Quer durch den Himalaya

Moritz Steinhilber ist nach dem Erdbeben als Reiseleiter wieder in Nepal unterwegs

Plötzlich bebt die Erde und es gibt keinen Ort, an den man flüchten kann: Moritz Steinhilber kennt die Panik, die das Erdbeben 2015 in Nepal auslöste – er hat sie selbst erlebt. Doch das hält den 48-Jährigen nicht davon ab, weiter in der Region zu arbeiten. In Kathmandu und Islamabad fühlt er sich genauso zu Hause wie im kleinen Talheim, wo er aufgewachsen ist. Nun hat er sich als Reiseleiter selbständig gemacht.

11.08.2016

Von Gabi Schweizer

Gewaltige Berge und Schnee, soweit das Auge reicht: Moritz Steinhilber kennt das Himalaya-Gebirge wie wenige andere. Das Bild entstand auf dem Lumbasumba-Trek, mit Blick nach Osten. Der Jannu ist gerade noch zu erkennen. Bilder: Steinhilber

Gewaltige Berge und Schnee, soweit das Auge reicht: Moritz Steinhilber kennt das Himalaya-Gebirge wie wenige andere. Das Bild entstand auf dem Lumbasumba-Trek, mit Blick nach Osten. Der Jannu ist gerade noch zu erkennen. Bilder: Steinhilber

Talheim / Kathmandu / Islamabad. Moritz Steinhilber hatte soeben in einem kleinen Restaurant das Essen bestellt und ein Bier geöffnet, als in Kathmandu die Erde bebte. „Ich habe schon sehr lange nicht mehr so einen Adrenalinschock gehabt wie am 12. Mai um 12.35 Uhr Ortszeit in Kathmandu“, schrieb er später an Freunde und Verwandte. „Du stürmst aus dem Gebäude und klebst nach zwei Sekunden an der gegenüberliegenden Hauswand. Tja, wohin fliehen, wenn man es bis nach Draußen schafft? Das ist in Kathmandu eine gute und meistens unlösbare Aufgabe.“

Es war das zweite Beben nach jenem großen vom 25. April, bei dem mehr als 8000 Menschen starben. Damals hatte Steinhilber nicht viel mitbekommen, weil er mit einer Kundin im Annapurnamassiv unterwegs war, in einer Region, die relativ verschont blieb. Doch dass es sich um eine schlimme Naturkatastrophe handelte, war schnell klar. Steinhilber schickte die Träger heim, die sich um ihre Familien sorgten. Dann setzte er die Wanderung in vereinfachter Form fort. Viel mehr konnte er damals nicht tun. Jeder, der kein Profi sei, behindere die Bergungsarbeiten nur, findet er.

Steinhilber ging, wie wohl die meisten, davon aus, dass nun auf Jahre Ruhe einkehren würde. In den Rundmails an Freunde war von „zwei blauen Augen“ die Rede und davon, dass es, mit Ausnahme des völlig zerstörten Dorfes Langtang, bei einem Beben dieser Stärke viel schlimmer hätte kommen können, auch wenn natürlich jedes Menschenleben zähle. Lebhaft hatte Steinhilber noch die Bilder vom Erdbeben im Oktober 2005 in Pakistan vor Augen – dort hatte er später geholfen, Schulen wiederaufzubauen.

Nach dem zweiten Beben korrigierte der erfahrene Nepal-Reisende sich selbst: „Zwei Beben in 18 Tagen und nun die absolute Ungewissheit, wann der Albtraum vorbei ist. Bin ja schon was gewohnt mit Taliban, Maobadi, Busfahren und so weiter. Aber diese allgegenwärtige, unsichtbare und vollkommen unkalkulierbare Gefahr... Das ist noch ’ne andere Güte. Wahnsinn, was für ein Psychoterror für die Menschen, vor allem die kleinen Kinder.“

Moritz Steinhilber hatte den Rückflug zufällig für den selben Abend gebucht und war froh darum: „Noch nie bin ich so auf Kohlen gesessen wie die paar Stunden damals tief drin im Flughafen von Kathmandu“. Er brauchte Abstand. „Kann ihn allerdings kaum gewinnen, habe zu viele Verbindungen nach Nepal“, schrieb er damals. Seit er 1989 das erste Mal in Asien war, ist er immer wieder hingeflogen. Seit 2005 arbeitet der ausgebildete Zimmermann dort als Reiseleiter. Und schon wenige Wochen nach dem erwähnten Beben saß er wieder im Flugzeug, um zurückzufliegen.

