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Der Stuckateurbetrieb Göhring in Tübingen-Unterjesingen bildet seit seiner Gründung vor 61 Jahren Lehrlinge aus. Die Suche nach passenden Bewerbern gestaltet sich allerdings nicht immer einfach. Die Geschäftsführer Gabriele Göhring und Volkmar Bahlinger gehen dabei ständig neue Wege, um so die Zukunft ihres Handwerksbetriebes zu sichern.

29.06.2018

Von TEXT: Birgit Pflock-Rutten FOTOS: Jörg Romanowski, Erich Sommer

Gemeinsam steuern sie den Unterjesinger Stuckateurbetrieb: Gabriele Göhring und Volkmar Bahlinger.

Gemeinsam steuern sie den Unterjesinger Stuckateurbetrieb: Gabriele Göhring und Volkmar Bahlinger.

Wie viele andere Handwerksbetriebe steht auch die Firma Göhring vor der großen Herausforderung, geeignete Auszubildende zu finden. In den vergangenen fünf Jahren kam es zum ersten Mal vor, dass Lehrstellen nicht besetzt werden konnten.

Und das, obwohl die freien Ausbildungsplätze bei der Agentur für Arbeit und der Handwerkskammer gemeldet sind. „Hier können wir es nur dem Zufall überlassen und auf Bewerbungen warten“, beschreibt Volkmar Bahlinger die momentane Situation. Auch auf Stellenanzeigen gab es bisher kaum Resonanz. „Gefühlt bewerben sich oft nur Jugendliche, für die die Ausbildung zum Stuckateur nur die zweite Wahl ist“, so die Einschätzung von Bahlinger. „Und wenn in der Anschrift „Herr Göhring“ steht, frage ich mich: Hat der sich nicht einmal im Internet informiert?“, beklagt Gabriele Göhring das mangelnde Engagement mancher Jugendlicher.

Dabei hat das Stuckateurunternehmen als Vorzeige-Ausbildungsbetrieb schon mehrfach von sich reden gemacht – im Jahr 2010 sogar überregional, als der frischgebackene Geselle Kadir Uzunsakaloglu zuerst Kammer- und dann Bundessieger wurde.

Auch Giovanni Brighina, der seine Lehre 2016 begann, hatte sich aus Überzeugung für die Ausbildung beworben. „Er war mit Herzblut dabei“, sagt Gabriele Göhring, mit belegter Stimme. Im April ist der engagierte Azubi kurz vor seiner Gesellenprüfung tödlich verunglückt. Ein Schock für die gesamte Belegschaft. Er wäre übernommen worden, den Meister wollte er machen.

Handwerk oder Hörsaal?

In der mangelnden Zahl an Bewerbern spiegele sich ein gesellschaftlicher Konflikt wider, ist Gabriele Göhring überzeugt. „Eltern wünschen sich, dass ihre Kinder einmal mit wenig Aufwand viel Geld verdienen sollen – nach dem Abi sehen sie ein Studium daher als ein Muss.“ Göhring appelliert an die Eltern, ihre Kinder zu einer Ausbildung zu ermutigen, die deren Fähigkeiten entspreche und nicht nach vordergründigem Prestige zu schauen. „Und nach einer handwerklichen Ausbildung kann man schließlich immer noch studieren“, fügt Volkmar Bahlinger hinzu.

Nicht nur die zahlreichen Preisträger zeugen vom hohen Ausbildungsniveau bei Göhring. „Wenn unsere Azubis in der Berufsschule gefragt werden, wo sie arbeiten, heißt es: Oh, da musst du dich aber anstrengen!“, schmunzelt der Geschäftsführer. Das ist auch das Ziel: „Wir möchten, dass das, was unsere Azubis lernen, Hand und Fuß hat.“ Die Mitarbeiter nehmen sich Zeit für die Lehrlinge, außerdem kümmert sich ein Azubitrainer um die jungen Leute. „Sie sind unser Potenzial, ohne Nachwuchs können wir einpacken.“

