Corona

Norditalien unter Quarantäne

Um die Ausbreitung einzudämmen, verschärft Ministerpräsident Conte die Maßnahmen. Für 16 Millionen Bürger gelten nun strenge Auflagen.

09.03.2020

Von Bettina Gabbe

Touristen in Mailand: Auch diese Stadt ist von der Quarantäne-Anordnung der italienischen Regierung betroffen. Foto: Claudio Furlan/LaPresse via ZUMA Press/dpa

Touristen in Mailand: Auch diese Stadt ist von der Quarantäne-Anordnung der italienischen Regierung betroffen. Foto: Claudio Furlan/LaPresse via ZUMA Press/dpa

Das Dekret, das den Norden Italiens abriegelt, ist noch nicht unterzeichnet, als sich auf dem Mailänder Hauptbahnhof am späten Samstagabend bereits Menschenmassen an den Zügen bilden. Verzweifelt drängen Reisende in die Waggons – auch ohne Fahrkarte. Aus Angst, die Metropole später nicht mehr verlassen zu können, machen sie sich auf die Reise nach Süden.

Als Ministerpräsident Giuseppe Conte das Dekret Stunden in der Nacht vorstellt, bemüht er sich, die Bevölkerung zu beruhigen. Der langjährige Strafverteidiger spricht von einer „Schlacht“ gegen den Coronavirus, die Italien gewinnen werde. In der Lombardei und 14 Provinzen in Nord- und Mittelitalien „können wir uns keine Menschenansammlungen mehr erlauben“. Deshalb bleiben dort Schulen und Universitäten bis zum 3. April geschlossen. Kinos, Theater und Museen öffnen ihre Pforten ebenfalls bis auf Weiteres nicht. Sport- und religiöse Veranstaltungen bis hin zu Trauerfeiern und Hochzeiten sind verboten. Bars und Restaurants dürfen bis 18 Uhr offen sein, sofern sie einen Mindestabstand von einem Meter zwischen den Gästen garantieren können.

Das Dekret fordert die Bürger in den abgeriegelten Regionen auf, die eigene Wohnung nur zu verlassen, wenn es beruflich oder medizinisch notwendig ist. Insgesamt 16 Millionen Menschen im industrialisierten Norden dürfen nur noch zum Einkaufen und für berufliche Tätigkeiten auf die Straße gehen.

Am nächsten Morgen fahren die Züge auf dem Mailänder Hauptbahnhof noch immer. „Ich muss nach Neapel“, sagt eine ältere Dame. „Ich habe nichts, ich bin gesund“, antwortet sie auf die Frage, warum sie sich trotz gegenteiliger Vorgaben der Regierung auf die Reise macht. Eine junge Frau erzählt, dass sie nach Nizza will. Das sei lange geplant gewesen, deshalb fahre sie auch.

Arzt appelliert an Vernunft

Nicht nur die Lombardei mit ihrer Regionalhauptstadt Mailand darf in den kommenden Wochen niemand ohne dringenden Grund betreten und verlassen. Auch Venedig, das sonst von Touristen wimmelt, ist Sperrgebiet. Zu den 14 ebenfalls abgeschotteten Provinzen rund um die Lombardei gehört auch Parma, das seinen berühmten Schinken und Parmesan-Käse in alle Welt exportiert.

Das Gesundheitswesen in der Lombardei stößt aufgrund der Corona-Epidemie an seine Grenzen. „Mittlerweile sind wir gezwungen, Intensivstationen in den Fluren, Operationssälen und Aufwachräumen einzurichten“, sagt Antonio Pesenti, der Leiter der Kriseneinheit für Intensivmedizin. Der 68-Jährige beobachtete am Wochenende, dass trotz der gebotenen Vorsicht viele Menschen das Nachtleben genossen und unnötige Einkäufe tätigten. „Wenn die Bevölkerung nicht begreift, dass sie zu Hause bleiben muss, wird die Situation katastrophal“, warnt der Mediziner.

Bis zum 26. März rechnet er mit 18.000 Infizierten allein in der Lombardei, darunter rund 3000 Fälle für die Intensivmedizin. „Das sage ich nicht, um die Bürger zu beunruhigen, sondern um begreiflich zu machen, dass jetzt nicht der Moment ist auszugehen, weder für Shopping noch um einen Spritz zu trinken“, betont Pesenti.

Rückläufige Zahlen in China

In China, wo das Virus erstmals aufgetreten war, wächst die Hoffnung auf ein Ende der drastischen Maßnahmen. Mit 44 Neuinfektionen war diese Zahl am Sonntag erneut rückläufig. Mit 27 neuen Toten meldete das Land die geringste Opferzahl seit mehr als einem Monat. Insgesamt starben damit in Festlandchina 3097 Infizierte.

Unterdessen sind beim Einsturz eines als Quarantäne-Unterkunft genutzten Hotels in der chinesischen Küstenstadt Quanzhou mindestens zehn Menschen ums Leben gekommen. 23 wurden noch vermisst, berichtete der chinesische Staatssender CCTV am Sonntag. 38 Menschen wurden verletzt.

In Ägypten steht erstmals ein Nilkreuzfahrtschiff mit etwa 165 Menschen an Bord im Süden des Landes unter Quarantäne. Neben der ägyptischen Besatzung befänden sich auch Touristen aus Frankreich, Indien und Amerika auf dem Schiff, hieß es am Samstag aus Behördenkreisen in der Stadt Luxor. Das Schiff war aus Assuan gekommen. Nach Angaben der Gewerkschaft der Touristenführer in Luxor handelt es sich um die „MS River Anuket“. Einige Crew-Mitglieder sind positiv getestet worden. dpa/afp

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Erstellt:
09.03.2020, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 58sec
zuletzt aktualisiert: 09.03.2020, 06:00 Uhr

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