Die Früchte der Arbeit von anderen

Naturprodukte global gesehen: Neuer Stationenpfad im Botanischen Garten

Wie arbeitet der Kakaobauer, der den Rohstoff für die Schokolade im Supermarkt liefert? Eine neue Ausstellung im Botanischen Garten auf der Morgenstelle schaut an zehn Beispielen genauer auf die globalisierte Pflanzennutzung. Zur Eröffnung am Sonntag kamen etwa 50 Besucher.

16.08.2016

Von DOROTHEE HERMANN

Der Biologe Marian Lechner (Mitte, im weißen Hemd) berichtete Ausstellungsbesuchern am Sonntagnachmittag vor dem Kakaobaum im Schaugewächshaus des Botanischen Gartens, dass Deutschland der zweitgrößte Kakaokäufer der Welt ist. Häufig müssen Kinder den Schoko-Rohstoff pflücken.Bild: Franke

Der Biologe Marian Lechner (Mitte, im weißen Hemd) berichtete Ausstellungsbesuchern am Sonntagnachmittag vor dem Kakaobaum im Schaugewächshaus des Botanischen Gartens, dass Deutschland der zweitgrößte Kakaokäufer der Welt ist. Häufig müssen Kinder den Schoko-Rohstoff pflücken.Bild: Franke

Tübingen. Bei Banane, Kaffee oder Kakao ist es offensichtlich: Sie stammen von exotischen Pflanzen, sind aber hierzulande längst Alltagsprodukte geworden. Anbaubedingungen und Transportwege bleiben meist ausgeblendet. Das will der Biologe Marian Lechner ändern. Der 30-Jährige hat den Stationenpfad „Die Frucht der Arbeit – Pflanzennutzung im Spannungsfeld der Globalisierung“ entwickelt. Denn für den gebürtigen Wiener gehören solche Zusammenhänge zu den zentralen Aufgaben moderner botanischer Gärten, die sich jahrhundertelang vor allem auf Forschung und Erhaltung von Pflanzen konzentrierten. „Am Anfang wurden Arzneipflanzen kultiviert. Später wollte man zur Schau stellen, was in den jeweiligen Kolonien wuchs“, sagte Lechner bei der Ausstellungseröffnung am Sonntagnachmittag. Ursprünglich hat er die Schau für den Botanischen Garten in München-Nymphenburg konzipiert.

Die Sojasoße ist nicht

das Problem

Der Biologe möchte erreichen, dass sich Konsumenten stärker dafür interessieren, welche Auswirkungen es hat, wenn durch den steigenden Fleischkonsum weltweit mehr Soja-Anbauflächen benötigt werden. Denn die Hülsenfrucht wird nicht etwa nur gelegentlich für Sojasoße verwendet, sondern vor allem für Viehfutter. „Wer viel Fleisch will, der braucht viel Soja“, heißt es auf der Schautafel nicht weit vom Haupteingang des Botanischen Gartens. Oder: „Südbrasiliens Urwald verschwindet für die Welternährung.“ Der Sojabauer Rodolfo Moureira, den Lechner selbst in Brasilien interviewt hat, und dessen Foto als 39-Jähriger im Botanischen Garten zu sehen ist, hatte eine ganz andere Perspektive: „Ich ernähre die Welt.“ Dem Familienvater ermöglichte die Rodung von 100 Hektar Urwald für den Soja-Anbau einen gewissen Wohlstand. Er zahlte einen hohen Preis dafür: Durch die ständige Arbeit mit Spritzmitteln – Soja erfordert eine intensive Unkraut- und Schädlingsbekämpfung – erkrankte er an Leukämie und starb, so Lechner. „Die Rückstände können über das Kraftfutter in das Fleisch auf unserem Teller gelangen“, erfahren die Besucher.

