Tübingen · Bemerkenswerte Rede

„Mein Leben ist ein sexistischer Witz“

Die Rede von Bürgermeisterin Daniela Harsch bei der Tübinger Feuerwehrkneipe im Original-Wortlaut.

11.11.2019

Von ST

Harsch bei ihrer Rede. BIld: Ulrich Metz

Harsch bei ihrer Rede. BIld: Ulrich Metz

Die Feuerwehrkneipe. Mythos einer ganzen Stadt. Viel wird erzählt, viel wird darüber geredet. Mancher Skandal wurde hier geboren.

Meine Damen und Herren, als ich letztes Jahr, gerade frisch gewählt, hier ins Feuerwehrhaus kam, ermahnte mich der Kommandant meiner Heimatabteilung: „Da setzsch Di no, bleibsch sitza und sagsch nix“. Ich tat wie mir geheißen. Diese Kneipe, so schien mir, ist ein ziemlich gefährlicher Ort. Und sexistisch sollte es ja auch sein. Nun ja, die Sprüche und Witze habe ich mir vergangenes Jahr angehört. Und gelassen kann ich sagen: „Mancher hat ein trautes Heim und mancher traut sich gar nicht heim“.

Und wissen Sie was? Für sexistische Witze, da muss ich gar nicht zur Feuerwehrkneipe gehen. Ich bin unter 1,60 und blond. Nicht gerade das typische Exemplar einer Bürgermeisterin. Mein Leben ist ein sexistischer Witz.

„Ah, die neue Bürgermeisterin. Da haben die Tübinger aber hübschere Aussichten als der Reutlinger Gemeinderat.“ Und ich dachte, ich wurde wegen meiner Qualifikation gewählt. Oder zumindest aufgrund des Parteibuchs. Aber als Deko auf der Verwaltungsbank eigne ich mich scheinbar auch ganz gut. Zwei Diplome, ein Doktor – alles egal. Hauptsache, die Aussichten stimmen.

Oder man kann auch auf den Markt gehen: „In Natur sehen Sie viel besser aus als auf dem Foto“. Sagte ein Mann, den ich nicht kannte. „Alles klar, ich entlasse den Fotografen. Danke für den hilfreichen Hinweis“. Na, was haben wir gelacht.

Oder einen habe ich noch: Große Veranstaltung. Man steht beisammen. Sagt einer in der Runde: „Ich hätte ja nicht gedacht, dass der Palmer sich so eine hübsche Bürgermeisterin raussucht.“ Wo sucht man sich denn so eine Bürgermeisterin raus? Im Bürgermeisterinnen-Katalog? Und wenn man Bürgermeisterinnen im Katalog bestellen kann, wie heißt der Katalog dann? „Schöner verwalten“? Da frage ich mich ja dann, aus welchem Katalog meine beiden Kollegen Palmer und Soehlke bestellt wurden.

Meine Herren, ich weiß: Die Spezies Mann ist leicht zu verunsichern. Da weiß man gar nicht mehr, was man den Frauen noch sagen darf. Die Welt wurde einfach immer komplizierter. Keine Brüste im Dirndl darf man mehr loben. Sonst kommt gleich #metoo. Schwierig, sehr schwierig. Ich sag es Ihnen, liebe Männer. Das ist alles gar kein Problem. Treffen wir eine Verabredung: Ich werde einfach zukünftig, wenn ich der ein oder anderen Rede von dem ein oder anderen von Ihnen gelauscht habe, zu Ihnen gehen. Und die Rede loben? Nein, ich sage: „Das ist aber ein schöner Anzug.“ Oder noch besser: „Das ist aber eine hübsche Gürtelschnalle.“ Dann ist wenigstens gleich klar, dass der Blick auf dem Wesentlichen liegt.

Nur ist das ja manchmal nicht so attraktiv. Man sieht die Schnalle vor lauter Bauch nicht. Dann die Schuhe loben. Oder die Haare. Wenn es denn noch welche gibt. Egal, nur kein inhaltlicher Bezug zum Gesagten. Das halte ich für einen fairen Deal.

Und jetzt, wo die Rahmenbedingungen geklärt sind, komme ich zu den offiziellen Worten.

Ich habe nach meinem Amtsantritt eigentlich jede Rede bei der Feuerwehr mit den folgenden Sätzen begonnen: „Schon wieder eine neue Bürgermeisterin? Korrekt. Schon wieder eine, die keine Ahnung von Feuerwehr hat? Auch korrekt.“ Und daher bedanke ich mich umso herzlicher beim Hauptamt und bei den Abteilungen des Ehrenamts für die freundliche Aufnahme und die Bereitschaft, mir offen zu begegnen. Ich habe viel gelernt.

Nicht nur darüber, in welcher Abteilung es welches Essen gibt und welcher Schnaps am besten schmeckt. Ich habe gesehen, mit wieviel Leidenschaft alle hier Feuerwehrfrauen und Feuerwehrmänner sind. Am Tag. In der Nacht. Am Wochenende. Unzählige Einsätze. Manche Frustration. Und auch die Erkenntnis, dass eine sich wandelnde Arbeitswelt das Ehrenamt nicht leichter macht.

Nicht zu wissen, was einen erwartet, wenn der Alarm los geht. Nicht zu wissen, ob alle wieder zurückkommen werden.

Ich sage „Danke“ hierfür. Aufrichtig, ehrlich und voller Respekt. Danke.

Und ein Dank geht zum Abschluss an jemanden, der heute nicht hier sein kann. Der mir aber mit einer unfassbaren Geduld bei sehr vielen Gläsern Bier oder Wein erklärt hat, wie dieses „System Feuerwehr“ eigentlich funktioniert: Kreisbrandmeister Stefan Herrmann, ich danke Dir.

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Erstellt:
11.11.2019, 14:40 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 09sec
zuletzt aktualisiert: 11.11.2019, 14:40 Uhr

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