uhr

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