Mehr als ein Jahr ist seither vergangen. Moritz Steinhilber war inzwischen in Pakistan, Nepal und Afghanistan unterwegs. Auf der pakistanischen Gletscher-Traverse von Biafo und Hispar versuchte er (erfolglos), sich einen Weg durch die Schneemassen zu bahnen. Bei der (ihm bestens bekannten) Runde um den Nanga Parbat war er mit nicht weniger als acht Männern Begleitung unterwegs – denn auch die zwei staatlich verordneten Bodygurads benötigten Träger. Er überquerte den extrem abgelegenen, 5833 Meter hohen Pass Lukpe La, und er hat die letzte Etappe des Great Himalayan Trail in Nepal geschafft: „In 19 Etappen und 23 Jahren bin ich nun vom westlichen zum östlichen Ende des ganzen Landes getrabt.“ Im Upper Dolpo genoss er die Ursprünglichkeit der Region – die allerdings, wie er sehr wohl weiß, auch der „totalen Vernachlässigung durch den nepalesischen Staat“ geschuldet ist.

Das hört sich nach Urlaub an – und natürlich ist das Trekken Moritz Steinhilbers große Leidenschaft. Gleichzeitig ist es immer Arbeit, auch wenn er ohne Kundschaft unterwegs ist. Was gerade dann öfters vorkommt, wenn ein Land aus politischen oder sonstigen Gründen gemieden wird. Geht der 49-Jährige eine Tour, hält er die Augen offen: Wo wäre ein guter Lagerplatz für mehrere Zelte? Wo gibt es Wasser, wo eine Einkaufsmöglichkeit? Welche Route ist die sicherste? Mit anspruchsvollen Routen in den Alpen vergleicht er die Treks. Nur dass es in den Alpen alle paar Kilometer eine Hütte gibt und im Himalaya und im Karakorum oft nicht einmal das Handy Empfang hat. „Alles, was das Wandern in den Alpen so sicher macht, fehlt“, sagt Moritz Steinhilber nüchtern.

In Nepal liegt noch vieles darnieder. Wenn Häuser wieder aufgebaut werden, dann die privaten – aus Eigeninitiative, hat Steinhilber beobachtet. Viele (staatliche) Gebäude seien unwiderruflich zerstört. Und es war nicht nur das Erdbeben, das dem Land zu schaffen machte. Interne Streitigkeiten um die Gründung von föderalen Staaten (anstelle des bisherigen zentralistischen Systems) hätten dazu geführt, dass nichts so richtig voranging. Als besonders destruktiv nahm er die damit zusammenhängende indische Blockade wahr – Diesel, Gas und Benzin waren bis März dieses Jahres nur noch auf dem Schwarzmarkt zu bekommen. Dass in Nepal dennoch vieles funktioniere, liege an dem Geld, das Ausgewanderte ihren Angehörigen aus Dubai, Malaysia, Saudi-Arabien oder Qatar schicken.

Der Tourismus, der nach dem Beben komplett eingebrochen war, hat sich inzwischen erholt. Moritz Steinhilber ist überzeugt: Man hilft den Leuten am ehesten, indem man hinreist – lebt das kleine Land doch zu einem ganz erklecklichen Teil vom Tourismus. Allein im vergangenen Jahr kamen 750 000 Reisende ins Land, trotz des Bebens. Zum Vergleich: In Pakistan waren es nur 5300 Besucher. Auch Moritz Steinhilber hat im Frühjahr wieder Reisegruppen durch Nepal begleitet.

Für einen Reiseleiter wie Steinhilber ist es jedoch auch in Nepal nicht einfach, Kundschaft zu gewinnen. Die meisten Agenturen arbeiteten aus Kostengründen mit Einheimischen zusammen – die nicht zwingend besser mit der Gegend vertraut seien, sondern Touren zum Teil auch nur einmal machten. „Ich bin einer der wenigen übrigen Deutschen, die auch die Region kennen“, sagt der Talheimer über sich. Auf Nepali, Farsi und Urdu kann er sich problemlos verständigen, Paschtu steht noch auf seiner Sprachen-Lern-Liste. Ob er es je einsetzen kann? „Im ganzen Paschtunen-Gebiet herrscht Bürgerkrieg.“

Bis vor vier Jahren hat Steinhilber als Reiseleiter für eine Dresdner Agentur gearbeitet. Nachdem er sich von dieser getrennt hatte, war er immer wieder für Untamend Borders unterwegs, die Reiseagentur eines Freundes – die sich ausgerechnet auf Afghanistan und Pakistan spezialisiert hat. Pakistan sollte Steinhilber übernehmen. Doch nur eine einzige Person meldete sich für eine Tour an. Von dem Reiseführer, den Moritz Steinhilber verfasst hat, wurden in fünf Jahren nur 370 Exemplare verkauft. Fast möchte man sagen: immerhin. Aber natürlich hätte er mit einem Nepal- oder Indien-Buch mehr Erfolg gehabt.

