Verkehrspolitik

Unterschiedliche Konzepte zur Mobilität der Zukunft

Die Parteien wollen mit unterschiedlichen Konzepten beim Wähler punkten. Kostenlose Bahnen, Tempolimit und Radverkehr sind in der Diskussion

20.09.2021

Von Dorothee Torebko

Pkw quälen sich oftmals in langen Schlangen durch die Innenstädte, nicht nur in Stuttgart. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Pkw quälen sich oftmals in langen Schlangen durch die Innenstädte, nicht nur in Stuttgart. Foto: Bernd Weißbrod/dpa

Berlin. Städte voller Autos, schleppender Ausbau der Schiene, gefährliches Radfahren: Es ist kein Wunder, dass der Verkehr zu den größten Klimasündern des Landes gehört. In keinem anderen politischen Bereich ist das Umsteuern so notwendig wie hier. Die Mobilität wird sich drastisch ändern müssen. Darin sind sich alle Parteien, die vermutlich wieder in den Bundestag einziehen werden, einig - mit Ausnahme der AfD. Die Konzepte unterscheiden sich darin, wie der Verkehr umgestaltet werden soll. Am Beispiel des Pendlers Klaus Müller stellen wir dar, wie sich die Programme der Parteien unterscheiden und wie die Mobilität der Zukunft aussehen könnte.

33 Kilometer hin und zurück muss der Erzieher Klaus Müller täglich von Backnang nach Stuttgart pendeln. Er fährt die Strecke mit seinem Benziner. 40 Minuten braucht er dafür. Mit dem Zug ist er ein bisschen schneller, doch mit dem Auto ist es für Müller bequemer. Bald, ist er sich sicher, wird er aber auf die Bahn umsteigen müssen. Das hat mit den steigenden Benzinpreisen zu tun.

Sprit wird in den kommenden Jahren teurer werden. Das hat mit der steigenden CO2-Abgabe zu tun. Die Grünen rechnen mit mindestens 16 Cent je Liter. Sie wollen die steigenden Kosten durch ein Energiegeld, das jährlich pro Kopf gezahlt wird, ausgleichen. CSU-Chef Markus Söder hat eine Erhöhung der Pendlerpauschale um einen Cent je Kilometer vorgeschlagen. Sein Parteifreund und Noch-Bundesverkehrsminister Andreas Scheuer will eine Spritpreisbremse ab zwei Euro je Liter durchsetzen. Bei einem Spritpreis von zwei Litern kommt Müller mit seinem VW Passat allein fürs Pendeln auf rund 10 Euro pro Tag, mit der Bahn würde er bei den derzeitigen Monatsticketpreisen in etwa die Hälfte täglich zahlen.

Union ist technologieoffen

Der Familienvater überlegt, sich ein E-Auto anzuschaffen. Derzeit ist die Ladesäuleninfrastruktur aber zu spärlich ausgebaut, und bei einem Preis von rund 35 000 Euro für einen VW ID.3 (staatliche Prämie von 9000 Euro bereits eingerechnet) kann sich der Erzieher kein neues Auto leisten. Wenn es nach Union und FDP geht, muss es auch kein Elektroauto sein, das sich Müller als nächstes kauft. Die Parteien setzen auf Technologieoffenheit. Sie wollen, dass auch Autos, die synthetischen Kraftstoffe verbrennen, auf deutschen Straßen fahren. Derzeit sind diese Technologien aber sehr teuer. Deshalb setzen SPD, Grüne und Linke für den Pkw-Bereich voll auf Elektromobilität. Die AfD hält nichts von E-Autos. Sie will den Verbrennungsmotor in der jetzigen Form erhalten.

Müller hofft, dass bald ein Gebrauchtwagenmarkt für E-Autos entsteht. Für ihn bedeutet das Auto Freiheit. Dazu zählt er auch, mit 150 km/h über die Autobahn zu fahren. Er liegt damit auf einer Linie mit Union, FDP und AfD. Die Parteien lehnen ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab. Die SPD und Grünen hingegen wollen aus Sicherheits- und Umweltgründen eine Begrenzung von 130 km/h, die Linken sprechen sich sogar für 120 km/h aus. Die Automobilindustrie lehnt ein Limit ab, ist sich aber sicher: Eine Beschränkung wird es mit Elektroautos automatisch geben. Die Reichweite der E-Pkw lässt nämlich rapide nach, wenn man mit mehr als 130 km/h über die Autobahn flitzt.

Kostenloser ÖPNV sehr teuer

Für den Übergang vom Verbrennungsmotor zum E-Auto ist Müller auf den ÖPNV angewiesen. Wenn er mit dem Zug nach Stuttgart reinfährt, muss er mit der U-Bahn weiter. Klar fände er es toll, wenn er gratis fahren könnte. Dafür setzen sich die Linken ein. Die Sozialdemokraten befürworten ein 365-Euro-Ticket.

Der Verband Deutscher Verkehrsunternehmen (VDV) warnt allerdings, dass ein kostenloser ÖPNV die Staatskasse immens belasten würde. Die Einnahmen durch Ticketverkäufe müssten vom Steuerzahler erbracht werden – das wären rund 13 Milliarden Euro jährlich. Selbst ein 365-Euro-Ticket sei nicht umsetzbar. Allerdings will Baden-Württemberg genau das für Jugendliche einführen. Sie sollen sich für 365 Euro mit dem ÖPNV frei im Land bewegen können. Die FDP setzt auf neue Mobilitätsdienste wie Ridepooling. Sie will den Markt für Taxis, Mietwagen und Fernbusse weiter öffnen.

Im Sommer ist Klaus Müller lieber mit dem Rad als der U-Bahn unterwegs. In der Stadt fehlt es aber an sicheren Radwegen, auf dem Land müssen Schnellradwege erst gebaut werden. Mittlerweile ist der Radverkehr allen Parteien außer der AfD wichtig – das war 2017 anders. Besonders die Grünen wollen den Radverkehr pushen. Jüngst haben sie vorgeschlagen, den Kauf von Lastenrädern mit 1000 Euro je Kauf zu subventionieren.Klar ist aber auch: Der Einfluss der Bundesregierung ist beschränkt. Für Busse, Bahnen und den Radwegeausbau sind Länder und Kommunen zuständig. Der Bund kann den Rahmen allerdings abstecken.

Wenn Müller seinen Neffen in Berlin besuchen will, fährt er lieber Auto als Bahn. Der Grund: Wenn er mal einen Zug wegen einer Verspätung verpasst, muss er bis zu einer Stunde auf die nächste Möglichkeit warten. Mithilfe des Deutschlandtakts soll damit bald Schluss sein. Darin sind sich alle Parteien einig. Damit ist ein Halbstunden-Takt möglich. Bis es dazu jedoch kommt, vergehen viele Jahre. Um mehr Tempo reinzubringen und für mehr Konkurrenz zu sorgen, wollen die Grünen die Investitionen in das Schienennetz erhöhen und Netz und Betrieb der Bahn aufteilen. Auch die FDP sympathisiert mit dieser Idee.

Für Klaus Müller ist klar: Seine Mobilität wird sich verändern. Da die Pläne der Politik aber langfristig ausgerichtet sind, wird er sich vermutlich weniger schnell umstellen müssen, als er zunächst befürchtete.

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Erstellt:
20.09.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 47sec
zuletzt aktualisiert: 20.09.2021, 06:00 Uhr

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