Tübingen·Gesundheitstag

Nach 20 Minuten ohne Schlaf: aufstehen

Guter Schlaf ist eine wichtige Grundlage für Gesundheit und Wohlbefinden. Doch was kann man tun, wenn man regelmäßig nachts wach liegt oder morgens um 4 Uhr aufwacht und nicht mehr schlafen kann? „Gut schlafen“ ist das Thema des Gesundheitstags des Uni-Klinikums und des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTS am 9. Mai um 19 Uhr im Sparkassen Carré.

05.05.2019

Von Angelika Bachmann

Sein Vater wird ihm gleich noch eine Gutenachtgeschichte erzählen: Der zehnjährige Taki wird im Schlaflabor der Tübinger Kinderklinik auf Atemstörungen im Schlaf untersucht. Über die Kabel und die mit Sensoren bestückten Schläuche werden Atmung, Bewegung und Herzschlag aufgezeichnet. Bild: Ulrich Metz

Sein Vater wird ihm gleich noch eine Gutenachtgeschichte erzählen: Der zehnjährige Taki wird im Schlaflabor der Tübinger Kinderklinik auf Atemstörungen im Schlaf untersucht. Über die Kabel und die mit Sensoren bestückten Schläuche werden Atmung, Bewegung und Herzschlag aufgezeichnet. Bild: Ulrich Metz

Auf den Wecker schauen oder lieber nicht? Draußen ist es noch ruhig und dunkel. Eigentlich müsste man doch noch müde sein. Aber an Einschlafen ist nicht mehr zu denken. Denken. Tut man stattdessen an den kommenden Arbeitstag, daran, dass man für den Kindergeburtstag noch so viel erledigen müsste. Und dass man, wenn man jetzt nicht wieder einschläft, sich durch den kommenden Tag quälen wird. In der Düsternis des Nicht-Schlafen-Könnens wabert noch viel mehr durchs Gehirn. Und wofür einem bei Tag besehen mit Sicherheit machbare Lösungen einfallen würden, das erscheint nachts zwischen 3 und 4 Uhr ausweglos.

„Das ist das Melatonin“, sagt Petra Renz. „Viele fangen, wenn sie nachts aufwachen, an zu grübeln.“ Das Hormon, das den Schlaf-Wach-Rhythmus mitreguliert, verstärkt das Grüblerische. „Deshalb sind nachts alle Probleme schlimmer als tagsüber.“ Renz ist Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin am Tübinger Uni-Klinikum und hat sich intensiv mit dem Thema Schlaf befasst. Unter anderem berät sie Krebspatient/innen, die aufgrund ihrer Erkrankung oder als Nebenwirkung von Therapien und Medikamenten Schlafstörungen haben.

Rituale sind Signale an den Körper

Doch auch gesunde Menschen schlafen schlecht. Die Wissenschaft unterscheidet zwischen Einschlaf- und Durchschlafstörungen, außerdem gibt es noch das „frühzeitige Erwachen“: Man wacht frühmorgens auf und schläft nicht mehr ein. In einer Studie mit Pflegekräften im Schichtdienst kennt Renz die Probleme und Sorgen, die solche Schlafstörungen für die Betroffenen mit sich bringen. Sie berichtet zum Beispiel von einer 43-jährigen Krankenpflegerin, die insbesondere die Nachtdienste aus dem Gleichgewicht bringen. Etwa drei Mal im Monat hat diese Krankenpflegerin nachts Dienst. Eine Situation, die diese als besonders belastend empfinde. „Schon wenn sie in diese Nachtschicht reingeht, ist sie richtig gestresst.“ Diese Schichten und die Sorgen, dem nicht gewachsen zu sein, bringen den Schlaf-Rhythmus derart aus dem Lot, dass die Krankenschwester immer wieder zu Schlafmitteln greift, um wieder zum normalen Schlafrhythmus zu finden.

Auf der Suche nach Alternativen nimmt Renz neben der Stress-Situation während der Dienstzeiten noch andere Faktoren in den Blick: Wie sieht es mit der Ernährung aus? Mit Sport, Einschlafritualen und der so genannten Schlafhygiene?

