Erfolgsverwöhnt in die Schlappe

Neurobiologe vermutet kognitive Ermüdung bei deutscher Fußballnationalmannschaft

Der Neurobiologe Hans-Peter Thier sieht Brasilien und Spanien als Favoriten.

18.06.2018

Von Angelika Bachmann

Symbolbild: verdateo - fotolia.com

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Man musste kein Wissenschaftler sein, um zu sehen, dass die deutsche Mannschaft beim WM-Spiel gegen Mexiko nicht gerade vor Motivation sprühte. Die Wissenschaft kann jedoch erklären, wie diese Motivationslosigkeit zustande kommt, sagt der Tübinger Hirnforscher Hans-Peter Thier. Hat die deutsche Mannschaft ihren Siegeshunger verloren? Ist sie nach vier Weltmeistertiteln übersättigt? Wissenschaftlich ist diese Erklärung durchaus plausibel. Denn ein gewisses Maß von Übersättigung ist quasi evolutionsbiologisch im Menschen angelegt, teilte der Wissenschaftler am Hertie-Institut für klinische Hirnforschung am Montag mit.

Auch am Tübinger Hertie-Institut untersucht man, wie der Mensch Bewegungen ausführt – nämlich „mit maximalem Einsatz, wenn das Ziel neu und wichtig ist. Aber Bekanntes wird schnell langweilig, die Bewegung verliert an Bedeutung und wird nicht mehr mit dem nötigen Einsatz ausgeführt.“

Hans-Peter Thier. Bild: Rappers/HIH

Hans-Peter Thier. Bild: Rappers/HIH

Thier nennt das „kognitive Ermüdung“. Die Forschung zeige, dass selbst simple Bewegungen durch ein überraschend großes Maß an Variabilität gekennzeichnet sind: Man bewegt sich mal ein bisschen schneller, mal langsamer. Der Nutzen einer jeden Bewegung werde jedes Mal aufs Neue kalkuliert: Lohnt es sich, so viel Energie zu investieren? Was auf dem Weg ins WM-Finale eher hinderlich ist, macht evolutionsbiologisch durchaus Sinn. „Wenn wir ständig unter Volldampf stünden, wären unsere Energieressourcen rasch erschöpft“, erklärt Thier. Nur ein schwacher Trost für Fans, Spieler und Trainer ist, dass das Ganze unbewusst vonstatten geht. „Letztlich reicht die Zeit gar nicht, sich die nötigen Abwägungsprozesse bewusst zu machen.“

Thier spricht von einem Dilemma. „Als Spieler muss man den unbedingten Willen haben zu gewinnen, um erfolgreich zu sein. Nur leider sind Teams, die immer wieder Titel erringen, irgendwann übersättigt – für sie ist es einfach nicht mehr ausreichend wichtig, wieder zu gewinnen.“ Deshalb sei es ein kluger Schachzug von Bundestrainer Jogi Löw gewesen, sowohl erfahrene Profis als auch hungrige junge Spieler mit nach Russland zu nehmen.

Und so sieht der neurobiologische Tipp fürs WM-Finale aus: „Ich habe das Spiel der Spanier gegen die deutsche Nationalmannschaft gesehen und war beeindruckt von der Qualität der Spanier. Hier gibt es genügend junge Spieler mit ausreichender Motivation.“ Aber vor allem bei den Brasilianern sei die Motivation besonders hoch. „Nach dem Desaster der 1:7-Niederlage gegen die deutsche Mannschaft vor vier Jahren vor heimischem Publikum ist man natürlich gierig, diese Scharte auszuwetzen.“

Der Wissenschaftler hält aber auch die Deutschen trotz der Schlappe im Auftaktspiel nicht für chancenlos: „Dem Bundestrainer kann es aus meiner Sicht aufgrund seiner Erfahrung noch gelingen, aus der Mischung erfahrener und junger Spieler eine geschlossene und hochmotivierte Mannschaft zu formen.“

Neurobiologe vermutet kognitive Ermüdung bei deutscher Fußballnationalmannschaft

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Erstellt:
18.06.2018, 18:55 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 19sec
zuletzt aktualisiert: 18.06.2018, 18:55 Uhr

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