Unakademische Vorlesungen bei der Gutenachtgeschichte

Mit den Professoren Bredenbach und Scheer begannen die Vorleseabende im TAGBLATT-Sessel

Die Burse war da, der Sessel war da, die Zuhörer waren da, die Moderatoren und die beiden Vorleser waren da. Nur, wo war die Zeit geblieben? Schon wieder ist ein Jahr vergangen, aber die Gutenachtgeschichte bleibt als verlässliche Tübinger Sommergröße bestehen.

20.07.2018

Von Ulla Steuernagel

Ingo Bredenbach eröffnete die diesjährige Gutenachtgeschichte bei der Burse. Von nun an tourt der Sessel wieder durch den Kreis. Bild: Metz

Ingo Bredenbach eröffnete die diesjährige Gutenachtgeschichte bei der Burse. Von nun an tourt der Sessel wieder durch den Kreis. Bild: Metz

Und dennoch, so eröffnete Moderator Ulrich Janßen am Donnerstagabend den rund zweihundert Zuhörerinnen und Zuhörern: Nicht nur „mit Deutschland, auch mit Tübingen geht es bergab“. Sein Horrorszenario reichte von der Eiszeitkunst über die Eispreise bis hin zu den Walter Tigers – und dann sei auch noch beim Erbe-Lauf ein „Jeder-kann-Run“ ausgerufen worden! „Selbst Moos will hier nicht mehr wachsen und gedeihen“, spielte der TAGBLATT-Redakteur auf die Wand in der Mühlstraße an.

Ko-Moderator Hermann-Arndt Riethmüller, Seniorchef der mitveranstaltenden Buchhandlung Osiander, unterband diese Schwarzseherei. Tübingen habe auch positive Seiten. Zum Beispiel das Bachfest, das sich im Herbst ankündige. Und damit hatte Riethmüller einen geschickten Übergang zum ersten Vorleser in diesem Jahr geschaffen, dem Stiftskirchenkantor Prof. Ingo Bredenbach. Wie es sich für ihn als Kantor gehört, hatte er einen Text ausgesucht, der sich ebenfalls ausgiebig mit Kirchenmusik befasst.

Ein gewisser Edmund Pfühl kommt darin vor, der die Musik Richard Wagners hasst, in ihr nur „parfümierten Qualm“ sieht, also gewiss kein alter ego Bredenbachs. Das Kapitel seines „Lieblingsbuchs“ hatte Bredenbach nicht zufällig ausgewählt, denn es beginnt mit „O Bach, Sebastian Bach...“, und es steht in Thomas Manns „Buddenbrooks“.

Fuchsperücke und Dämon

Detailliert wird hier jener „weithin hoch geschätzte Komponist“ und Organist beschrieben, der mit Gerda Buddenbrook musiziert und schließlich dem kleinen Hanno ein inspirierender Lehrer ist. Dieser „vierschrötige Musikant mit seiner Fuchsperücke“lehrt den Jungen die Musik zu lieben und zu begreifen, und am Ende legt der dann doch nicht so „verknöcherte Gesell“ seinen Ekel vor den modernen Wagner-Kompositionen ab. Das Publikum zeigte sich überaus angetan von Bredenbachs leidenschaftlichem Vortrag.

Den Faux-pas, den Riethmüller begangen hatte, als er Bredenbach als gebürtigen Ruhrpötter vorstellte, korrigierte dieser postwendend, denn Wuppertal liegt immer noch im Bergischen Land. Außerdem zeigte sich Bredenbach optimistisch, was den bislang nicht erfolgreichen Spendenfluss für die Sanierung der Festsaalorgel angeht: „Wir warten darauf, dass bestimmte Leute das Pensionierungsalter erreichen.“

Hochakademisch schien es am Donnerstagabend zuzugehen. Auch die zweite Vorleserin des Abends hatte einen Professorentitel. Monique Scheer, Empirische Kulturwissenschaftlerin und Prorektorien der Universität, gab als erstes eine Liebeserklärung an Tübingen ab. Sie müsse nur noch ihren Mann überzeugen nach Tübingen zu ziehen, sie selber, bislang noch Pendlerin aus Stuttgart, wolle es schon lange. „Wie kann man Tübingen nicht mögen?“ rief sie aus.

Ihr Buch hatte die Amerikanerin mit deutscher Mutter bewusst aus dem Genre intelligente Unterhaltung mit politischem Anspruch gewählt. Sie selber hatte es auf Englisch gelesen, und es ist von einem „in den USA sehr erfolgreichen Comedian“ geschrieben. Trevor Noah stammt aus Soweto und obwohl erst 1984 geboren, hat er schon seine Kindheitserinnerungen festgehalten. „Farbenblind“ heißt das Buch. Ein Titel, der laut Scheer nicht besonders trifft. Das Original heißt „Born a crime“ („Als Verbrechen geboren“) beschreibe sehr viel besser das Leben im südafrikanischen Apartheidsstaat.

Trevor Noahs Existenz als Sohn einer Schwarzen, die sich „einen großen blonden Schweizer“ als Kindsvater ausgesucht hatte, war der lebende Beweis einer kriminellen Tat. Doch seine rebellische Mutter war eine Meisterin „im Schlupfloch Finden“. Und ihr Sohn glänzt auch schon früh mit erstaunlicher Raffinesse. Scheer las zur Freude des Publikums, wie sich der kleine Junge vor dem Gang auf das ihm unheimliche Klo drückt und so einen Haufen lustiger Missverständnisse auslöst. Am Ende muss er dann gegen einen Dämon anbeten, der nur eine sehr menschliche Hinter(n)lassenschaft ist.

Wohin mit den Spenden?

Die Hutsammlungder Gutenachtgeschichte am Donnerstag, bei der die Zuhörer/innen tief in ihre Geldbörsen griffen, erbrachte einen Betrag von 457,40 Euro. Die Hälfte dieser Spendensumme, also 228, 70 Euro, stiftete Ingo Bredenbach für den neuen Bösendorfer-Flügel, Buchhändler Riethmüller erklärte spontan, er werde den Betrag verdoppeln. Monique Scheer möchte ihre Huthälfte für ein Projekt in Südafrika spenden.