Eine klare Antwort gibt Renz allen, die sich nachts ewig im Bett wälzen und an einer sogenannten „Durchschlafstörung“ leiden: „Wer länger als 20 Minuten im Bett wach liegt, sollte aufstehen.“ Und so lange aufbleiben bis er Müdigkeit verspürt, den „Schlafdruck“, wie es die Mediziner nennen. Und in der Zwischenzeit? Ein Buch lesen oder ein Hörbuch anhören. Bügeln, puzzeln oder was auch immer. Dahinter steht die Erfahrung, dass der Körper verinnerlichen soll: Das Bett ist der Ort für den Schlaf. Natürlich auch für Sexualität. Aber nicht fürs Wachliegen und Grübeln. Damit der Körper diesem Automatismus folgt (Bett = Schlafen), rät Renz auch davon ab, das Bett tagsüber als Sofa zwischenzunutzen.

Auch Schlafrituale können helfen, den Körper einzulullen. Das ist, im Übrigen, bei Kindern und Erwachsenen gleich, wie die Kinderärztin Dr. Mirja Quante, Leiterin des Schlaflabors an der Uni-Kinderklinik, weiß. Bei Erwachsenen kann es das Tässchen Tee sein, das man sich eine Stunde vor dem Schlafengehen macht. Bei Kindern ist es die Gutenachtgeschichte, das Zähneputzen, das Gutenachtlied, das Kuscheltier im Arm. Der Körper versteht die Botschaft und weiß, jetzt soll und darf er sich Ruhe gönnen. Außerdem sollte die Schlafenszeit bei Kindern nicht allzu sehr variieren. „Kinder brauchen Regelmäßigkeiten. In einer chaotischen Familie ist auch der Schlaf der Kinder eher chaotisch“, sagt Quante.

So gesehen ist das, was Taki an diesem Abend um sich sieht, eigentlich nicht sehr schlaffördernd. Statt in seinem Bett zu Hause liegt der Zehnjährige im Schlaflabor der Tübinger Kinderklinik. Ein Gurt legt sich um seine Brust, Käbelchen und Schläuche sind an ihm festgeklebt: am Hals, unter der Nase, am Mund. An seinem Finger ist ein rot leuchtender Sensor befestigt. Die Kabel leiten Messwerte an die Apparate weiter, die sich neben ihm auftürmen: Herzfrequenz, Sauerstoffsättigung, Atemkurven, Hirnströme und Bewegungsintensität. Immer wieder zippelt Taki irritiert an den Schläuchen. „Nicht wegmachen“, sagt sein Vater Michael Cafetzakis milde und kurbelt die Jalousien am Fenster nach unten.

Wenigstens eins soll an diesem Abend so sein wie gewohnt: „Jetzt gibt es eine Geschichte von Heidi. Taki ist ein echter Heidi-Fan“, erzählt Cafetzakis. Sein Sohn hat das Down-Syndrom. Und viele Kinder mit Down-Syndrom haben so genannte „schlafbezogene Atemstörungen“ – wiederkehrende Verengungen oder Verschlüsse der oberen Atemwege im Schlaf. Bei jeder Atempause wird derselbe Mechanismus in Gang gesetzt: Der Körper reagiert auf den anwachsenden Sauerstoffmangel mit einer Alarmreaktion. Das Kind wacht kurz auf, atmet wieder normal und schläft dann wieder ein.

Man darf gelassen sein

Atemstörungen im Schlaf sind gar nicht so selten: Etwa drei Prozent aller Kinder leiden darunter, sagt Quante. Die Eltern wissen oft gar nichts davon, merken nur die Folgen des schlechten Schlafs: Die Kinder sind tagsüber oft gereizt, unkonzentriert, manchmal aggressiv und zum Teil, paradoxerweise, hyperaktiv: Sie verdrängen die Müdigkeit und wollen sich wach halten. Zudem schnarchen viele dieser Kinder typischerweiße regelmäig nachts, auch wenn sie nicht erkältet sind. Kommen all diese Symptome zusammen, sollte man das beim Kinderarzt ansprechen, rät Quante, und nach den Ursachen suchen. Oft hilft es, vergrößerte Mandeln zu verkleinern (durch eine Operation oder Nasenspray). Aussichtsreich ist auch, mit kieferorthopädischer Behandlung und Logopädie die Anatomie und Muskulatur im Mund-Kiefer-Bereich positiv zu beeinflussen, um so die Atemwege im Schlaf besser frei zu halten.

