„Eine wunderbare Partnerschaft“

Michael Jung über Sam, die Medaillen in der Vielseitigkeit und eine Koppel im Schwarzwald

Mit Gold im Einzel und Team-Silber hat Michael Jung aus Horb auch in Rio groß zugeschlagen. Der Dank geht an viele Helfer – und natürlich an Wallach Sam.

11.08.2016

Von WOLFGANG SCHEERER

Rio. Herr Jung, Gratulation zu Gold und Silber! Sie haben unmittelbar nach dem Einzelspringen trotz Ihrer Leistung sehr kontrolliert und gefasst gewirkt. Was geht da wirklich in Ihnen vor?

MICHAEL JUNG: Es ist schon erstaunlich: Zuerst kommt das Glücksgefühl, dann lässt der ganze Druck nach, und man ist plötzlich ein bisschen wie in einem Loch. Bei mir kam tatsächlich etwas die Müdigkeit hoch, als sich all die Anspannung schlagartig gelöst hat nach diesen drei schweren Wettkampftagen mit Dressur, Gelände, Einzel- und Teamspringen. Aber das war nur eine kurze Phase gleich danach. Dann ging's schnell wieder aufwärts.

Wie haben Sie die beiden Medaillen gefeiert?

JUNG: Wir haben mit dem Team im Deutschen Haus gefeiert, das ja wunderschön am Atlantik gelegen ist. Meine Familie war da, viele Freunde und vor allem auch die Leute, die mir jeden Tag helfen und mich unterstützen. Ihnen allen schulde ich großen Dank.

Es waren je die ersten deutschen Rio-Medaillen . . .

JUNG: Das hat uns Reiter alle gefreut und sicher auch ein bisschen stolz gemacht, wir und das deutsche Team sind froh drum. Für unseren Sport ist es natürlich auch schön, weil viel mehr als gewöhnlich über uns berichtet wird.

Zweimal zwei Medaillen 2012 und nun 2016. Was sagen Sie zu Ihrer persönlichen Ausbeute?

JUNG: Es ist ein sehr spezieller Moment für mich. London war schön, weil es der erste große Erfolg war. Rio ist schön, weil der zweite auch ein besonderer ist. Noch einmal mit Sam gewonnen zu haben, sich auf ihn immer verlassen zu können, das ist für mich einfach unglaublich. Überall kämpft er so genial. Er ist im Gelände einfach umwerfend, sprintet jeden Hügel hinauf, springt über jedes Hindernis, als wäre es nichts. Sam und ich, das ist einfach eine wunderbare Partnerschaft.

Das klingt nach großem Vertrauensverhältnis.

JUNG: Ja, das ist ganz sicher so. Wir kennen uns jetzt seit elf Jahren – und inzwischen natürlich in- und auswendig. Wir sind wie alte Freunde. Wir vertrauen uns blind. Sam war für mich auch keine B-Lösung als Takinou wegen des fiebrigen Infektes kurzfristig ausgefallen ist. Ich bin stolz auf ihn.

Sie sind im Gelände und in beiden Springen fehlerfrei geblieben. Wie muss man Sam reiten?

JUNG: Ich versuche, ihm vor allem Ruhe zu vermitteln. Man darf ihn nie spüren lassen, dass es jetzt um etwas ganz Besonderes geht. Du darfst ihm nie Druck machen. Es sollte am besten so sein, wie er es von der täglichen Arbeit gewöhnt ist beim Aufwärmen oder Arbeiten. Man darf nicht hektisch werden. Sonst denkt er: Was ist denn jetzt los? Er ist vom Charakter her sowieso schon sehr nervös. Wenn aber alles passt, ist es unglaublich, wie sich Sam am Ende beispielsweise im Springparcours noch so perfekt konzentrieren kann.

Was geht einem durch den Kopf, wenn man schon Team-Silber hat und am letzten Hindernis Gold in der Einzelwertung ziemlich sicher vor Augen?

JUNG: Mir war ganz klar, wie dicht ich am Sieg dran bin. Trotzdem ist diese enorme Anspannung da. Dieses olympische Turnier, bei dem die ganze Welt zuschaut, das gibt es eben nur alle vier Jahre. Da will man seine beste Leistung zeigen. Es kann ja alles passieren, das Pferd kann stolpern oder im Martingal (ein spezieller Hilfszügel für die Kopfhaltung, Anm. d. Red.) hängenbleiben. Deshalb ist man da voll konzentriert und versucht alles richtig zu machen.

Und schließlich der letzte aller Sprünge .?.?.

JUNG: Danach ist die ganze Anspannung plötzlich wie verflogen. Sie war auch da, obwohl ich wusste, ich kann mir einen Abwurf erlauben und habe trotzdem die Goldmedaille gewonnen. Dann jedenfalls war ich einfach überglücklich, das noch einmal geschafft zu haben. Gerade mit diesem Pferd. Dass Sam immer noch so fit ist mit seinen 16 Jahren und die ganzen drei Wettkampftage überstanden hat ohne jeden Kratzer, das ist schon ein tolles Gefühl.

Wie darf sich Sam jetzt von Olympia erholen?

JUNG: Ursprünglich war geplant, mit ihm beim Turnier Anfang September in Burghley zu starten. Aber nach Olympia ist klar: Er hat eine Pause verdient und darf jetzt erst mal auf seine Koppel im Schwarzwald. Die vermisst er, glaube ich, sehr. Pferde sind ja eigentlich Herdentiere, aber er ist dort lieber für sich und hat gern seine Ruhe. Und er wird sich auf das frische Grün freuen. Das Gras hier schmeckt ihm nämlich nicht so gut.

Wann geht es zurück?

JUNG: Quasi sofort. Das gilt für uns beide. Ich fliege jetzt gleich am Donnerstagabend zurück, die deutschen Pferde sind schon morgens dran. Und anschließend gehen wir ganz entspannt durch Herbst und Winter und schauen dann einfach, welches Gefühl mir Sam im kommenden Frühjahr gibt.

Das heißt, Olympia muss noch nicht sein letztes großes Turnier gewesen sein? In vier Jahren in Tokio werden Sie dann aber sicher ohne ihn auskommen müssen.

JUNG: Das ist ja auch das Schöne an den Medaillen hier: Die deutsche Mannschaft ist damit schon für die kommenden Olympischen Spiele qualifiziert. Aber mein nächstes großes Ziel sind erst einmal die Europameisterschaften im August 2017 in Strzegom in Polen. Mal schauen, mit welchem Pferd.

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Erstellt:
11.08.2016, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 42sec
zuletzt aktualisiert: 11.08.2016, 06:00 Uhr

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