Corona-Serie im Seniorenzentrum

Laichingen: Mitten im Sturmgebraus

Binnen Wochen stirbt in einem Seniorenzentrum ein Viertel der Bewohner an Covid-19. Eine kaum aushaltbare Situation. Pflegende schauen mit gemischten Gefühlen in den Herbst.

31.07.2021

Von Elisabeth Zoll

Marina Lang. Leiterin der Seniorenheime in Laichingen und Schelklingen. Foto: Elisabeth Zoll

Marina Lang. Leiterin der Seniorenheime in Laichingen und Schelklingen. Foto: Elisabeth Zoll

Wie will man die dramatischen Wochen vor dem Jahreswechsel 2020 beschreiben? In Deutschland grassiert die zweite Corona-Welle – und sie trifft das Seniorenzentrum Laichingen im Alb-Donau-Kreis hart. Binnen weniger Tage sterben dort 21 Männer und Frauen an den Folgen einer Covid-19-Erkrankung – rund ein Viertel der Bewohner.

„Wir wussten immer, dass es auch unser Haus treffen kann“, sagt Marina Lang. „Aber dass es dann so heftig kommt ?“ Die 36-Jährige leitet die Plegeeinrichtungen in Laichingen und Schelklingen. Beide Häuser gehören zur ADK-GmbH, die sieben stationäre Pflegeeinrichtungen im Alb-Donau-Kreis unterhält. Das Haus in Laichingen ist unterteilt in Hausgemeinschaften. Bewohner gestalten wo immer möglich und gewünscht den Alltag ihrer Gruppe mit. Sie beteiligen sich am Kochen, am Wäschezusammenlegen . . . und sind so normalerweise eng beisammen.

Bis zum Spätherbst 2020. Binnen Stunden werden Marina Lang und ihr Team in ein Schreckensszenario hineinkatapultiert. Ein Bewohner hatte über grippeähnliche Symptome geklagt. Die regelmäßigen Temperaturmessungen, die in einem Institutstagebuch penibel dokumentiert wurden, hatten zuvor keine Auffälligkeiten gezeigt. Doch dann fiel der PCR-Test des Mannes positiv aus. Zeitgleich mit ihm hatten sich weitere Bewohner und einige Mitarbeiter angesteckt.

Innerhalb weniger Tage brach der Gesundheitszustand mehrerer Bewohner ein. Mit den Ärzten vor Ort folgte eine schwierige Abwägung auf die andere. Auch mit Angehörigen. „Wir hatten sie schon während der ersten Welle gebeten, sich mit ihren Lieben auszutauschen, welche intensivmedizinische Versorgung sie im Ernstfall wünschen“, sagt Marina Lang. Viele der hochbetagt Erkrankten lehnten es ab, im Falle einer schweren Erkrankung in eine Klinik eingewiesen zu werden. Sie wollten in ihrem Zuhause bleiben. Das hatten sie meist auch in Patientenverfügungen festgelegt. So hieß es für das Pflegeteam Versorgen und im Sterben begleiten, so gut es ging.

„Wir haben unser Maximales gegeben“, sagt Marina Lang. Ihre Mitarbeiter seien über sich hinausgewachsen. Aufhalten konnten sie die Infektionswelle nicht mehr. Nur Vorsorge treffen, dass keine weitere Welle folgte.

Jeder Tag stellte das Team vor neue Situationen. Marina Lang: „Die Ändererungen kamen rasend.“ Zeit zu hadern oder zu grübeln blieb da nicht. Wer von den Pflegekräften gesund war, wurde auf den Wohngruppen gebraucht. Es galt Kontakt zu den Bewohnern zu halten, die in ihren Zimmern wochenlang isoliert werden mussten, Angehörige außerhalb des Heims auf dem Laufenden zu halten, Sterbenden beizustehen. Diese Wochen forderten alle bis zur Grenze. Marina Lang: „Da lernt man sich selbst neu kennen.“ Doch habe das enge Zusammenrücken geholfen, die Situation durchzustehen.

Mit dem Abstand eines guten halben Jahres lässt Marina Lang die Extremwochen an sich vorbeiziehen: „So eine Erfahrung stärkt die Souveränität in der Krise.“ Ihr Mut, Entscheidungen zu treffen, sei in diesen Wochen gewachsen. Und auch das Wissen, wie wichtig es ist, in einer Krisensituation so viel wie möglich miteinander zu sprechen.

Auch wenn Sterben zum Alltag in einem Alten- und Pflegeheim gehört, waren die vielen Abschiede binnen weniger Tage einschneidend. Bewohner, die in Quarantäne waren, fanden nach der Isolierung viele Bekannte nicht mehr. „Die Einrichtung hatte sich komplett verändert.“ Auch den Pflegekräften setzten die Todesfälle zu. „Das ist doch unsere Frau Maier, unser Herr Müller“, verdeutlicht Marina Lang.

Die Verarbeitung der Trauer musste warten, bis die Akutphase überwunden war. Marina Lang erinnert sich, dass bei ihr erst nach der zweiten unauffälligen Reihentestung nach Abschluss des Ausbruchsgeschehens das erste Durchatmen kam.

Inzwischen ist so etwas wie Normalität eingekehrt. In den Wohngruppen können sich die Bewohner wieder treffen, beim Kartoffelschälen helfen oder einen Mitarbeiter bei Botengängen begleiten. Nur bei gruppenübergreifenden Veranstaltungen ist die Einrichtung noch vorsichtig. Ein Sommerfest, wie es das früher gab, wird heuer noch nicht gefeiert werden. Schwieriger sind die Lockerungen durch die Corona-Verordnung. „Dürfen wir das denn schon?“, werde sie oft gefragt. Marina Lang muss dann Sicherheit vermitteln.

Auf den bevorstehenden Herbst schaut die Pflegeheimleiterin mit gemischten Gefühlen. „Ich glaube schon, dass wir die Situation bewältigen können.“ Rund 90 Prozent der Bewohner seien vollständig geimpft, die Hygieneregeln seien verinnerlicht, es gebe ausreichend Masken und auch die inzwischen verfügbaren Schnelltests helfen, auf Auffälligkeiten schnell zu reagieren.

„Wir haben heute eine völlig andere Situation als im Herbst vergangenen Jahres.“ Wenn dann auch noch die Gäste und Besucher der Kurzzeitpflege über einen ausreichenden Impfschutz verfügen, wäre schon viel gewonnen. Ein Schreckensszenario wie im vergangenen Winter möchte Marina Lang mit ihrem Team jedenfalls nie mehr erleben.