Im Arboretum, dem Baumgarten des Botanischen Gartens auf der anderen Seite des Nordrings, steuerte der Biologe auf den ersten Blick unproblematische Pflanzen an – wie Rose, Walnussbaum oder Nordmanntanne (siehe nebenstehenden Kasten). Im Tübinger Norden tragen etliche Rosensträucher noch duftende Blüten, andere haben schon dicke Hagebutten angesetzt. Fern schien der weltweite Blumenhandel, der allein in Deutschland ein Volumen von jährlich 3,2 Milliarden Euro erreicht. „Wir fliegen die Rosen aus Ländern ein, wo sie schön wachsen“, sagte der Biologe. Im Winter sei das ökologisch verträglicher, als hier Gewächshäuser zu beheizen und die Pflanzen zu wässern. „Rosen brauchen unglaublich viel Wasser.“ Andererseits sei vielleicht in Tansania ein See in der Nähe und die Leute bräuchten Arbeitsplätze. Die Kehrseite: Arbeit unter Spritzmitteln und Tageslöhne von einem Euro.

Nicht alle Fotos auf den Schautafeln sind authentisch, räumte Lechner ein. Es wäre zu aufwändig gewesen, in weit entfernten Ländern die Bildrechte bestätigen zu lassen. Deshalb hat er in München beispielsweise eine chinesische Studentin gebeten, der kirgisischen Walnusspflückerin ihr Gesicht zu leihen.

Die Wechselwirkungen von Biologie und den Verhaltensweisen der Menschen haben Lechner schon immer interessiert. „Dann musst du halt Lehrer werden“, hörte er früher oft. Stattdessen entdeckte er die Nachhaltigkeitswissenschaften, die seiner Überzeugung nach auch die Botanischen Gärten bereichern könnten. Denn die Gartenparadiese sollten nicht nur unterschiedliche Weltgegenden nachbilden, sondern auf die Zusammenhänge der globalisierten Wirtschaft aufmerksam machen. „Es reicht nicht mehr, einfach etwas zu verbieten, weil es schädlich ist“, betonte er. Konsumenten müssten aktiv eine eigene Haltung entwickeln – indem sie sich darum kümmern, wie es am anderen Ende der Produktionskette aussieht. Sich auf diese Weise in andere hineinzuversetzen, zu bedenken, was die Voraussetzungen dafür sind, damit selbstverständlich gewordene Produkte wie Kaffee, Kakao oder der Rosenstrauß auf dem Tisch stehen, gehöre zu einem nachhaltigen Leben.

Der Begriff Nachhaltigkeit komme ursprünglich aus der Forstwirtschaft, sagte er. Gemeint sei das Prinzip, „nur so viele Bäume zu entnehmen, wie wieder nachwachsen“. Eine breite gesellschaftliche Diskussion werde gebraucht. „Die Ausstellungstafeln können da nur ein erster Anstoß sein.“ Auf diese Weise möchte der Biologe auch dem verbreiteten Fatalismus entgegenwirken, man könne ohnehin nichts tun oder sich auf die Position zurückziehen: „Was ich auch tue, es ist schlecht.“ Den mittlerweile „extremen Abstand zwischen Wissen und Handeln“ will er ein bisschen kleiner machen.

Der globalisierte Weihnachtsbaum

Die Nordmanntanne wirkt auf den ersten Blick nicht wie ein Skandalprodukt. Der beliebte Weihnachtsbaum kommt aus deutschen Baumschulen. Doch die Samen stammen aus dem Kaukasus. Dort holen Tannenzapfensammler sie unter extrem unfallträchtigen Bedingungen aus den Wipfeln der Bäume. „Ein Zapfensammler verdient pro Woche so viel wie ein Lehrer in Georgien in einem Monat“, sagt der Biologe Marian Lechner. Das Positive: Die Bäume bleiben im Kaukasus. Die geraden und besonders hochwüchsigen Bäume seien eine Modeerscheinung. Bis in die fünfziger und sechziger Jahre hinein wurde unter Blau- oder Rotfichten Weihnachten gefeiert.

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Erstellt:
16.08.2016, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 26sec
zuletzt aktualisiert: 16.08.2016, 01:00 Uhr

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