Berufstätigkeit

Nur noch vier Tage pro Woche?

Die Kurzarbeit während der Pandemie hat gezeigt, dass weniger Stunden im Job auch guttun können. Eine Studie in Island eröffnet eine Perspektive für kürzere Einsatzzeiten.

26.07.2021

Von MICHAEL HEIDER

Mehr Freizeit, weniger Stress: Für viele ist die Vorstellung einer Vier-Tage-Woche die Lösung für ein zufriedeneres Berufsleben. Foto: ©Monkey Business Images/shutterstock.com

Mehr Freizeit, weniger Stress: Für viele ist die Vorstellung einer Vier-Tage-Woche die Lösung für ein zufriedeneres Berufsleben. Foto: ©Monkey Business Images/shutterstock.com

Berlin. Wer Bernfried Rose freitags in dessen Wirtschaftskanzlei aufsuchen möchte, dürfte Pech haben. Seit inzwischen elf Jahren arbeitet der Hamburger Anwalt nur vier Tage pro Woche. Und seit Mai 2019 haben auch seine Beschäftigten diese Möglichkeit – ohne auf Gehalt verzichten zu müssen. Für Rechtsanwälte verkürzte Rose & Partner die Wochenarbeitszeit von 40 auf 36 Stunden, für die übrigen Angestellten auf 34. „Den Mitarbeitern ist freigestellt, ob sie die reduzierte Arbeitszeit an vier oder an fünf Tagen ableisten. Die meisten optierten für die Vier-Tage-Woche“, erklärt Rose. Er versteht dies als Gegenmodell in einer Branche, in der Anwälte für gewöhnlich 55 Stunden an sechs Tagen arbeiten. Für ihn kein Qualitätsmerkmal: „Sie wollen sich ja auch nicht von einem Herzchirurgen operieren lassen, der drei Tage nicht geschlafen hat und total unter Druck steht.“

Was bei Rose & Partner bereits Realität ist, dürften sich viele Arbeitnehmer erträumen. In der öffentlichen Diskussion jedenfalls macht die „Vier-Tage-Woche“ immer wieder die Runde. Jüngster Anlass war eine Studie aus Island. Über vier Jahre hinweg wechselten mehr als 2500 Arbeitnehmer des Inselstaats ohne Lohnabzug von einer 40- in eine 35- oder 36-Stunden-Woche. Bei knapp 360?000 Isländern entspricht dies einem Prozent der arbeitenden Bevölkerung. Das Ergebnis: Nicht nur sei die wirtschaftliche Produktivität stabil geblieben, stellenweise verbesserte sie sich sogar. Darüber hinaus hätten Teilnehmende seltener über Stress geklagt und seien weniger häufig an Burnout erkrankt.

Ein Ansatz auch für Deutschland? Enzo Weber vom Nürnberger Institut für Arbeitsmarkt- und Berufsforschung ist skeptisch. Insbesondere einem Modell ohne Gehaltseinbußen erteilt er eine Absage. „Wenn Sie einen Tag Arbeit wegnehmen und trotzdem denselben Lohn zahlen, steigt der Stundenlohn um 25 Prozent. Das ist vollkommen illusorisch.“ Seiner Ansicht nach wäre es sinnvoller, den Menschen selbst die Wahl über ihre Arbeitszeit zu überlassen. „Zufriedenheit kommt daher, dass Sie souverän agieren können, nicht von ein paar Stunden mehr oder weniger Arbeit.“

Auch sei die Studie nur schwer übertragbar. Weniger Stunden zu arbeiten, könne zwar die Effizienz steigern, bestätigt Weber. Allerdings liege die Grenze hierfür bei einer 39 Stunden-Woche und damit der durchschnittlichen Vollzeit hierzulande. In Island habe die Arbeitszeit mit rund 45 Stunden pro Woche hingegen sehr hoch gelegen.

Thorben Albrecht wiederum, bei der IG Metall für Grundsatzfragen und Gesellschaftspolitik verantwortlich, fühlt sich durch die Studienergebnisse ermutigt. „Wenn die Menschen weniger belastet und gesünder sind, etwa weil sie mehr freie Zeit für Sport und Erholung nutzen, dann profitiert die Gesellschaft insgesamt.“ Dies könne auch für Unternehmen gewinnbringend sein, sagt Albrecht. „Zur Produktivität gehört ja auch die Zahl der Ausfälle durch Krankheitstage.“ Es lohne sich daher für alle Branchen, über derartige Arbeitszeitmodelle nachzudenken, ist sich der Gewerkschafter sicher. „Das hat die Studie in Island gezeigt. In Deutschland werden entsprechende Modelle durch die neuen Zukunftstarifverträge in der Metall- und Elektroindustrie auch möglich. “

Auch Arbeitspsychologin Nale Lehmann-Willenbrock bestätigt: „Eine Vier-Tage-Woche kann Vorteile für die Work-Life-Balance und die Erholung von der Arbeit haben.“ Einen Königsweg zu mehr psychischer Gesundheit sieht sie darin allerdings nicht. „Das wäre zu kurz gedacht. Eine Gefahr ist, dass der Zeitdruck oder die informelle Arbeitszeit pro Tag steigt, wenn die Aufgaben nicht weniger werden und in kürzerer Zeit erledigt werden müssen.“ Zudem seien psychologische Effekte nie für alle Arbeitnehmer gleich. „Wir sprechen bei den Ergebnissen aus Island ja von Mittelwerten. Dabei bleibt fraglich, ob die positiven Auswirkungen für alle gleichermaßen gelten.“

Je nach Alter oder Lebenssituation stelle ein freier Tag mehr nicht zwingend einen Vorteil dar. Mehr als um die Arbeitszeit sollte es daher um die Frage der Arbeitsgestaltung gehen. Raum für Verbesserungen, etwa bei der Vereinbarkeit von Beruf und Familie, versteckten sich nach Ansicht der Psychologie-Professorin eher im Bereich der Flexibilisierung und Teilzeitarbeit.

Ob es in Richtung einer Vier-Tage-Woche oder anderswo hingeht – der deutsche Arbeitsmarkt ist in Bewegung. „Die Lebensbedingungen sind komplexer geworden. Darauf werden sich die Arbeitgeber mehr und mehr einstellen müssen“, ist sich Arbeitsforscher Enzo Weber sicher. Anwalt Bernfried Rose zumindest betrachtet seine Kanzlei bereits jetzt als zukunftsfähig. Ein Zurück gebe es ohnehin nicht mehr, sagt er. „Man gewöhnt sich schnell daran, nur vier Tage die Woche zu arbeiten.“