Tübingen

Narrenschiff-Gleichnis

Der Film „Utøya 22. Juli“ nimmt die Perspektive der Opfer des norwegischen Rechtsextremisten und Massenmörders Anders Behring Breivik ein – und zieht damit den Zuschauer hinein in einen 72-minütigen Horror („Nirgendwo ein sicherer Ort“, Regionale Kultur).

16.10.2018

Von Uwe Brauner, Tübingen

Erik Poppe verbannt die Hintergründe des schwersten Verbrechens in Norwegen seit dem Zweiten Weltkrieg in die dürren Worte des Abspanns. Er spielt einen begünstigten Massenmord zum Drama von zu Tode geängstigten Teenagern herunter, die eine funktionierende Polizei schließlich vor einem übermächtigen Täter rettet. Dessen fatale Kindheit ist ihm wurscht.

Poppe scheint außerstande, interessierter und umsichtiger als die Polizei auf die Störung ihres Tiefschlafs zu reagieren. Diese hatte einen rechtzeitigen Einsatz, der viele Menschenleben gerettet hätte, mit geradezu krimineller Fahrlässigkeit verbummelt. Weder, dass Breiviks Kinderpsychologen einst vergeblich Alarm schlugen, ist ihm eine Szene wert, noch dass zwei Polizisten eigenmächtig die Entscheidung trafen, ihre Kapazität zur Suche nach Breivik durch einen Gefangenentransport von niederster Priorität zu binden (den sie „schnell noch abhakten“), als Breivik nach der Zündung seiner Bombe in Oslo zur 40 Kilometer entfernten Insel Utøya fuhr und sein Autokennzeichen im Polizeifunk kursierte. Eine andere Streife missachtete den Verfolgungsbefehl zugunsten eines Psychiatrie-Einsatzes. Ein weiterer Polizist widersetzte sich dieser Anweisung direkt, weil ihm die Angabe der Autonummer „zu vage“ (!) schien. Zudem war der einzige Polizeihubschrauber nutzlos, weil seine Belegschaft im Juli kollektiv Urlaub machte.

Wir haben es mit einem Gleichnis für das globale Narrenschiff zu tun, wie Asne Seierstads Weltbestseller „Einer von uns“ enthüllt.