Sie zimmern Bänke, Tische - und ein Holzpferd mit Perücke

Nachbarschaftsidee wird zum Verein: In Mähringen sind „Flüchtlinge am Werk“

Rund zehn Flüchtlingsfamilien leben seit August in Mähringen – in zwei vom Landkreis angemieteten Häusern. Da es im Garten der Unterkünfte keine Sitzgelegenheiten gab, begann Walter Erbe, mit den Bewohnern Bänke und Tische zu bauen. Aus der Nachbarschaftsidee ist mittlerweile ein Verein geworden: „Flüchtlinge am Werk“.

01.05.2016

Von Christine Laudenbach

Gute Laune im Garten der Wankheimer Straße: Walter Erbe (hintere Reihe, weißes Shirt) und seine Frau Ulrike Wolff (rechts daneben) im Kreis der samstäglichen Kerngruppe und deren Familien. Bild: Sommer

Gute Laune im Garten der Wankheimer Straße: Walter Erbe (hintere Reihe, weißes Shirt) und seine Frau Ulrike Wolff (rechts daneben) im Kreis der samstäglichen Kerngruppe und deren Familien. Bild: Sommer

Mähringen. Wo sie sich kennengelernt haben? Na, auf der Straße halt, erzählt Walter Erbe, so wie das auf dem Dorf eben ist. Seit August wohnen die Flüchtlingsfamilien nun in der Wankheimer- und der Neckar-Alb-Straße. In der Nachbarschaft ist seitdem mehr Leben. Der Spielplatz brummt. In den Gärten der beiden Häuser vermissten jedoch viele eine Sitzgelegenheit. Für den 51-jährigen Mähringer Zimmermann war klar: Die bauen wir selbst. Also trommelte er in den Unterkünften für seine Idee und lud die Helfer vor rund acht Wochen samstags zu sich in die Syndikat-Zimmerei. Aus Holzresten baute er mit den Männern Tische und Bänke.

Die Aktion kam bei allen Beteiligten gut an, die Produkte ebenso. Als die Truppe irgendwann ein Holzpferd zimmerte und für die Kinder im Garten aufstellte, kam das Projekt richtig in Schwung: Nachbarskinder kamen zum Spielen und waren ganz wild auf das hölzerne Haustier. Also spendeten Erbe und seine Männer das nächste Exemplar der Mähringer Pusteblume. Die Resonanz aus dem Kindergartenumfeld war dann so groß, „dass wir dachten, das können wir doch öfter machen“.

Mittlerweile trifft sich der Zimmermann samstags regelmäßig mit einer Kerngruppe aus fünf Männern. Sie sind mit ihren Familien aus Albanien und Gambia geflohen. Die wenigsten haben in ihrer Heimat jemals Holzpferde, Tische oder Bänke gezimmert. Sie waren an der Uni oder auf dem Bau. Kein Problem, sagt Erbe. Wichtig sei, etwas gemeinsam zu schaffen – und anschließend zusammenzusitzen.

Endri ist einer von ihnen. Er sei froh, endlich eine Beschäftigung zu haben. Der 34-jährige Baggerfahrer kommt aus Albanien. „Wir haben hier nichts zu tun“, klagt er in einem Mix aus Englisch und Deutsch. Die Arbeit sieht er als Möglichkeit, sich zu integrieren – wobei es für ihn kein Job, sondern Spaß sei, wie er lachend sagt. Alieu nickt. Große Worte macht der junge Mann aus Gambia nicht. Den Meterstab hat der 21-Jährige aber offenbar immer in der Hosentasche. Auch beim Treffen mit dem TAGBLATT gestern.

„Menpower und Zeit“: Daraus lässt sich mehr machen, fanden Walter Erbe und sieben weitere Mähringer sehr bald – und brachten einen gemeinnützigen Verein auf den Weg. Damit die Sache wachsen kann, wie der Zimmermann es formuliert. Wohin sie in naher Zukunft wachsen soll, schwebt ihm deutlich vor: Vom 5. bis 8. Mai werden die Mähringer ihre Holzwerke auf der „Garden Life“ in Reutlingen anbieten. Erbe hofft, dass sich Pflanztröge und Wikinger-Schach gut verkaufen werden. Am „Tag des offenen Ateliers“ will die Gruppe ihre Werke dann auf den Härten präsentieren. Erbe hofft, dass es danach „Bestellungen hagelt“. Die „unverwüstlichen“ Holzpferde für rund 100 Euro seien mittlerweile begehrt. Ihre wallenden Mähnen waren im früheren Leben Faschingsperücken. Erbe hat sie zu günstigen Konditionen im Netz bestellt. Als er der Firma das Flüchtlingsprojekt schilderte, sicherte sie einen Preisnachlass zu.

Mit der Idee der „Flüchtlinge am Werk“ würde er meist auf offene Ohren stoßen. Nachdem sich die Vereinsgruppe im Gemeindeboten vorstellte und nach einem Raum mit Werkstatt suchte, habe die Zeitung angerufen – und der Bürgermeister. Jürgen Soltau stellte den Mähringern einen gemeindeeigenen Raum im Nachbarort in Aussicht. Dieser müsste etwas hergerichtet werden, dafür gebe es aber Mietnachlass. Sobald der Ortschaftsrat grünes Licht gibt, könnten sie loslegen. Als Dauereinrichtung sei die Zimmerei nicht geeignet. Auf lange Sicht sollte der Verkaufserlös die Ausgaben für Material und den Unterhalt des Raumes decken.

Und mehr: „Wenn ich weiter träume“, sagt Erbe abschließend, werde der Verein irgendwann jemanden einstellen, der die Fäden in der Hand hält. Dann würde er sich etwas zurückziehen. Wenn es noch besser läuft, schwebe ihm vor, „den einen oder anderen Flüchtling anzustellen“. Momentan jedenfalls haben die „Flüchtlinge am Werk“ gut zu tun. Walter Erbe überrascht der Erfolg des Mähringer Nachbarschaftsprojektes nicht. Auf die Frage, ob er mit so viel Resonanz gerechnet hat, gibt es ein klares, kurzes „Ja!“

Info: Infos und Bestellungen unter www.fluechtlinge-am-werk.de.