Die Pflegewissenschaftlerin Petra Renz versucht Menschen mit Schlafstörungen eins nahezubringen: Gelassenheit. Sich nicht fertig machen, weil man nicht gut schläft. Den Nachtschlaf bei einem ausgiebigen Mittagsschlaf nachzuholen, sei freilich nicht zielführend. So werde das Problem nur fortgesetzt. Sie rät: Nicht mehr als 20 Minuten Mittagsschlaf. „In der nächsten Nacht werden die Tiefschlafphasen dann länger und häufiger. Der Körper holt sich seinen Schlaf.“

Beim Gesundheitstag des Uni-Klinikums und des SCHWÄBISCHEN TAGBLATTS am Donnerstag, 9. Mai, im Sparkassen Carré geht es um Schlafstörungen und Hilfen für einen guten und gesunden Schlaf. Experten des Uni-Klinikums und der Universität geben in ihren Vorträgen Anregungen und Hilfestellungen. Bei den ausführlichen Gesprächsrunden können Zuhörer fragen an die Experten stellen. Moderiert wird die Veranstaltung von TAGBLATT-Redakteur Ulrich Janßen.

Auf dem Programm stehen mehrere Kurzvorträge:

Den Auftakt macht der Pharmakologe Prof. Peter Ruth. Er spricht über Schlafmedikamente, deren Wirkungsmechanismen, Suchtgefahr und Unverträglichkeiten.

Neben Medikamenten gibt es aber noch vieles, was man selbst dazu beitragen kann, dass man besser schläft. Darüber berichtet die Pflege- und Gesundheitswissenschaftlerin Petra Renz. Außerdem geht sie darauf ein, was überhaupt unter „gutem Schlaf“ verstanden wird.

Was bringt guter Schlaf? Was passiert, wenn man schläft? Interessante Ergebnisse der Schlafforschung präsentiert Privatdozentin Susanne Diekelmann vom Institut für Medizinische Psychologie.

Über Schlaf und Schlafstörungen bei Kindern sprechen Dr. Katharina Zinke (Institut für Medizinische Psychologie) und Dr. Mirja Quante, die Leiterin des Schlaflabors an der Uni-Kinderklinik.

Die Vorträge beginnen um 19 Uhr, Veranstaltungsort ist das Sparkassen Carré in Tübingen in den Mühlbachäckern. Der Eintritt ist frei.

Die 24-Stunden-Gesellschaft kann nicht mehr abschalten

Ein neues Thema sind die Folgen, die die intensive Handy- und Tablet-Nutzung mit sich bringen. Schon länger ist bekannt, dass Bildschirme mit hohem Blaulicht- und Tageslichtanteil (LED-Bildschirme bei Fernsehern, aber auch bei Smartphones und Tablets), den Anstieg des Schlafhormons Melatonin im Körper verzögern.

Dieses Schlafhormon wird produziert, sobald das Tageslicht schwindet. Deshalb wird man im Winter, bei früher Dunkelheit, normalerweise auch früher müde als an langen, hellen Sommerabenden.

Schlafforscher raten dazu, bei elektronischen Medien den Nachtfilter zu aktivieren (der den Blaulichtanteil reduziert). Wer Schlafstörungen hat, sollte Computer und Fernseher vor dem Schlafengehen meiden.

Bei vielen Jugendlichen, so gibt die Kinderärztin Mirja Quante zu bedenken, führt die permanente Aktivierung des Gehirns durch Social-Media-Nachrichten dazu, dass diese in den Abendstunden schlecht Ruhe finden.

„Viele schlafen mit dem Handy auf dem Kopfkissen. Die Jugendlichen schaffen es nicht mehr, offline zu gehen.“ Die 24-Stunden-Gesellschaft sei allerdings nicht nur für Jugendliche ein Problem.

Quante rät, feste Zeiten einzuhalten, an denen die WLan-Verbindung abgeschaltet wird und Ruhe einkehrt. Das sei auch für Erwachsene sinnvoll.