Preisverleihung der Berlinale

Mutiger Film, mutige Jury

Auf der Suche nach intimer Berührung: „Touch Me Not“ aus Rumänien bekommt den Goldenen Bären.

26.02.2018

Von MAGDI ABOUL-KHEIR

Hat einen extremen Film gedreht: Adina Pintilie. Foto: afp

Hat einen extremen Film gedreht: Adina Pintilie. Foto: afp

Berlin. Die ersten Bilder zeigen Schamhaare in atemberaubender Großaufnahme. Von Beginn an macht Adina Pintilie deutlich, dass sie mit „Touch Me Not“ etwas wagt: extreme Nähe, extreme Intimität, extreme Perspektiven. Furchtlos ist ihr Film, und lobenswert mutig ist die Entscheidung der Berlinale-Jury, die Rumänin mit dem Goldenen Bären auszuzeichnen.

„Touch Me Not“ erzählt von einer Frau, die sich vor jeglicher Berührung fürchtet, sich dieser Angst und Verletzlichkeit aber stellt. Die Filmemacherin selbst geht diesen erkundenden Weg mit, reflektiert die Selbstversuche, die Therapiesitzungen. Und sie begegnet Menschen, die aufgrund Krankheiten und Behinderungen so gar nicht gängigen Schönheitsidealen entsprechen, die aber ebenso sexuelle, sinnliche Bedürfnisse haben und lernen, sich diese zu erfüllen. Wer sich auf „Touch Me Not“ einlässt, wird staunen, wird bereichernde Seh-Erfahrungen machen. Der Film vermag das Publikum freilich auch mit seinen eigenen Vorurteilen, Berührungsängsten zu konfrontieren – so verließen während der Berlinale etliche Zuseher die Vorführungen.

Pintilie bezeichnet ihren unerschrockenen, radikalen, formal strengen Film als „Aufforderung zum Dialog“. Tatsächlich könnte der Goldene Bär genau das ermöglichen, denn nun sollte das Werk Verleiher finden. Die 38-jährige Regisseurin zeigte sich von der Auszeichung geschockt, „aber es ist ein guter Schock“.

Das ist also eine tolle Entscheidung der Jury. Da mag man fast darüber hinwegsehen, dass sie keinen der vier deutschen Kandidaten auszeichnete. Das ist aber im Fall von Thomas Stubers wundervollem „In den Gängen“ und Christian Petzolds starkem „Transit“ schon ärgerlich.

Natürlich kann es die Jury nicht jedem recht machen. Doch manche der Silbernen Bären sind tatsächlich schwer nachvollziehbar. Etwa der Große Preis der Jury für Malgorzata Szumowskas „Twarz“ (Die Fratze). Vor drei Jahren hatte die Polin mit „Body“ einen tollen Film vorgelegt. Aber ihre neue Geschichte um einen jungen Freigeist, der bei einem Arbeitsunfall auf der Baustelle der größten Jesusfigur der Welt entstellt wird und danach von seiner unbarmherzigen, erzkatholischen Umwelt und Familie abgestoßen wird, ist arg eindimensional.

Der Alfred-Bauer-Preis für ein Werk, das der Filmkunst neue Perspektiven eröffnet, ging an „Las Herederas“ (Die Erbinnen) aus Paraguay, der auch den Darstellerinnen-Bären (Ana Brun) erhielt. Als bester Schauspieler wurde der beeindruckende Franzose Anthony Bajon in „La Prière“ (Das Gebet) ausgezeichnet.

Kritiker-Darling Wes Anderson erhielt für seinen Animationsfilm „Isle of Dogs“ den Regie-Preis. Der wurde auf der Preis-Gala im Berlinale-Palast von Bill Murray entgegengenommen: Er freue sich, einen Hund zu spielen und dafür einen Bären zu bekommen. Der Drehbuch-Preis ging an den kraftvollen mexikanischen Beitrag „Museo“ und der Bär für eine besondere künstlerische Leistung an die Ausstatterin des russischen Films „Dovlatov“.

Wie sagte Jury-Präsident Tom Tyker zur Bären-Vergabe? Man habe nicht nur würdigen wollen, was das Kino kann, „sondern auch, wo es hingehen kann“. Im Fall von „Touch Me Not“ ist das spannend. Magdi Aboul-Kheir

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Erstellt:
26.02.2018, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 27sec
zuletzt aktualisiert: 26.02.2018, 06:00 Uhr

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