Schwindliges Jetzt

Neue Gedichte von Eva Christina Zeller

Auf schwankenden Grund führen die neuen Gedichte der Tübinger Lyrikerin Eva Christina Zeller. Wasser ist kein Element, das die Schritte des Menschen trägt, und gar „Auf Wasser schreiben“, wie der Titel des Bandes lautet, scheint erst recht ein vergebliches Unterfangen.

17.03.2016

Von dhe

Neue Gedichte von Eva Christina Zeller

Tübingen. Die 56-jährige Lyrikerin bezieht sich auf einen Arbeitsaufenthalt in der Lagunenstadt Venedig, wo jedes Wasserfahrzeug – sie hat Dieselboot, Vaporetto und Traghetto zu unterscheiden gelernt – den beweglichen Schreibgrund verändert.

Plätze und Menschen lässt Zeller fast ganz beiseite, beschränkt sich auf Wasser und Licht, die flüchtige Schönheit der Lichtspiegelungen auf Kanälen und Meer, für die es in Venedig einen eigenen Ausdruck gibt. Manchmal werden die Abnutzungen der Gegenwart zu stark für den Zauber, in „dieser schrecklichen stadt / die glänzt und blendet“, während der Müll durch sie hindurchtreibt. Eine Möwe mit gebrochenem Genick konfrontiert mit der eigenen Sterblichkeit – wie bei einer anderen Reise, viel weiter nördlich, der Fuchs am Straßenrand, den die Lyrikerin so detailliert vor Augen hat, als sollte er wieder lebendig werden für sie.

Wie schwer es ist, der Vielzahl an touristisch verfestigten Venedig-Ansichten eigene Wortprägungen entgegenzusetzen, spricht aus Versen wie „jeden morgen trittst du in dieses bild“. Dennoch geht Zeller die poetische Arbeit auch mit spielerischer Leichtigkeit von der Hand: In Zeilen wie „kinder kicken gegen jahrhunderte“, in denen doch die morbide Grandezza der eineinhalb Jahrtausende alten Stadt zu spüren ist.

Ihren Lesern „im schwindligen jetzt“ schenkt die Lyrikerin Momente einer seltenen Konzentration. Sie lädt dazu ein, sich im Grundlosen eigene, wenn auch flüchtige Verankerungen zu schaffen und nennt das „auf wasser malen / mit kleiner geste“ – als setze sie sich bewusst ab von der Pracht der Tradition.

Ihre Bildsprache scheint geschult am schwer zu fassenden Element Wasser. Sie zitiert Schriftsteller, die vor ihr dort auf Fischzug gingen: bis sich Worte in ihren Netzen verfingen oder so leibhaftig wirkende Figuren, dass man ihnen in ihren imaginären Städten zu begegnen meint. Der Autorin selbst widerfährt das in der französischen Stadt Angoulême mit Balzacs Madame de Bargeton. Das entsprechende Gedicht heißt „verlorene illusionen“ – wie der berühmte Roman des großen Realisten.

Mit Staunen registriert man, welche verschlungenen Erinnerungsräume sich in den meist knappen Gedichten öffnen. Uralte Fragen stellen sich der Lyrikerin neu: „wollte odysseus wirklich nach hause?“ Sie zieht Goethe, Leonard Cohen, den irischen Böll, Descartes oder Meister Eckehart als Zeugen heran und ist doch ebenso eindringlich, wenn sie ganz in der Nähe bleibt, bei der heimischen Libelle „blaugrüne mosaikjungfer“, die sie noch einmal zurückholt ins Leben, mit ihrem Flügelschlag, dem charakteristischen Sirren und dem Aufprall auf die Menschenwelt. dhe

Info Eva Christina Zeller und Walle Sayer lesen aus ihren neuen Gedichten am Freitag, 18. März, 20 Uhr, in Der Lilaladen, Im Öschle 2, Hirschau.