Flüchtlingsnetzwerk

Mehr als nur ein Garten

Im interkulturellen Garten in der Gomaringer Lindenstraße bauen Menschen aus aller Welt gemeinsam Kartoffeln, Tomaten und Zwiebeln an. Das Gemüse gedeiht, die Freundschaft auch.

02.08.2017

Von Gabi Schweizer

In Teamarbeit basteln Loay Ilas und Marion Quellmalz-Zeeb eine Rankhilfe für die Schlangengurken. Ilas bringt Gemüsebau-Erfahrung aus dem Irak mit. Im Hintergrund links kümmert sich Jürgen Hirning um die Stangenbohnen, Gebhard Wolf schaut zu. Bilder: Franke

In Teamarbeit basteln Loay Ilas und Marion Quellmalz-Zeeb eine Rankhilfe für die Schlangengurken. Ilas bringt Gemüsebau-Erfahrung aus dem Irak mit. Im Hintergrund links kümmert sich Jürgen Hirning um die Stangenbohnen, Gebhard Wolf schaut zu. Bilder: Franke

Gurken, Auberginen, Tomaten und Paprika gediehen einst auf Mostafa Hamkis Land. Ein bisschen außerhalb von Aleppo hatte er drei Hektar. Was er dort anbaute, verkaufte er in seinem Laden in der Stadt. Doch wo sein Geschäft war, ist jetzt alles zerbombt. Die Hamkis sind mit den beiden jüngeren Töchtern nach Deutschland geflohen – die Älteste ist in Syrien geblieben. In Gomaringen haben sie ein neues, sicheres Zuhause gefunden und im Flüchtlingsnetzwerk Freunde – allen voran ihre Patin Christa Dölker.

Jetzt gehören Mostafa Hamki und Christa Dölker zu der Gruppe, die den interkulturellen Garten in Gomaringen bestellt, das neueste Projekt des Netzwerks. Neun Beete reihen sich inm itten der großen Wiese zwischen Lindenstraße 18 und Friedhof aneinander. Sorgsam schleppt der versierte Gemüsebauer Gießkanne um Gießkanne zu seinen Pflänzchen. Christa Dölker steckt dürres Reisig zwischen die Erbsen, damit sie sich schön hochranken können. Nebenan basteln Loay Ilas und Marion Quellmalz-Zeeb ein Gestell für die Schlangengurken. Jürgen Hirning spitzt ein paar alte Bohnenstangen neu zu. Jemand hat aus Versehen Stangen- statt Buschbohnen gesät, jetzt sind neue Kletterhilfen nötig. Kinder spritzen Gießkannen mit dem Gartenschlauch voll und kreischen, wenn etwas danebengeht. Rahaf Breiki kommt mit Baby Maryam hinzu. Fünf Monate alt sei die Kleine, erzählt die Syrerin. Das jüngere ihrer beiden Kinder ist in Deutschland geboren. Und Aysun Er stellt einen großen Korb mit Gebackenem auf den Gartentisch, drüben beim Schuppen. „Ganz frisch“, erzählt sie und steckt Marion Quellmalz-Zeeb, die früher gehen muss, noch ein bisschen Wegzehrung zu. Die Gomaringerin Aysun Er hat im Gemeindeboten gelesen, dass jeder, der möge, ein kleines Stück Land bewirtschaften könne. Sie wohnt nur ein paar Häuser weiter – und meldete sich spontan.

Ein Ort der Begegnung soll der Garten sein zwischen alten und neuen Gomaringern – gerne auch Bürgern, die bisher nicht im Flüchtlingsnetzwerk engagiert waren. Die Gemeinde stellt den großen Garten kostenlos zur Verfügung. „Man macht was miteinander, man redet, man kommt ganz normal im Handeln zusammen“ – so beschreibt Marion Quellmalz-Zeeb das Projekt, das sie als sehr gelungen empfindet. Normalerweise arbeitet sie im Asylcafé mit, für eine Patenschaft reicht ihre Zeit nicht aus.

