Tübingen · Naturschutz

Mehr tun für mehr Arten

Elf Gruppen fordern mehr kommunale Verantwortung in der Biodiversitätskrise.

21.02.2021

Von Sabine Lohr

Der stark gefährdete Laubfrosch ist Patentier des Kreises. Die Stadt Tübingen hat im Ammertal bereits mehrere Maßnahmen umgesetzt. Der weitere Rückgang wurde so gestoppt. Bild: Thomas Bamann

Der stark gefährdete Laubfrosch ist Patentier des Kreises. Die Stadt Tübingen hat im Ammertal bereits mehrere Maßnahmen umgesetzt. Der weitere Rückgang wurde so gestoppt. Bild: Thomas Bamann

Gezielte Schutzmaßnahmen für gefährdete Arten, weniger Lichtverschmutzung und Flächenverbrauch, naturnahes Stadtgrün und die Förderung eines Ernährungsrates – das und weiteres fordern elf Tübinger Initiativen aus dem Natur- und Umweltschutz. Das Bündnis hat elf Forderungen an den Tübinger Gemeinderat aufgestellt, wie auf kommunaler Ebene mehr gegen das Artensterben getan werden kann. Am 24. Februar stellt es die Forderungen in einer öffentlich zugänglichen Online-Veranstaltung vor. Die Fraktionen sind aufgerufen, Stellung zu nehmen. Bisher haben Vertreter der CDU, der Grünen, der SPD und Tübinger Liste zugesagt.

In einer Pressemitteilung schreibt das Bündnis, im Tübinger Gemeinderat genieße der Natur- und Artenschutz – anders als Klimaschutz und Klimaanpassung – bislang wenig Aufmerksamkeit. Das solle sich ändern.

Judith Engelke ist studierte Biologin und auch hauptamtlich im Naturschutz tätig. Sie hat den Forderungskatalog maßgeblich erarbeitet und das Bündnis dahinter organisiert. Sie sagt: „Wir brauchen nicht darauf zu warten, bis sich an den großen Stellschrauben wie der europäischen Agrarpolitik etwas ändert. Schon heute können wir – auch in Tübingen – viel erreichen, indem wir öffentliche Grünflächen in blühenden Wiesen verwandeln, Gebäudebrüter wie den Mauersegler bei Sanierungen berücksichtigen oder Arten wie Kiebitz und Laubfrosch durch gezielte Maßnahmen auf kommunaler Ebene fördern.“

Der Forderungskatalog zeigt auf, wie breit dabei die Handlungsmöglichkeiten sind: vom Beitritt zum Bündnis „Kommunen für biologische Vielfalt“ und einer prominenteren Stellung des Themas in den Ausschüssen des Gemeinderates und in der Stadtverwaltung bis hin zu gezielten Förderung von Landwirten, die Pachtflächen in kommunalem Eigentum biodiversitätsfördernd bewirtschaften.

Sonja Bluhm, Geschäftsführerin des Umweltzentrums Tübingen, ist zuversichtlich, aber auch ungeduldig: „Es muss endlich vorausschauender gehandelt werden und nicht nur Symptombekämpfung betrieben werden.“ Michael Koltzenburg vom Landesnaturschutzverband Baden-Württemberg wünscht sich für Tübingen eine weitere Vorreiterrolle: Nicht nur im Klimaschutz und bei der Bewältigung der Corona-Krise, sondern auch bei der Lösung von Konflikten zwischen Klimaschutz und Artenvielfalt. Das Bündnis weist darauf hin, dass viele Organismen wichtige Funktionen im Ökosystem haben – wie die Bestäubung, die Kontrolle von Schädlingen oder die Bodenfruchtbarkeit zu erhalten.

Der Rückgang der Biodiversität sei alarmierend. Im Landkreis Tübingen seien etwa die Feldvogelpopulationen drastisch zurückgegangen. So sind die Bestände von Grauammer und Rebhuhn von den 1980er bis in die 2010er-Jahre auf nur noch etwa 10 Prozent der ursprünglichen Bestände gesunken. Kiebitz und Braunkehlchen kamen in den 2010er-Jahren im Kreis Tübingen gar nicht mehr vor. Durch engagierte Artenschutzprojekte sei aber für drei der Arten eine Trendumkehr erreicht worden. Judith Engelke hat 2018 das letzte Braunkehlchen-Monitoring durchgeführt, bevor dieses eingestellt wurde. Sie fordert: „Lasst uns gemeinsam etwas gegen die Biodiversitätskrise tun und heute da anfangen, wo wir am meisten Handlungsspielraum haben: jeder bei sich selbst im eigenen Garten und bei seinem Konsumverhalten, aber eben gerade auch in der Kommunalpolitik.“ ST