Nur nicht die Demagogen

Ministerpräsident Winfried Kretschmann machte Wahlkampf in Mössingen

Wirtschaftliche Ambitionen, Lob für die Kanzlerin, Appelle an die schwäbische Tüftlermentalität: Fünf Wochen vor der Landtagswahl wirbt Winfried Kretschmann um die klassisch bürgerliche Wählergunst. Vorgestern sprach er in der Pausa.

06.02.2016

Von Kathrin Löffler

Winfried Kretschmann in der Pausa – zwischen Oberbürgermeister Michael Bulander und der früheren grünen Landeschefin Monika Schnaitmann.Bild: Rippmann

Winfried Kretschmann in der Pausa – zwischen Oberbürgermeister Michael Bulander und der früheren grünen Landeschefin Monika Schnaitmann.Bild: Rippmann

Mössingen. Behäbigkeit ist für den Schwaben kein Schimpfwort. Winfried Kretschmann weiß das. Auch seine gut einstündige Wahlkampfrede in der Bogenhalle des Mössinger Industriedenkmals folgte jener Grammatik, die die hohen Popularitätswerte des baden-württembergischen Ministerpräsidenten mitbedingt: gemächliches Sprachtempo, kaum Hochdeutsch, abseits von intellektuellen Wortblasen und polemischen Parolen argumentierend. Diese behäbige Rhetorik zog auch im Steinlachtal. Nach seinem Vortrag baten junge Menschen den grünen Spitzenkandidaten um Autogramme. Andere der rund 300 Besucher urteilten „Authentisch!“ oder „Kurzweilig, gell?“ im Hinausgehen.

Kretschmann war zur Beihilfe für den grünen Tübinger Landtagskandidaten Daniel Lede Abal gekommen. Viel grüne Kreisprominenz saß in den Reihen, der grüne Ortsverband Steinlach-Wiesaz reichte Snacks. Auf die grüne Stammklientel waren die Worte des Redners in Stimmenfangszeiten aber freilich nicht ausgerichtet.

Der Ministerpräsident spulte erst eine Art Leistungsschau des aus Sicht der grün-roten Landesregierung Erreichten in der noch laufenden Legislaturperiode ab. Er zählte auf: die Einführung der Gemeinschaftsschule, mehr Landesmittel für die frühkindliche Betreuung, mehr direkte Demokratie und Beteiligungskultur, mehr Windräder, mehr Gelder für den Erhalt der Landesstraßen „als je zuvor“. „Baden-Württemberg“, so seine Bilanz, „ist in hervorragender Verfassung“.

Kretschmann weiter: „Wir machen auch Dinge, die erstmal keinen Nutzen haben.“ Er meinte damit das Umwidmen des Nordschwarzwalds zum Nationalpark. Dort überlasse man die Natur sich selbst. Das schaffe aber „wirtschaftliche Kollateralnutzen“: Ein Auftrieb im Tourismus sei bereits spürbar.

Das Schwarzwald-Beispiel führte der Regierungschef sinnbildlich für seine Lieblingspaarung an diesem Abend an: Ökologie und Wirtschaft. Kretschmann insistierte mehrmals auf sein Verständnis des Südwestens als Industriestandort. Ein solcher gelte es zu bleiben – und zugleich die artenreiche Kulturlandschaft im Ländle zu schützen: „ Das ist die eigentliche Herausforderung.“

Beim Thema Klimawandel begann dann auch der so geruhsame Vortragsgast, sich moderat in Rage zu reden. Kretschmann verwies auf seine Reise nach Kalifornien im vergangenen Dezember. Mit Gouverneur Jerry Brown hat er einen Klima-Pakt ausgehandelt, den er in Mössingen als Exempel für nachhaltiges Handeln pries: In dieser Initiative verpflichten sich 120 Regionen aller Kontinente, sich auf subnationaler Ebene um eine Senkung der Erderwärmung zu bemühen. Doch der Ministerpräsident wurde vorgestern nicht müde zu betonen, Anstrengungen für die Umwelt in ökonomischen Ertrag verwandelt sehen zu wollen. „Es ist entscheidend wichtig, dass die Energiewende auch ein wirtschaftlicher Erfolg wird.“

Eine Aufforderung an den Erfindergeist im Ländle schob er nach: „Wir müssen grüne Produktlinien entwickeln, die das Wirtschaftswachstum vom Naturverbrauch entkoppeln.“ Als Vorbild gab Kretschmann die Innovationskultur im Silicon Valley aus. Grund: „Sonst putzt‘s einen vom Markt weg.“ Die Amerikaner sieht er auf Erneuerung statt Fehlervermeidung ausgerichtet. Wer dort scheitere, gelte nicht als Loser, sondern bekomme eine zweite Chance. Auch in Anbetracht einer immer digitalisierteren Arbeitswelt mahnte Kretschmann zur Fortschrittsfreundlichkeit: „Man denkt immer, dem schwäbischen Mittelstand kann nichts passieren, weil ihm bisher nichts passiert ist.“

Ausführlicher wurde der Ministerpräsident auch zur Asylfrage. Dabei positionierte er sich auf Seiten von Angela Merkels Fürsprechern. Für ihn gibt es keine individuelle, nur eine grenzübergreifende Antwort. Kretschmann: „Wenn die Flüchtlingskrise Europa auseinandertreibt und wir wieder in die Nationalstaatlichkeit zurückfallen, wäre das eine epochale Katastrophe.“ Die Kanzlerin poche auf eine europäische Lösung. „Deswegen unterstütze ich sie in dieser Krise mit allen Kräften.“

Gruppen wie die AfD ringen für ihn nicht um Konsens, sondern schüren erst Konflikte. Die Partei sei „inhuman“, „da rennen nur Demagogen herum“, sagte Kretschmann. Er forderte: „Was immer sie wählen, bleiben Sie bei den demokratischen Parteien!“

Kretschmann sieht die Bürger scheinbar vor nur zwei Alternativen. „Am 13. März müssen Sie entscheiden: Gebe ich meine Stimme den Grünen oder den Schwarzen?“. Am Ende überreichte Stadträtin Gabriele Dreher-Reeß „dem Winfried“ eine Flasche Birnensecco, den „Roten Mössinger“. Zumindest Lede Abal betonte an dieser Stelle, „ein Herz für die Roten“ zu haben.

Info: Mehr Fotos auf www.tagblatt.de

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Erstellt:
06.02.2016, 05:30 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 01sec
zuletzt aktualisiert: 06.02.2016, 05:30 Uhr

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