Tübingen

Nach Party-Wochenende: Stadt plant Alkoholverbot

Nachdem am Wochenende Hunderte auf dem Tübinger Holzmarkt in die Nacht feierten, greift die Stadt nun wieder ein und bereitet eine Allgemeinverfügung vor, die den Ausschank und den Konsum von Alkohol außerhalb der Außengastronomie auf öffentlichen Plätzen im Stadtzentrum untersagen soll.

31.05.2021

Von Lorenzo Zimmer & Moritz Hagemann

Die Menge des Mülls, der in den Nächten zu Samstag und Sonntag hinterlassen wurde, schätzt eine städtische Reinigungskraft, die anonym bleiben will, in einem Gespräch mit dem TAGBLATT „nicht anders“ ein als „nach einem üblichen Wochenende im Sommer vor der Pandemie. Das sah vor Corona nach jedem warmen Wochenende so aus“, sagt sie. Sie habe außerdem beobachtet, dass sich Polizei und Ordnungsamt am Wochenende „nicht trauten, richtig einzugreifen“, weil sie im Vergleich zur anwesenden Menschenmenge „eklatant unterbesetzt“ seien.  Privatbilder

Die Menge des Mülls, der in den Nächten zu Samstag und Sonntag hinterlassen wurde, schätzt eine städtische Reinigungskraft, die anonym bleiben will, in einem Gespräch mit dem TAGBLATT „nicht anders“ ein als „nach einem üblichen Wochenende im Sommer vor der Pandemie. Das sah vor Corona nach jedem warmen Wochenende so aus“, sagt sie. Sie habe außerdem beobachtet, dass sich Polizei und Ordnungsamt am Wochenende „nicht trauten, richtig einzugreifen“, weil sie im Vergleich zur anwesenden Menschenmenge „eklatant unterbesetzt“ seien. Privatbilder

Szenen wie in Stuttgart waren es nicht, aber dennoch: In der Tübinger Altstadt war in den lauen Vorsommer-Nächten des vergangenen Wochenendes viel zu viel los. Die Polizei schätzt, dass in der Nacht auf Samstag etwa 500 überwiegend junge Menschen den Holzmarkt belagerten. „Das war eigentlich ein einziger großer Corona-Verstoß“, sagte eine Polizeisprecherin dem TAGBLATT. Auch in der Nacht darauf hatten sich Hunderte versammelt. Vereinzelt habe es Anzeigen wegen Ordnungswidrigkeiten gegeben.

Bilder, die in den sozialen Medien herumgingen, zeigten: Abstände und Maskengebot wurden kaum eingehalten, die Feiernden ließen Müll und Scherben auf den Treppen zurück. Es sei „eine sehr aggressive Stimmung“ gegenüber den Beamten gewesen, so die Polizeisprecherin. Die Einsatzkräfte seien vereinzelt aus der Menge heraus, teils sogar in Sprechchören beleidigt worden. Körperliche Übergriffe auf die Beamten habe es allerdings nicht gegeben.

Von „einigen Auseinandersetzungen in der Mühlstraße und der restlichen Altstadt“ berichten junge Tübingerinnen und Tübinger, die in den Nächten auf Samstag und Sonntag unterwegs waren. Auf dem Holzmarkt selbst habe sich eine „besorgniserregende Zahl Feierwütiger“ versammelt, schildert ein 33-jähriger Arzt, der vor Ort war und anonym bleiben will. „Es war, so weit das Auge reichte, kaum noch ein Plätzchen frei.“ Auf der Treppe zur Stiftskirche „sowieso nicht“ – dort sei „kaum Stehen, geschweige denn Gehen“ möglich gewesen.

„Auf dem ganzen Holzmarkt war alles voll.“ Er selbst habe den Schauplatz – trotz vollständiger Impfung – gegen 23 Uhr verlassen: „Es war alles voller Menschen, dazwischen vielleicht mal ein Meter Platz.“ Einige Polizeistreifen, Security-Kräfte und Mitarbeiter des Ordnungsamts seien immer wieder über den Platz gelaufen, hätten zunächst aber nicht eingegriffen. Die Stimmung sei friedlich gewesen. Ein mulmiges Gefühl sei also nicht durch Aggressionen entstanden, sondern „eher durch Gedanken an Inzidenzen und die Pandemie“ ausgelöst worden.

