Tübingen/Mülheim

Nobelpreis für Nüsslein-Volhards Neffen: „Wahnsinnig stolz“

1995 gewann die in Bebenhausen lebende Christiane Nüsslein-Volhard den Nobelpreis. Nun hat es ihr Neffe ebenfalls geschafft.

06.10.2021

Von Ulrich Janßen

Haben jetzt beide einen Nobelpreis: Christiane Nüsslein-Volhard (links) und ihr Neffe Benjamin List. Bilder: Anne Faden/David Ausserhofer (MPG)

Haben jetzt beide einen Nobelpreis: Christiane Nüsslein-Volhard (links) und ihr Neffe Benjamin List. Bilder: Anne Faden/David Ausserhofer (MPG)

Bei den wichtigsten Juroren der Welt steht die Familie Volhard offenbar in hohem Ansehen: 26 Jahre nach Christiane Nüsslein-Volhard erhielt am Mittwoch auch ihr Neffe Benjamin List einen Nobelpreis. „Ich bin wahnsinnig stolz auf ihn“, erklärte die Nobelpreisträgerin dem TAGBLATT. Ihr Neffe bekam den Nobelpreis sogar im gleichen Alter wie seine Tante: mit 53 Jahren. Die beiden haben bis heute einen guten Kontakt zueinander und tauschen sich gelegentlich auch wissenschaftlich aus.

Interesse an Wissenschaft und am höchsten Preis, den sie zu vergeben hat, habe Ben schon früh geäußert, meinte die Nobelpreisträgerin: „Er hatte immer einen Chemiebaukasten im Keller.“ 1995 begleitete er seine Tante als junger Doktorand nach Stockholm zur Preisverleihung. Er fand es so toll dort, erinnert sich Nüsslein-Volhard, dass für ihn eines sofort fest stand: „Diesen Preis will ich auch haben.“

Genau wie seine berühmte Tante ist auch der frisch ernannte Nobelpreisträger Direktor an einem Max-Planck-Institut, dem MPI für Kohlenforschung in Mülheim an der Ruhr. Er entdeckte, dass sich kleine organische Moleküle hervorragend als Katalysatoren eignen. Mit ihrer Hilfe kann man sehr effizient und umweltschonend komplexe Moleküle herstellen, etwa für Medikamente.

Als Benjamin List den Anruf erhielt, dass er für seine Entdeckung mit dem Nobelpreis für Chemie geehrt wird, saß er mit seiner Frau gerade in einem Amsterdamer Café, wie die Max-Planck-Gesellschaft berichtet. „Das Nobelkomitee hat auf meinem Handy angerufen“, wird der Chemiker zitiert. „Als wir gerade bestellen wollten, sah ich auf dem Display die Vorwahl von Schweden. Meine Frau und ich lächelten uns an und sagten ironisch: ‚Da kommt der Anruf‘ - als Witz. Aber dann war es wirklich der Anruf. Es war ein unglaublicher Moment.“

List ist der Sohn der ältesten Schwester von Nüsslein-Volhard, mit der sie bis heute sehr gut befreundet ist: „Sie ist oft bei mir zu Besuch in Bebenhausen.“ Die Schwester war auch da, als ihr Sohn am 26. Dezember 2004 vom Tsunami in Thailand erwischt wurde. Die Riesenwelle erwischte ihn, als er mit seiner Frau und seinen zwei Kindern am Strand war. Sie drückte den Forscher tief unter Wasser und riss ihm seinen kleinen Sohn Paul aus dem Arm. Auch seine Frau konnte den anderen Sohn Theo nicht festhalten. Dass am Ende alle vier überlebten, ist ein großes Wunder, das Nüsslein-Volhard hautnah mitbekam: „Wir saßen bei mir in Bebenhausen und haben nur gezittert.“

Der Zeitschrift der Max-Planck-Gesellschaft verriet der Chemiker, dass er in einer sehr großbürgerlichen Familie in Frankfurt aufgewachsen sei. Wenn die vier Geschwister seiner Mutter an Weihnachten zusammenkamen, hätten Bachs Brandenburgische Konzerte auf dem Notenständer gelegen. Als List drei Jahre alt war, ließen sich die Eltern scheiden, die Mutter arbeitet fortan wie sein Großvater Rolf Volhard ganztags als Architektin. Außer Architekten finden sich in der Familie auch etliche Naturwissenschaftler. So war Nüsslein-Volhards Großvater (und damit Ben Lists Urgroßvater) ein Herz- und Nierenspezialist, ihr Urgroßvater Jacob Volhard war, wie Benjamin List, ein Chemiker.

Trotz der Liebe zum Chemiebaukasten und der bildungsbürgerlichen Prägung hing Ben, der ziemlich antiautoritär erzogen wurde und in einen alternativen Kindergarten ging, nach der Schule erst einmal etwas herum. „Mensch, mach doch mal“, habe Nüsslein-Volhard ihn damals gedrängt.

Offenbar mit Erfolg, denn bald darauf ging es mit der Karriere des Chemikers steil bergauf. Er ging nach Kalifornien und erhielt zahlreiche Auszeichnungen. Auch dabei fanden sich Tante und Neffe immer wieder mal im gleichen Schritt. Nüsslein-Volhard erinnert sich, dass sie 2016, als sie im vergleichsweise hohen Wissenschaftler-Alter noch einen der extrem begehrten ERC-Grants erhielt, dies gleich voller Stolz dem Neffen mailte. Doch der mailte nur vergnügt zurück: „Ich habe auch einen bekommen.“

Ein wichtiger Tipp für die Zeit danach

Zwar wird Christiane Nüsslein-Volhard ihren Neffen nicht zur Preisübergabe nach Stockholm begleiten können (die wird wegen Corona erneut gestrichen). Doch ein paar Ratschläge hat sie trotzdem für den Chemiker. Der wichtigste: „Nimm ja nicht so viele Vorträge an!“ Sie selbst habe nach der Ehrung zu oft nicht nein sagen können und fühlte sich am Ende „ausgequetscht wie eine Zitrone“. Sie sei kaum noch fähig zu wissenschaftlicher Arbeit im Labor gewesen.