Tübingen ·

CineLatino: Mit viel Schwung heraus aus der Zwangspause

Das Festival des lateinamerikanischen und spanischsprachigen Films taucht doch noch aus dem Corona-Lockdown auf und startet am 15. Juli im Tübinger Kino Museum. Im Reutlinger Programmkino Kamino geht es einen Tag später los.

25.06.2020

Von Dorothee Hermann

Das ist Perro aus dem gleichnamigen Kinderdokumentarfilm, der mit seiner Großmutter im nicaraguanischen Dschungel lebt. Bild: CineLatino

Das ist Perro aus dem gleichnamigen Kinderdokumentarfilm, der mit seiner Großmutter im nicaraguanischen Dschungel lebt. Bild: CineLatino

Fans des CineLatino können endlich aufatmen: Die 27. Ausgabe des CineLatino bringt trotz der Pandemie lateinamerikanisches Lebensgefühl und politische Nahaufnahmen nach Tübingen und ins Reutlinger Programmkino Kamino. Weitere Festivalstädte sind Stuttgart und Freiburg.

Weil coronabedingt Hygieneregeln gelten, sind die Zuschauerzahlen in den Kinosälen des „Museum“ begrenzt: 35 statt 120 im „Studio“. 80 statt knapp 400 bei der Eröffnung im Kino 1, so Festivalleiter Paulo de Carvalho. Ins Kino 2 dürfen maximal 25 Zuschauer. Bis man den jeweiligen Kinositz erreicht hat, gilt Maskenpflicht. Tickets gibt es ausschließlich online beim Kino Museum. Ein Sechserblock wird in diesem Jahr nicht angeboten.

Beim Festivalbüro in der Hinteren Grabenstraße ist der Infostand mit Programmen und Flyern nicht drinnen, sondern an der Tür. „Es gibt Verordnungen überall. Wir werden versuchen, das Beste daraus zu machen“, sagte de Carvalho am Dienstag in einem Tübinger Straßencafé.

Wie gewohnt, bietet das CineLatino spannende Einblicke in die politischen Verhältnisse und den Alltag in der spanisch- oder der portugiesischsprachigen Welt. Schwerpunkt ist diesmal Mittelamerika mit gleich neun Ländern. Im Drama „Nuestras Madres“ (Unsere Mütter) von César Díaz hilft der junge Forensiker Ernesto, die Knochen von Menschen zu identifizieren, die in Guatemala während der 30 Jahre Bürgerkrieg verschwunden waren. Auch sein Vater war unter den Verschollenen. Der Film wurde im vergangenen Jahr in Cannes mit der begehrten Goldenen Kamera für das beste Debüt ausgezeichnet. Im Episodenfilm „Días de luz“ (Tage des Lichts) zeigen sechs Regisseurinnen und Regisseure, wie das Leben in ganz Mittelamerika aufgrund eines Stromausfalls fünf Tage lang Zwangspause macht.

Der Themenfokus „Frauen in Bewegung“ ist Frauen gewidmet, die trotz aller Widerstände für Gerechtigkeit kämpfen und selbstbestimmt ihren eigenen Weg gehen. Im CineEspañol wird unter anderem das junge Paar Vir und Lluís von einer Schwangerschaft überrascht („Los días que vendrán“). Der Film ist mit acht weiteren auch für den Wettbewerb um den Tübinger Publikumspreis gelistet.

Partys und Feste müssen diesmal ausfallen, aber der Biergarten vom Bootshaus am Neckar (vormals: Casino) dient als Open Festival Space mit mexikanischem Essen, Mescal-Bar und DJs. Auf der Richtung Wöhrdstraße gelegenen Terrasse werden open-air Kurzfilme aus Lateinamerika und Dokumentationen gezeigt; aufgrund der Abstandsregeln für ein begrenztes Publikum. Ein kleiner Eintritt von zirka 3 bis 5 Euro ist angedacht.

Coronabedingt kommen deutlich weniger Gäste als gewohnt, nämlich maximal zwei. Einer ist der spanische Regisseur Marc Serena, der den Schriftsteller Juan Tomás Avila Laurel porträtiert hat, der 2011 aus politischen Gründen aus Äquatorialguinea nach Spanien fliehen musste. „El escritor de un país sin librerías“ (Der Schriftsteller aus einem Land ohne Buchhandlungen) heißt sein Dokumentarfilm.

Noch nicht sicher zugesagt hat die junge Regisseurin Lin Sternal, die an der Filmakademie Baden-Württemberg studierte. Ihre in Nicaragua gedrehte Coming-of-Age-Doku „Perro“ hatte bei der Berlinale 2020 Weltpremiere. Der zehnjährige Perro lebt mit seiner Großmutter im nicaraguanischen Dschungel. Doch durch ein Kanalbauprojekt der Regierung droht ihnen die Zwangsumsiedlung.

„Die 16-Uhr-Vorstellungen in Tübingen wurden gestrichen“, sagte de Carvalho. In der Sommersaison wäre am Nachmittag die Konkurrenz durch Biergarten und Freibad zu groß. Eine Online-Ausgabe hätte das Festival nicht stemmen können: Das hätte zusätzliche Kosten verursacht. „Wir hatten einen Großteil des Geldes schon ausgegeben“, sagte de Carvalho. Wenigstens flossen mittlerweile 9000 Euro Coronahilfe vom Bundesministerium für Kultur und Medien. „Ein Totalausfall wäre nicht tragbar. Es geht um die Existenz des CineLatino“, so der Festivalleiter. Deshalb versucht das Team, das Defizit möglich gering zu halten: Also wenigstens die reduzierten Einnahmen infolge der eingeschränkten Zuschauerzahlen zu erzielen und nicht auch noch Spenden und Anzeigen zu verlieren.

Idealerweise sollen das CineLatino und der Verein Französische Filmtage als Träger so wenig wie möglich belastet werden: Damit die hiesigen Kinobesucher auch in Zukunft lateinamerikanisches Temperament tanken und sich filmisch mit den politischen Verhältnissen in Lateinamerika auseinandersetzen können.

Weitere Kooperationspartner in der Region sind das Reutlinger Programmkino Kamino und der Club Voltaire Tübingen. Demnächst werden die Festival-Programme gedruckt. Der Vorverkauf soll kommende Woche beginnen.

Das Kino Museum öffnet

Endlich meldet sich auch das Tübinger Kino Museum aus der Corona-Zwangspause zurück. Am Donnerstag, 2. Juli, ist es soweit. 13 Tage vor dem Start des CineLatino. „Sie haben zwei Wochen Zeit, um die ganzen Hygieneregeln auszuprobieren“, sagte Festivalleiter Paulo de Carvalho. Das Kino Blaue Brücke bleibt vorläufig noch geschlossen.

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Erstellt:
25.06.2020, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 14sec
zuletzt aktualisiert: 25.06.2020, 01:00 Uhr

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