Der Holzmarkt am Samstagmorgen: Ein Platz übersät mit zerbrochenen Flaschen und anderem Partymüll. Bild: Dirk Schumacher

Der Holzmarkt am Samstagmorgen: Ein Platz übersät mit zerbrochenen Flaschen und anderem Partymüll. Bild: Dirk Schumacher

Gegen 1 Uhr, so berichtet ein weiterer Augenzeuge, habe die Polizei den Holzmarkt geräumt. „Ich wollte die Neckargasse hoch, da kam mir eine Menschenmasse entgegen, die von einer Polizeikette aus der Altstadt herausgedrängt wurde.“ Der 27-jährige Handwerker hat selbst schon eine Corona-Erkrankung durchgemacht und habe sich deswegen in der Nacht „einigermaßen sicher“ gefühlt. „Das Publikum war sehr jung und kam von überall her.“ So sei er in der Nacht zum Samstag immer wieder von Auswärtigen, etwa aus Stuttgart und Pfullingen, gefragt worden, wo in Tübingen noch eine Party steigt: „Wir wurden unter anderem von 17-jährigen Mädchen angequatscht, die noch feiern wollten. Es waren auch viele Abiturienten unterwegs.“

Eine 30-jährige Studentin aus Tübingen war mit ihren Freundinnen in der Nacht auf Sonntag auf dem Holzmarkt. Dort sei es ebenfalls sehr „ausgelassen und eng“ zugegangen, schildert sie. Mit ihren Freundinnen musste sie um 21 Uhr ihren Tisch vor einer Bar in der Hafengasse verlassen: „Wir wurden gebeten auszutrinken.“ Eine Freundin habe noch zwei geschlossene Flaschen Wein erstanden, um auf dem Holzmarkt weiterzufeiern. „Es war uns dann bald zu voll und wir sind in eine Privatwohnung weitergezogen.“

Schon in der Nacht auf Donnerstag droht wieder Andrang, schließlich wird der Feiertag von mehr als 20 Grad am Mittwoch eingeläutet. Deshalb reagieren die Verantwortlichen: Wie Oberbürgermeister Boris Palmer sagte, werde ein Alkoholkonsumverbot auf öffentlichen Plätzen im Tübinger Zentrum geplant. Wie genau die Umsetzung aussehen, wann und wo das Verbot gelten wird, will die Stadt noch mitteilen.

Ein kreisweites Verbot des Alkoholkonsums auf öffentlichen Plätzen, das es von Anfang bis Mitte Mai gegeben hatte, sei dagegen nicht geplant, sagte ein Sprecher des Tübinger Landratsamtes. Nach dem Infektionsschutzgesetz wechsle die Zuständigkeit von Mittwoch an ohnehin wieder zu den Ortspolizeibehörden, sollte die Inzidenz im Landkreis Tübingen weiterhin und somit sieben Tage in Folge unter 50 bleiben.

Bürgermeister für Aufhebung der Sperrstunde

In einer gemeinsamen Pressemitteilung sprechen sich die Oberbürgermeister Boris Palmer, Frank Nopper (Stuttgart), Matthias Klopfer (Schorndorf) und Richard Arnold (Schwäbisch Gmünd) dafür aus, die Regelung, dass die Gastronomie um 21 (bald 22) Uhr schließen muss, zu kippen: „Die Schließung der Gastronomie reduziert die soziale Kontrolle und fördert aggressive Zusammenballungen. Der Wirt erhebt Daten und kontrolliert den Ausschank. Ruhigeres Publikum verlässt wegen der Schließzeit die Stadt schon um neun. Wer bleibt, bringt den Alkohol selbst mit, und dabei verlieren offenbar allzu viele die Kontrolle.“ In einem ersten Schritt müsse die Öffnung der Gastronomie bis 23 Uhr möglich sein. Außerdem fordern die vier OB mehr Polizeipräsenz, um ein erneutes Stress-Wochenende für Bewohner und Hauseigentümer in den Innenstädten zu vermeiden.