Wie sie kannten die meisten Gärtner sich bereits aus dem Flüchtlingsnetzwerk. Drei Flüchtlingsfamilien haben das Angebot angenommen, eine vierte will im kommenden Jahr mitmachen. Das geht, es ist Platz für mehr als die neun bereits bestellten Gärtchen. Wie aus Wiese fruchtbares Ackerland wird, weiß am besten Jürgen Hirning, einst langjähriger Vorsitzender des Obst- und Gartenbauvereins und nach wie vor Besitzer eines alten, aber tüchtigen Traktors. Wenn sich jemand mit Kartoffelsorten und Gemüse auskennt, dann Hirning. Mit Pflug und Fräse hat er den Boden schön verkrümelt und vorsorglich mit der Bronnweiler Schäferin Barbara Zeppenfeld besprochen, dass er bei ihr biologischen Dünger fürs kommende Jahr abholen darf. Eine frisch gebrochene Wiese bringt sonst beim zweiten Anbau keinen Ertrag. Heuer wächst alles prächtig. „Die Rettichle sind sowas von schön!“, schwärmt Hirning. Nur Gebhard Wolf ist nicht so glücklich mit seinem Mais, der partout nicht gedeihen will. Bilal Breiki hingegen hat Erfahrung – schon in Syrien baute er Gemüse an.

Hirning selbst bewirtschaftet kein Gärtle in der Lindenstraße, er hat ja seinen Kartoffelacker in der Senke zwischen Stockach und Hinterweiler. Aber er hilft überall mit – und er genießt den Abendfrieden, wenn die Sonne langsam verschwindet, die Luft kühler wird und die Leute neben der Gartenarbeit Zeit haben zum schwätzen. Alle zwei Wochen treffen sie sich: „Das könnte gar nicht schöner sein.“ Dass zur Verständigung manchmal Gesten notwendig sind, ist nicht weiter schlimm.

Gert Presch hat das Sprachproblem am anderen Ende angepackt und versucht, Arabisch zu lernen. Einfach ist das nicht, aber er versteht immerhin den Smalltalk. Auch Presch ist aktiv im Flüchtlingsnetzwerk. „Sport und etwas Handwerkliches schaffen – das ist immer sehr dankbar“, hat er gemerkt. Da gelingt es schnell, miteinander über Sprachhürden hinweg in Kontakt zu kommen. Seit Kurzem gibt es bei der Sammelunterkunft in der Daimlerstraße zwei Tore, die einst dem CVJM Dußlingen gehörten. Der 18-jährige Christopher Hammer war beim Aufstellen dabei und kommt eben vom Fußball-Spielen mit den Jungs, jetzt schaut er noch kurz im Garten vorbei. Auch Gäste sind willkommen. Etliche Gomaringer unterstützten das Projekt, indem sie Harken und Spaten spendeten. Das Saatgut kam unentgeltlich von den Härten. Geschickterweise betreibt Marc Schauecker vom dortigen Flüchtlingsnetzwerk einen Samenhandel.

Jürgen Hirning hat den einstigen Garten-Besitzer noch gekannt, Emil Pflumm: „Der wäre heute 95.“ Er trieb eine kleine Landwirtschaft um und hatte gute Verwendung für die große Wiese direkt an seinem Wohnhaus: „So hat er nicht jeden Tag ins Futter müssen.“ Schon mit 60 ist er gestorben. Seit vier Jahren sind Haus und Garten in Gemeindebesitz. In Emil Pflumms einstigem Schuppen stapeln sich nun die reparaturbedürftigen Räder, die das Flüchtlingsnetzwerk für die Neu-Gomaringer herrichtet. Nach der Ernte sollen hier auch die Zwiebeln und Kartoffeln aus dem Gemeinschaftsbeet eingelagert werden. Vorm Eingang stehen Stühle. Denn wenn die Beete gegossen und gejätet sind, kommt der schönste Teil: der Feierabend-Plausch.

Was gibt es an einem heißen Sommertag Schöneres als kühles Wasser aus dem Gartenschlauch? Der kleine Asem (hier mit Mostafa Hamki und seiner Mutter Rahaf Breiki) scheint jedenfalls sehr begeistert.

Was gibt es an einem heißen Sommertag Schöneres als kühles Wasser aus dem Gartenschlauch? Der kleine Asem (hier mit Mostafa Hamki und seiner Mutter Rahaf Breiki) scheint jedenfalls sehr begeistert.

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Erstellt:
02.08.2017, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 41sec
zuletzt aktualisiert: 02.08.2017, 01:00 Uhr

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