Angehört

Nick Cave, Prediger des Gemetzels

„Carnage“ sei einfach so vom Himmel gefallen, behauptet der Musiker, und so klingt das Album oftmals auch.

02.03.2021

Von UDO EBERL

Nick Cave & Warren Ellis: „Carnage“ Foto: Goliath Records/Rough Trade

Nick Cave & Warren Ellis: „Carnage“ Foto: Goliath Records/Rough Trade

Ulm. „Das Album war ein Geschenk“, ist sich Nick Cave sicher. Er legte die Grundlagen für sein erstes offizielles Gemeinschaftswerk mit Warren Ellis, der seit längerem auch zur Stammband des gebürtigen Australiers, den Bad Seeds, gehört, während der ersten Lockdown-Wochen mit geradezu zwanghaftem Schreiben als „Balcony Man“ auf seinem Balkon. Gemeinsam mit Ellis im Studio entstanden die acht Songs in nur zweieinhalb Tagen. Ein Album war geboren. Eines, das Nick Cave als „eine brutale, aber wunderschöne Aufnahme, eingebettet in eine gemeinschaftliche Katastrophe“ bezeichnet.

Ganz im Gegensatz zu seinem live am Flügel eingespielten Lockdown-Album „Idiot Prayer“ war das intellektuelle Gemetzel „Camage“ (Goliath Records) ein stetiges Zulassen von Ideen und Fragmenten, Bildern und Metaphern, die zunächst nicht in ein Songkorsett gesteckt wurden. Einfach alles erst einmal passieren lassen war das selbstauferlegte Credo des eingespielten Duos, das bereits dem gefeierten Cave-Album „Ghosteen“ mit dieser Arbeitsweise eine unglaubliche Tiefe eröffnete. ??Cave, 63, und Ellis, 56, sind das kreative Zentrum der Bad Seeds, weshalb die Abwesenheit der anderen Musiker nicht ins Gewicht fällt.

Mosaik aus vielen Bausteinen

„Hand of God“, der Opener des Albums, offenbart die Herangehensweise der beiden Australier vortrefflich und könnte auch aus dem Hause Radiohead stammen, wäre da nicht diese eindringliche Stimme Nick Caves, die gleich einer gesungenen Predigt relativiert, zelebriert und Gedankenströme bündelt. Auch wenn sich die bekannten Zutaten der letzten Cave-Alben oftmals fein orchestriert ausbreiten dürfen, hier wirkt auch die Kraft des musikalischen Mosaiks, das unterschiedlichste rhythmische und oftmals vitale Formen annehmen darf, ob es nun in wohligster Harmonie durch Lavendelfelder geht oder schmerzhaft über einen Scherbenhaufen.

Der stille Schrei, das brüllende Nichts – Nick Cave kann eben auch die Zwischenräume besingen und füllen und dabei nach all den Bildgewalten des Songs „White Elephant“ auch zum hymnischen Erlöser werden. Digital ist „Carnage“ bereits veröffentlicht worden, als CD und Vinyl erscheint das Album dann am 28. Mai. Udo Eberl