Smart Factory

Mensch und Roboter kontrollieren sich

In der Fabrik der Zukunft ist die Wandlungsfähigkeit wichtig, alles ist modular aufgebaut. Maschinen übernehmen mehr und mehr Arbeit.

10.04.2021

Von THOMAS VEITINGER

Mensch und Roboter arbeiten Hand in Hand. Foto: Kuka

Mensch und Roboter arbeiten Hand in Hand. Foto: Kuka

Ulm. In manchen Unternehmen gibt es noch immer getrennte Kantinen. Angestellte in Hemd, Bluse, Anzughose und Kleid sitzen anderswo als Arbeiter in Arbeitskleidung. Anscheinend, damit sich die besser Angezogenen nicht schmutzig machen. Künftig könnte das anders sein. Denn Produktionshalle und Büro sollen verschmelzen – und damit wohl auch saubere und die vermeintlich schmutzige Arbeit. Überhaupt dürfte in der Fabrik von Morgen vieles zusammenwachsen. Roboter und Menschen arbeiten Hand in Hand, Technologien und Unternehmensbereiche wie Vertrieb, Produktion und Logistik werden auch räumlich enger verkettet. Künstliche Intelligenz (KI) hält Einzug. Und alles wird vernetzt. Die Digitalisierung stellt Gewohntes auf den Kopf. Die Wandlungsfähigkeit ist entsprechend ein wichtiges Thema der am Montag beginnenden virtuellen Hannover Messe.

Wie wichtig die Flexibilität ist, zeigt auch eine neue Umfrage des Branchenverbands Bitkom. Von 550 befragten Unternehmen haben 81 Prozent ihre bestehenden Produktion und Dienstleistungen an Corona-Bedingungen angepasst, die Hälfte bieten sogar Neuigkeiten an, die es zuvor nicht gab. 95 Prozent der Unternehmen geben an, dass durch die Pandemie die Digitalisierung an Bedeutung gewonnen hat. Ergebnisse, die Bernhard Rohleder „sehr hoffnungsfroh“ stimmen: „Die Corona-Pandemie muss genutzt werden, den digitalen Umbau der deutschen Industrie voranzutreiben“, fordert der Bitkom-Hauptgeschäftsführer. So gut wie alle Unternehmen sehen in der Umfrage Industrie 4.0 als Chance – zwei Drittel betrachten sich aber als Nachzügler oder geben an, den Anschluss verpasst zu haben.

Wie sieht sie aus, die Fabrik der Zukunft? Bosch zeigt auf der Hannover Messe seine Version davon. Das fängt beim Hallenboden an, der erkennt, wo ein Mitarbeiter steht und geht. Nur Boden, Decke und Wände sind starr. Roboter agieren nicht hinter trennenden Wänden, sondern arbeiten ohne Schutz direkt mit Menschen. Bis zu 600 kleine Röhrchen werden pro Stunde genauso sicher gegriffen und gescannt wie große Dosen – mit 99prozentigem Erfolg. Eine spezielle „Maschinenhaut“ erkennt mittels elektrischem Feld, wenn ein Kollege aus Fleisch und Blut zu nahe kommt und stoppt die Arbeit.

„Das Erfolgstrio für die Fabrik der Zukunft besteht aus Mensch, Maschine und Daten“, sagt Bosch-Geschäftsführer Stefan Hartung. Die Wandelbarkeit ist ein unumkehrbarer Prozess. Die Pandemie wirkt sich dabei als „Booster“ für die Bereitschaft zur vernetzten Produktion aus. Bosch hat seit 2011 über vier Milliarden Euro Umsatz mit Industrie 4.0 erzielt – allein 2020 mehr als 700 Millionen Euro.

„Der Mensch bleibt im Industrie 4.0-Zeitalter unverzichtbar“, sagte Hartung schon 2019, als die Bosch-Roboter noch von Avataren dargestellt wurden. Bei komplexen Aufgaben oder Qualitätskontrollen können ihn Roboter unterstützen. Menschenhände werden etwa noch gebraucht, längere dünne Kabel einzusetzen und Roboter zu kontrollieren. Roboter wiederum kontrollieren und dokumentieren das Festziehen von Radschrauben am Auto und senden die Daten in die Cloud.

An einem Arbeitsplatz verfolgen Maschinen die Arbeit von Menschen und schicken rechtzeitig ein kleines Fahrzeug mit neuen Teilen vorbei, damit seine Arbeit nicht stockt. Auch in der „Factory 56“ von Daimler in Sindelfingen, wo die neue S-Klasse gebaut wird, wurde das klassische Fließband durch Transportsysteme ohne Fahrer abgelöst. Alles ist modular aufgebaut, Prüfprozesse, Verpackung und Vorbereitung zum Versand werden integriert. Künstliche Intelligenz hilft beim Schreiben standardisierter Software genauso wie bei Arbeitsschritten und der Kontrolle. Effizienz, Ausfallzeit und Wartung werden minimiert.

„Flexibilität und Offenheit ist sehr wichtig“, sagt Bosch-Rexroth-Manager Marc Wucherer. Der Bedarf gibt den Takt vor, das Produkt den Prozess. Maschinen und Roboter ordnen sich immer wieder neu. Im Extremfall ist jedes hergestellte Teil individuell, wie von Kunden selbst entworfene Handyhüllen oder Wohnzimmerregale. Bei einer Million immer gleicher Teile dagegen mache der modulare Aufbau wenig Sinn, sagt Thomas Fechner, Leiter des Bereichs New Business bei Bosch Rexroth. Aber Sondermaschinen, die abgeschottet vor sich hinarbeiten und nur langwierig umzubauen sind, seien ein Relikt aus der Vergangenheit.

Das bestätigt im Prinzip auch Dirk Reichelt von der Hochschule für Technik und Wirtschaft in Dresden. „Vor allem in Großunternehmen wie der Halbleiterproduktion übernehmen Maschinen die Arbeit.“ Sie könnten gut prüfen und schwere Gegenstände bewegen. Menschen werden aus der Produktion nicht verschwinden, aber mehr überwachen und zum Problemlöser werden. Bei einem Bäcker in Görlitz bestücken Roboter Bleche mit Teig, bei einem Laminat-Hersteller kontrollieren sie Verpackungen, bei einem Autorad-Produzenten montieren sie Räder. In Zeiten des Fachkräftemangels sind Schichtarbeit, dreckige und schwere Arbeiten besonders unbeliebt. Menschen des Start-ups Wandelbots machen Roboter dabei vor, was diese nachzumachen haben – ganz ohne Programmierung.

Foto: Bitkom

Foto: Bitkom