Mit Mut und Vertrauen

Michael Jung: Der wohl beste Reiter der Welt kommt aus Horb

Als Olympiasieger, Weltmeister, Europameister reist Michael Jung mit seinem Goldpferd Sam nach Rio. Auch auf der zweiten Wahl ist er der große Favorit.

02.08.2016

Von MANUELA HARANT

Ein über Jahre eingespieltes Team: Michael Jung und Sam. Foto: dpa

Ein über Jahre eingespieltes Team: Michael Jung und Sam. Foto: dpa

Laupheim/Ulm. Bei mehr als 30 Grad im Schatten kämpft Michael Jung aus Horb in der Mittagshitze um jeden Sprung. Knapp 30 hat er bei dieser Geländeprüfung vor sich, es geht über Holztische, Büsche und durchs Wasser. Und am Ende ist der Olympiasieger, Welt- und Europameister wieder ganz vorn. Diesmal jedoch nicht in der Aachener Soers wie vor zwei Wochen, sondern in der schwäbischen Provinz, auf dem Lußhof bei Laupheim.

33 Euro gibt es hier für den souveränen Sieg in der Geländepferdeprüfung Klasse A** auf dem fünf Jahre alten Choclat. Eine Woche später in Aachen gewinnt er beim CHIO auf seinem Top-Pferd Takinou exakt das Tausendfache. Und doch geht der Vielseitigkeitsreiter aus Horb mit seinem jungen Wallach auf dem Lußhof genauso akribisch zur Sache wie mit dem Olympiakandidaten in der Soers.

Der von Teammitgliedern wie Konkurrenten gleichsam als „bester Reiter der Welt“ betitelte Jung erklärt, warum: „Das ist für mich ein ganz wichtiges Turnier als Formüberprüfung meiner jungen Pferde. Ich will dabei sehen: Wie zeigen sie sich in einem fremden Gelände? Zugleich können die jungen Pferde hier Routine sammeln, um vorbereitet zu sein auf die höheren Aufgaben.“

Weil Michael Jung auf seiner Anlage in Horb am Neckar keinen Bereiter hat, der seine jungen Pferde vorstellt, macht er es eben selbst. Und das bringt neben jeder Menge Arbeit wohl den entscheidenden Vorteil, dass Jung als erster Vielseitigkeitsreiter überhaupt in der vergangenen Olympiade alle bedeutenden Titel der Welt auf sich vereinen konnte. „Ich denke, der Erfolg liegt im System an sich, an unserer Ausbildung zu Hause mit einem Team, das sehr gut funktioniert. Man merkt einfach, dass die Pferde zufrieden sind“, sagt Jung.

Denn beim Vielseitigkeitsreiten, wo die Pferde im Gelände teils im Blindflug unterwegs sein müssen, ist das hundertprozentige Vertrauen in den Reiter unabdingbar. „Während ich viele Pferde auf Turnieren sehe, die hektisch oder nervös sind, fühlen sich meine sichtlich wohl. Das kommt sicherlich von der ganzen Wellness, die sie bei uns zu Hause genießen“, meint der 30-Jährige mit einem verschmitzten Lächeln.

Jung überlässt daneben nichts dem Zufall, hat zu Hause eine Geländestrecke mit mehr als 100 Hindernissen aufgebaut, die vom insgesamt zehnköpfigen Team ebenso gepflegt werden muss wie die Pferde. Trotzdem passieren manchmal Dinge, die nicht planbar sind. So wollte Jung eigentlich mit dem neun Jahre alten Aachen-Sieger Takinou nach Rio reisen, doch der zog sich nun einen fiebrigen Infekt zu.

Doch zum Glück hat Jung eben nicht, wie die meisten Reiter, nur ein Olympia-reifes Pferd im Stall, sondern derer sogar drei. Erste Wahl nach Takinou war nun der 16-jährige Sam, mit dem Jung schon 2012 in London Einzel- und Mannschaftsgold gewann. Auch auf der elfjährigen Stute Rocana hätte er Siegchancen.

