Da war ich noch nie (2): Gernot Stegert im Schwarzen Schaf

Nach ein Uhr geht die Party los

Das Schwarze Schaf in der Tübinger Mühlstraße verwandelt sich um Mitternacht von einer gemütlichen Bar in ein Tanzlokal mit ausgelassener Stimmung.

24.08.2017

Von Gernot Stegert

Mit weißem Hemd war Gernot Stegert (rechts an der Theke) im Tübinger Schwarzen Schaf. Gegen 23 Uhr war es noch recht leer. Bild: Faden

Mit weißem Hemd war Gernot Stegert (rechts an der Theke) im Tübinger Schwarzen Schaf. Gegen 23 Uhr war es noch recht leer. Bild: Faden

Schwarzes Schaf – war davor nicht neulich eine Prügelei? Kommen Männer da Frauen beim Tanzen näher als diese wollen? Ist das Lokal nicht zugleich sehr beliebt? Was für Leute gehen da überhaupt hin? So viele Fragen bedeuten für einen Journalisten vor allem eines: sich selbst ein Bild machen.

Es ist ein lauer Sommerabend kurz vor 23 Uhr. Vor dem „Ribingurumu“ in der Mühlstraße sitzen und stehen viele junge Leute, überwiegend Studierende. Gegenüber vor dem Schwarzen Schaf steht keine Schlange, auch kein Kontrolleur. Die Tür steht offen, eine Kasse gibt es noch nicht. Es geht die Stufen hoch in den ersten Stock zur Bar. Die Tanzfläche im Keller ist an diesem Donnerstagabend in den Semesterferien geschlossen. Der Raum oben ist so klein wie ein großes Wohnzimmer. Der erste Eindruck: gemütlich. Gegenüber erstreckt sich auf fast ganzer Länge die Theke. Kleine runde Tische stehen im Raum, jeweils drei bis vier dreibeinige Hocker darum.

Ein wilder Stilmix

Nur die Hälfte der Plätze ist um diese Zeit besetzt. Die Einrichtung ist ein wilder Stilmix, aber alles irgendwie ein bisschen alt oder auf alt. Die Wände sind teils rot gestrichen, an manchen Stellen kleben Blümchen-Tapeten. Am Durchgang zum Raucherraum hängt dann eine Tapete mit schwarzen Schafen, von den zunächst oder vor allem die weißen Köpfe auffallen. An einem Pfosten hängt ein Pop-Mao, überkritzelt und zerkratzt, an einer Wand fallen zwei Schwarz-Weiß-Fotos im Retro-Stil mit Frauen in lasziven Posen auf. Das Licht ist warm im Ton und gedämpft. Aus den Boxen dröhnen harte Elektro-Beats im Wechsel mit Mainstream-Pop.

Die Gäste sind jung, sehr jung, überwiegend Studierende der ersten Semester oder noch jünger. Aber nicht nur. Ich fühle mich alt und fehl am Platz. Erinnerungen an den Anfang der eigenen Studentenzeit 1982 werden wach, das Gefühl des Aufbruchs und der Freiheit. Auch nachts machen zu können, was man will. Doch nein, das ist nicht eben erst gewesen. Ich bin dreimal so alt wie die vielen gerade Volljährigen im Schwarzen Schaf.

Fast alle tragen Turnschuhe, die jungen Männer T-Shirts, die Frauen leichte Tops, manche bauchfrei. Einige verlängern ihre Beine optisch mit Highwaste-Jeans. Eine Frau mit gemustertem engen Kleid und High Heels fällt auf. Getrunken werden Wein, Bier Cocktails oder Brausegetränke, von manchen auch durcheinander. Ich nehme eine Holunder-Bionade, alkoholfreies Bier gibt es nicht. Auch die Cocktails, die Barkeeper Mirko neuerdings mixt, sind alle mit Alkohol.

Alles ist locker, betont locker im Schaf. Neue einzelne Gäste begrüßen andere wie Kumpels. Viele kommen in kleinen Gruppen, zu dritt oder viert. Männer für sich, Frauen für sich. So langsam füllt sich der Raum.

Gegen 23.20 Uhr beginnen drei Männer mit dem Versuch, die Partyphase einzuleiten. Sie machen rhythmische Bewegungen zur Musik mit den Armen und den Hüften. Sie schauen sich um. Doch niemand reagiert.

Ein Mann tritt ein, etwa 60 Jahre alt, mit Vollbart, aber kein Hipster. Er schaut in jeden Winkel, sucht jemanden. Die Tochter? Offenbar erfolglos. Er wirkt traurig. Nach ein paar Minuten ist er wieder weg. Und ich bin wieder der Raumälteste.

Showtanz auf dem Hocker

Die Beats der Musik werden härter. Der Popanteil schwindet, Hiphop kommt dazu. Das Trio will sich nun zeigen. Die drei Männer steigen jeweils auf einen dreibeinigen Hocker und tanzen. Als wären sie bei den Chippendales. Gekonnten Moves folgen rasch anzügliche Gesten mit der rechten Hand vor der Körpermitte. Ihre Blicke heischen nach Anerkennung bei Frauen. Doch vergeblich.

Viertel nach zwölf ist der Raum fast voll. Mirko, nun in neuem Job, geht durch die Menge und sammelt die Vasen von den Tischen ein. Bald darauf räumt er die Hocker und dann die Tische weg. Mitten durch die nun bereits tanzende Menge. Immer lächelnd. Innerhalb weniger Minuten ist aus einer Bar ein Tanzschuppen geworden. Es ist warm, aber weniger stickig als befürchtet. Die Lüftungsanlage funktioniert.

Die drei Männer tanzen nun auf der Tanzfläche mit großen Gesten und raumgreifenden Bewegungen. Mirko macht deshalb ein dämpfendes Handzeichen. Sie folgen dem sofort und lassen den anderen mehr Platz.

Vor mir wippen vier sehr jung aussehende Frauen von einem Bein aufs andere und schwingen leicht mit den Armen. „Ich habe zu viel getrunken“, sagt eine. Ihr Blick wirkt glasig. Mehr aber auch nicht. Vom Schwanken keine Spur. Die anderen bleiben bei ihr.

Halb eins füllen rund 70 Menschen den kleinen Raum. Für einen Donnerstagabend mitten in den Semesterferien ist das viel. Das zeigt, wie beliebt das Schwarze Schaf ist. Mehr als Stehtanz geht auf der Fläche nicht. Es ist eng. Aber friedlich. Auch von Grapschen ist nichts zu sehen. Manche Frauen flirten, andere zeigen Männern die kalte Schulter. Manche suchen offensichtlich jemanden für die Nacht, die meisten wollen erkennbar ihren Spaß beim Tanzen. Um ein Uhr herrscht richtige Party-Stimmung. „Put the hands in the air“, tönt aus den Lautsprechern – und viele singen mit, fast alle reißen die Hände rhythmisch in die Höhe.

Ich breche auf. Unten an der Treppe ist längst die Kasse aufgebaut, draußen steht ein Türsteher. Zwei junge Männer warten und dürfen nun, wo ich und noch jemand Platz gemacht haben, endlich rein. Viel Spaß.

Zum Dossier: Da war ich noch nie

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Erstellt:
24.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 43sec
zuletzt aktualisiert: 24.08.2017, 01:00 Uhr

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