Mössinger Hoeckle-Areal

Von der Brache zum Quartier

Die Nachfrage nach Wohnraum beschränkt sich nicht auf die großen Städte. Auf einer Industriebrache in Mössingen entsteht in den nächsten Jahren zentrumsnah ein modernes Viertel für hunderte Menschen.

03.06.2022

Von Moritz Siebert

Skizze vom Hoeckle-Areal. Bild: Architekten Hähnig-Gemmeke

Skizze vom Hoeckle-Areal. Bild: Architekten Hähnig-Gemmeke

Mehrere Traditionsunternehmen, die Ort und Ortsbild prägten, hat Mössingen in den vergangenen Jahrzehnten verloren: die Textilunternehmen Merz und Pausa 1992 und 2004, im Jahr 2018 folgte der Maschinenbauer Hoeckle. Mössingen war seit der Ansiedlung dieser Unternehmen stark gewachsen: Lagen die Fabrikhallen ursprünglich im Randbereich des Orts, hinterließen die Unternehmen große Brachen im geschlossenen Siedlungsbereich.

Die Insolvenzen bedeuteten für Mössingen einen Verlust an traditionsreichen Firmen und Arbeitsplätzen. Sie waren aber auch eine Chance für die Ortsentwicklung: Aus der Fläche der Firma Merz ist seit 2009 zunächst ein Wohnviertel entstanden – und mit dem Bau des Gesundheitszentrums, der 2014 startete, ein zentraler Teil der neuen Stadtmitte. Weiter westlich hat sich aus den ersten Teilen des denkmalgeschützten Ensembles des ehemaligen Textilunternehmens Pausa ein Quartier mit Bibliothek, Streuobst-Infozentrum und Café entwickelt.

Und als Hoeckle endgültig insolvent ging, blieb ein Betriebsgelände mit 2,7 Hektar Fläche zurück, wenige Gehminuten vom Ortskern entfernt. Nachdem der Besitzer das Gelände auf den Markt brachte, dauerte es nicht lange, bis ein Investor Interesse anmeldete, der europaweit tätige Immobilienentwickler BPD. Im Juli 2020 präsentierte dieser mit der Stadtverwaltung Ideen: Ein urbanes Quartier mit Geschäftseinheiten, Gastronomie und Wohnraum für gut 700 Menschen soll entstehen.

„Die Entwicklung hat große Auswirkungen auf die Umgebung und die Stadt“, sagt Mössingens Baubürgermeister Martin Gönner. Für die Stadt sei immer klar gewesen, dass kein neuer Betrieb dort ansiedeln soll. Und auch für ein neues Wohnviertel forderte die Stadt, dass der Investor kein fertiges Konzept überstülpt. Die Entwicklung sollte mit Bürgerbeteiligung, mit den Ideen und Anregungen von Senioren, von Jugendlichen und Anwohnern geschehen, erklärt Gönner. Einen städtebaulichen Wettbewerb, der 2021 ausgelobt wurde, setzte Mössingen ebenfalls voraus. Dieser sollte Vergleichsmöglichkeiten bringen. Die Herausforderung für die Planer: Ein verdichtetes Viertel entwickeln mit Platz für 700 Menschen, das einen urbanen Charakter aufweist, der aber mit dem Kleinstadtcharakter Mössingens harmoniert.

Umgeben ist die Fläche von einer zentralen Verkehrsachse im Westen, einem Sportgelände im Osten und sonst Wohngebieten, die hauptsächlich aus Einfamilienhäusern bestehen. Das Tübinger Büro Hähnig Gemmeke, das die Jury zum Sieger kürte, plant zusammen mit dem Landschaftsarchitekten Fromm aus Dettenhausen mit sechs offenen Wohnhöfen und mit bis zu fünfgeschossigen Gebäuden zur Straße hin. In Richtung der bestehenden Wohnbebauung sollen die Geschosszahlen abnehmen, am Randbereiche einige Häuser traditionelle Satteldächer erhalten, um eine optische Verträglichkeit mit der Umgebung zu erreichen.

„Wir müssen neue Wege finden“, erklärt Baubürgermeister Gönner: „Wir müssen verdichten.“ Auch im ländlicheren Bereich ist Wohnraum seit Jahren gefragt. Der Druck auf dem Markt in den Zentren entlädt sich längst in die Peripherie. In den Entwicklungsprozess für das neue Gebiet startete BPD mit einer Wohnmarktanalyse: Die Hälfte der Suchenden in Mössingen kommt direkt aus Mössingen, jeweils 15 Prozent kommen aus Reutlingen und Tübingen, weitere 20 Prozent aus der Gegend um diese Städte. Nachfragen gibt es von Baugemeinschaften, von Älteren, die sich verkleinern wollen, erzählt Gönner, aber auch von Jüngeren, die nicht mehr nur nach Grundstücken suchen, sondern nach Wohnung, weil sie flexibel und mobil bleiben wollen.

Geplant wird das Viertel ohne Durchgangsverkehr, eine Quartiersgarage soll es aber geben. Es sei auch ein Bewusstsein da, dass sich die Mobilität verändert, sagt Gönner. Den Stellplatzschlüssel hat Mössingen für das Gebiet verringert. „Ein Ringen, aber keinen Widerstand“ habe es bei diesem Thema im Entwicklungsprozess gegeben, berichtet er. Mit der Regionalstadtbahn, mit Konzepten wie Teilauto könne der Schlüssel dann gegebenenfalls schrittweise weiter runter. Das neue Quartier soll auch vorbildhaften Charakter haben, an dem sich künftige Projekte orientieren können. Das Baurecht für das Projekt soll noch dieses Jahr stehen, so der Plan, im kommenden Jahr könnten die Bauarbeiten dann schon beginnen. Eine schrittweise Entwicklung ist das Ziel.

Die Firma Hoeckle und ihr Ende

Das Unternehmen Hoeckle, 1928 in Stuttgart gegründet, verlagerte 1944 seinen Sitz nach Mössingen. Nachdem der Spezialist für Kurbelwellen und Pleuelstangen über mehrere Jahre rote Zahlen schrieb, reichte er 2017 einen Antrag auf Insolvenzverwaltung ein. Noch im selben Jahr stieg ein tschechischer Investor ein. Der schloss die Mössinger Produktion 2018 und bot das Gelände zum Verkauf.