Zwar könnten die Löhne im Handwerk mit der Industrie nicht mithalten, so Bahlinger, aber es gebe auch andere Aspekte: „Das Stuckateurhandwerk ist äußerst vielseitig, es gibt täglich neue Aufgaben, mal ist man draußen, mal drinnen, mal in Tübingen, mal in Herrenberg und abends sieht man, was man gemacht hat.“

Persönlichkeit als Kriterium

Bei den hohen Anforderungen an die Bewerber – da haben Hauptschüler doch gar keine Chance mehr? „Das stimmt nicht“, widerspricht Bahlinger. „Auch wenn die Schulnoten nicht berauschend sind, schauen wir uns die jungen Leute an, welchen Eindruck sie machen.“ Nicht nur der Schulabschluss zähle, „wenn jemand motiviert ist, ehrlich und teamfähig ist, probieren wir es mit ihm.“ Das Menschliche also als wichtiges Kriterium: „Respekt allen gegenüber ist das A und O“, sind sich die Geschäftsführer einig. Ebenso wie die Beherrschung der deutschen Sprache. Eine bittere Erfahrung mussten sie diesbezüglich bei einem Pilotprojekt mit spanischen Jugendlichen machen. Der Versuch, auf diesem Wege einen neuen Lehrling zu gewinnen, scheiterte vor allem an der Sprache. Aber auch an der Motivation. „Mit dem Leistungsdruck hierzulande kann nicht jeder umgehen“, so Gabriele Göhring.

Immer neue Wege finden bei der Suche nach den Fachkräften von morgen – da gilt es, kreativ zu sein. Auch mit Schulkooperationen wollte es die Firma Göhring versuchen – „leider gab es kein Interesse von Seiten der Gymnasien“, bedauert Göhring. Ganz aktuell hat der Stuckateurbetrieb eine Kooperation mit dem Boulderzentrum B 12 des Deutschen Alpenvereins in Tübingen geschlossen, in der Hoffnung über die Mitgliedschaft geeigneten Nachwuchs zu finden – „fitte Azubis, die Spaß an unserem Beruf haben.“ Auch wenn die Arbeit teils körperlich anstrengend ist: Weibliche Azubis sind willkommen. „Vor kurzem hat sich eine Frau für ein Praktikum beworben und wird eingeladen“, erzählt Bahlinger. Sie wäre nicht die erste: Vor acht Jahren schloss Christina Dischner ihre Ausbildung zur Stuckateurgesellin als Innungsbeste und 2. Kammersiegerin ab.

Den Teamgeist fördern

Die Arbeitswoche im Stuckateurbetrieb Göhring beginnt mit einem gemeinsamen Montagsfrühstück. Jeder Geburtstag wird gewürdigt, es gibt Betriebsausflüge, Grillfeste und Weihnachtsfeiern. Und Wertschätzung: „Wir verteilen Lob und Kritik, außerdem finden jährliche Mitarbeiter-Einzelgespräche statt, bei Bedarf auch im Team.“ Anfang März kochte im Rahmen eines Ernährungsworkshops die ganze Belegschaft zusammen. „Es war eine gigantische Atmosphäre und ein wahnsinniges Miteinander zu spüren“, erzählt Gabriele Göhring mit Begeisterung. Die beiden Geschäftsführer wissen sehr wohl: Es geht nicht nur darum, Mitarbeiter zu finden, sondern auch, sie zu halten.

Wer bei der Firma Göhring seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, kommt um die Gesellentaufe im Gartenteich nicht herum – wie hier 2010 Christina Dischner, die erste Stuckateurgesellin bei Göhring, und Kadir Uzunsakaloglu, damals Deutschlands bester Jungstuckateur.

Wer bei der Firma Göhring seine Ausbildung erfolgreich abgeschlossen hat, kommt um die Gesellentaufe im Gartenteich nicht herum – wie hier 2010 Christina Dischner, die erste Stuckateurgesellin bei Göhring, und Kadir Uzunsakaloglu, damals Deutschlands bester Jungstuckateur.