Tübingen

Mythos Mond

Die Corona-Pandemie mit all ihren regionalen Ausprägungen bleibt ein Leserbriefthema.

03.04.2020

Von Udo Halbscheffel, Tübingen

Ein Jugendlicher aus der Nachbarschaft intonierte kürzlich „Der Mond ist aufgegangen“ auf seinem Blasinstrument. Für die Wiederholung schrieb ich die sieben Strophen des Matthias Claudius aus dem alten Echtermeyer/Wiese ab und kopierte sie für die Nachbarn zum Mitsingen.

Als Schüler schätzten wir Matthias Claudius weniger. Wir mieden seine Gedichte wegen ihrer „Gefühlsduselei“. Wir lasen lieber „Homo faber“ von Max Frisch. Für den Protagonisten Walter Faber war der Anblick des Mondes kein Erlebnis, der Erdtrabant lediglich eine errechenbare Masse. Apollo 11 und weitere Expeditionen schienen dem Mythos Mond endgültig den Garaus zu machen.

Was bringt uns heute dazu, auf den Balkonen mit Inbrunst „Der Mond ist aufgegangen“ anzustimmen? Es sind die starke Verunsicherung, unsere Ängste, unsere Dankbarkeit in den Tagen der Pandemie. Wenn ich ehrlich bin, mich hat eigentlich auch in meinen frühen Jahren schon immer die letzte Zeile des Gedichts von Matthias Claudius berührt: „Und unsern kranken Nachbar auch!“