Nun stieg jedoch „Oldie“ Sam am vergangenen Samstag mit seiner Pflegerin und einem Tierarzt in den Flieger nach Rio, einen Tag später kam sein Reiter hinterher. „Sam ist im Moment sehr, sehr fit und mit Takinou absolut gleichwertig“, sagt Jung, der dem jungen Wallach nur wegen der etwas besseren Dressurleistungen den Vorzug gegeben hätte.“ Der Vorteil: Die beiden kennen sich aus dem Eff-Eff, haben neben dem olympischen Doppelgold auch den WM-Einzeltitel 2010 in Kentucky und in diesem Jahr den prestigeträchtigen CCI4* in Burghley gewonnen. Die Partnerschaft zwischen Jung und seinem Ausnahmepferd hält schon mehr als ein Jahrzehnt.

Doch Brasilien ist absolutes Neuland für die beiden: „Den Testevent vergangenes Jahr haben wir ausgelassen, weil das mit der Quarantäne zu kompliziert war“, erklärt Jung. Um die klimatischen Bedingungen nahe des Äquators und einen möglichen Leistungseinbruch von Sam macht sich Jung allerdings keine Sorgen. „In Brasilien fängt ja bereits der Winter an, daher denke ich, dass es kein großer Unterschied zu Europa sein wird. Außerdem sollte eine Woche zur Eingewöhnung für mich und die Pferde reichen.“

Etwas anderes ist Michael Jung viel wichtiger in Rio: „Dass mein Papa immer dabei ist, weil er die Pferde von zu Hause kennt und beim Trainieren hilft“, sagt der 33-Jährige, den zudem seine Freundin Faye als Pferdepflegerin begleitet.

Auch wenn er der haushohe Favorit auf Gold ist, will sich der Doppel-Olympiasieger, Welt- und Europameister keinen Druck machen: „Wenn man da hinfährt, will man sowieso seine beste Leistung bringen und versucht sich am besten vorzubereiten. Aber man braucht auch Glück: Wenn da irgendwo mal ein Busch wackelt und ein Pferd erschrickt, kann es schnell mal vorbei sein.“

Und vielleicht ist es ja ein gutes Omen, dass der Wallach, dessen Markenzeichen die überkreuzten Vorderbeine über den Sprung sind, nun unverhofft doch wieder zum Einsatz kommt. Schließlich gibt es kaum ein Duo, das sich besser kennt als Jung und sein Sam. „Je länger man sich kennt, desto besser weiß man, wie es dem anderen geht. Das ist wie im richtigen Leben“, sagt Jung. Und darauf kommt es schließlich an, wenn es im Gelände doch mal eng wird.

Anspruchsvolles Programm

Zeitplan Die Vielseitigkeitsreiter eröffnen das pferdesportliche Olympia-Programm in Rio. Den Anfang macht wie immer die Dressur am 6. und 7. August, einen Tag später geht es auf die Geländestrecke, wo bereits eine Vorentscheidung fallen kann. Im abschließenden Springen werden die Mannschafts- und Einzelmedaillen am Dienstag, 9. August, vergeben. Der olympischen Regel geschuldet, dass keine zwei Medaillen für dieselbe Leistung vergeben werden, treten die besten Einzelreiter nach dem Teakspringen anschließend in einem verkürzten Springkurs noch einmal gegeneinander an.

Hügeliger Kurs Für den Bau der Geländestrecke wurde der französische Parcours-Designer Pierre Michelet gewonnen. Der international sehr erfahrene Parcourschef hat laut Doppel-Olympiasieger Michael Jung „einen Kurs durch bergiges Gelände gewählt, der konditionell schwierig und technisch anspruchsvoll ist“. Allerdings sei der Kurs auch so fair, dass bei schwierigen Passagen stets Alternativen für die weniger erfahrenen Olympia-Reiter und ihre Pferde bereitstehen. „Insofern hoffe ich dass wir sehr viele schöne Bilder haben und auch die unerfahrenen Reiter glücklich und gesund ins Ziel kommen.“ ?mha