Für Mainstream-Ziele hat Steinhilber sich jedoch nie interessiert. Touristenhochburgen sind ihm ein Graus. Jetzt möchte er sich komplett selbständig machen. „Talhammer“ heißt seine Ein-Mann-Agentur, mit der er Reisen im Karakorum und Himalaya-Gebirge anbietet. Die Leute, die er begleitet, sind keine Kletterer, aber durchaus geübte Wanderer. „Meine Nische sollen die unbekannten Zeltrouten in Nepal, Indien und Pakistan sein“, auch wenn er letzteres vorerst ausklammert. Auf der (noch etwas rudimentären) Homepage ist unter „Sicherheit“ vermerkt: „Schwierige Sache“. Nicht ohne Grund fürchtet er, Pakistan könne touristisch in Vergessenheit geraten: „Das wäre wirklich wie eine Tour de France ohne die Alpen, Schwaben ohne Spätzle, Stuttgart ohne den Fernsehturm.“

Im Juni war Steinhilber wieder mal für ein paar Wochen in Talheim, wo seine Mutter und sein Bruder mit Familie leben. Momentan ist er in Pakistan wandern und will danach gemeinsam mit einem Computer-affinen Pakistani die Homepage auf Vordermann bringen und am Programm tüfteln. Im Sommer wird er eine Gruppe durch Ladakh führen, im Herbst mit nepalesischen Freunden wandern gehen. „Nächstes Jahr werde ich 50“, sagt Steinhilber. Aber irgendwann für immer nach Talheim zurückzukehren – das kann er sich nicht vorstellen. Trotz Erdbebengefahr zieht es ihn immer wieder ins Karakorum- und Himalaya-Gebirge: „Das ist mein Leben. Da mach’ ich nichts anderes mehr.“

Moritz Steinhilber (links) mit seinem Freund Nabin beim Trekken auf dem 4270 Meter hohen Pass namens Popti Bhanjyiang, auf der Grenze zwischen Nepal und China. Nabin ist einer der drei Brüder, die Steinhilber regelmäßig als Träger begleiten.Der 21-Jährige ist bereits verheiratet und hat zwei Kinder. Dass die Menschen in Nepal „früh unter der Haube“ sind, ist keine Seltenheit, weiß Steinhilber. Bilder: Steinhilber

Moritz Steinhilber (links) mit seinem Freund Nabin beim Trekken auf dem 4270 Meter hohen Pass namens Popti Bhanjyiang, auf der Grenze zwischen Nepal und China. Nabin ist einer der drei Brüder, die Steinhilber regelmäßig als Träger begleiten.Der 21-Jährige ist bereits verheiratet und hat zwei Kinder. Dass die Menschen in Nepal „früh unter der Haube“ sind, ist keine Seltenheit, weiß Steinhilber. Bilder: Steinhilber

So sieht die Küche des Helambu Guesthouse im Dorf Timbu südlich von Langtang seit dem Beben aus. Eigentlich müsste die Familie das Gebäude abreißen und neu bauen. Wir konnten uns kaum dieses eine Haus leisten – wie sollen wir ein zweites bezahlen?, sagt dazu die Wirtin. „Trotz ,Rotem Zeichen‘ werden die Risse zugeschmiert, und es geht weiter wie bisher“, berichtet Steinhilber. Bilder: Steinhilber

So sieht die Küche des Helambu Guesthouse im Dorf Timbu südlich von Langtang seit dem Beben aus. Eigentlich müsste die Familie das Gebäude abreißen und neu bauen. Wir konnten uns kaum dieses eine Haus leisten – wie sollen wir ein zweites bezahlen?, sagt dazu die Wirtin. „Trotz ,Rotem Zeichen‘ werden die Risse zugeschmiert, und es geht weiter wie bisher“, berichtet Steinhilber. Bilder: Steinhilber

Im Dorf Melamchigaon im Langtang-Tal überstand kein Steingebäude die beiden Erdbeben. „Wie durch ein Wunder gab es ,nur‘ vier Tote“, berichtet Moritz Steinhilber, der den Ort ein Jahr nach der Naturkatastrophe besucht und noch immer nur Trümmer vorgefunden hat – so von diesem Kloster. Insbesondere bei staatlichen Gebäuden gehe der Aufbau nur schleppend voran. Bilder: Steinhilber

Im Dorf Melamchigaon im Langtang-Tal überstand kein Steingebäude die beiden Erdbeben. „Wie durch ein Wunder gab es ,nur‘ vier Tote“, berichtet Moritz Steinhilber, der den Ort ein Jahr nach der Naturkatastrophe besucht und noch immer nur Trümmer vorgefunden hat – so von diesem Kloster. Insbesondere bei staatlichen Gebäuden gehe der Aufbau nur schleppend voran. Bilder: Steinhilber