Warnstreik: „Nicht nur gut Wetter machen“

Mehr als 100 Angestellte aus dem öffentlichen Dienst kamen am Mittwoch auf den Tübinger Holzmarkt

Ein Flair von Hollywood auf dem Tübinger Holzmarkt: Dort rollte die Gewerkschaft Verdi am Mittag den roten Teppich aus. „Für die Stars im öffentlichen Dienst“, sagte Benjamin Stein, der Verdi-Bezirksgeschäftsführer Fils-Neckar-Alb. „Die schaffen das ganze Jahr für die Bevölkerung und haben es verdient.“

08.03.2018

Von Moritz Hagemann

Neongelbe Westen streiften sich die meisten der Streikteilnehmer aus dem öffentlichen Dienst auf dem Holzmarkt über. Bild: Metz

Neongelbe Westen streiften sich die meisten der Streikteilnehmer aus dem öffentlichen Dienst auf dem Holzmarkt über. Bild: Metz

Um fünf vor zwölf hatte die Gewerkschaft zum Warnstreik aufgerufen, zum ersten Mal zeigten sich die Auswirkungen des laufenden Tarifkampfes in Tübingen. Sechs Prozent mehr Lohn fordern die Angestellten, monatlich aber mindestens 200 Euro und 100 Euro für Auszubildende. „Uns ist es wichtig, dass uns die Bürgermeister und Landräte wahrnehmen“, sagte Stein. In Tübingen spielte immerhin das Wetter mit: In Albstadt bibberten die Gewerkschafter in der Vorwoche bei minus 14 Grad.

Gekommen waren Angestellte der Kreissparkasse, der Stadt, des Landratsamts, des Jobcenters und einige Erziehungskräfte. Insgesamt über 100 Personen, „obwohl wir nur mit 50 gerechnet haben“, sagte Stein. Einer davon war Ulrich Bühler, der Personalratsvorsitzende der Tübinger Kreissparkasse. Bei der Bank fällt die Streikzeit fast in die Mittagspause, deshalb sei das eine Sache, „die man einfach ausprobieren muss“, befand Bühler. Er kämpft vor allem darum, den Job wieder attraktiver zu machen. Mit dem ersten Warnstreik in Tübingen dürfte es aber nicht vorbei sein: „Ich glaube, dass die Mehrheit erst beim zweiten, dritten Streik kommt.“

Für den 12. und 13. März sind die nächsten Verhandlungen mit Bund und Kommunen angesetzt. Verhandelt wird in Potsdam. Zum letzten Mal wird dann Innenminister Thomas de Maizière (CDU) für den Bund am Tisch setzen. Schließlich soll Bundeskanzlerin Angela Merkel am 14. März wiedergewählt werden – und de Maizière anschließend seinen Ministerposten los sein. Sein Nachfolger: Horst Seehofer (CSU). Unter diesen Voraussetzungen erscheint eine Einigung zu Beginn der kommenden Woche nicht realistisch. „Auch die Erfahrung zeigt, dass es nach zwei Verhandlungsrunden nie zu Ende war“, sagt Hans-Dieter Bauschert, der Personalratsvorsitzende im Tübinger Landratsamt.

Dort werden die ganztägigen Streiks, die Verdi im Falle einer Nichteinigung auch für Tübingen ab dem 19. März ankündigt, nicht die größten Auswirkungen haben, weil viele Mitarbeiter verbeamtet sind. Bauschert findet es „eigentlich schade, dass man immer erst die Kulisse aufbauen muss“, obwohl „die Tarifrunde die Arbeitgeber nicht hart trifft“.

Sabine Gudszend ist Personalrätin beim Tübinger Jobcenter. Dort sind Angestellte bei der Kommune und dem Bund beschäftigt. Das sorgt für „eine Lohndifferenz von bis zu 400 Euro“ bei gleicher Arbeit. Der Warnstreik, den das Jobcenter mit 33 Angestellten besuchte, sei deshalb „unausweichlich“, sagt sie. Denn: „Im Jobcenter ist nicht nur gut Wetter machen.“

Mit Gaströten und Trillerpfeifen untermauerten die Gewerkschafter ihre Forderungen, „die auf jeden Fall drin sein müssen“, findet Dorothea Maltasiadis, die seit 25 Jahren bei der Stadt angestellt ist. Sie erinnert sich: „Ohne Streik gab’s nie was. Ohne erreichen wir nichts – das ist meine absolute Überzeugung!“ Für das Jahr 2018 habe die Stadt 4,24 Millionen Euro mehr auf der Habenseite als geplant. Davon wollen die Angestellten jetzt etwas abhaben.

Schon am Donnerstag zieht der Verdi-Tross weiter auf den Reutlinger Marktplatz. Der Warnstreik beginnt auch dort um fünf vor zwölf. Nach Verdi-Angaben sind in Tübingen und Reutlingen jeweils knapp 1000 Angestellte im öffentlichen Dienst betroffen.

Den Kita-Notdienst nutzten nicht viele

Fünf Mitarbeiter hielten im Kinderhaus Paula-Zundel am Freitag die Stellung. Dort in der Neuhaldenstraße hat die Stadtverwaltung von 7 bis 17 Uhr einen Notdienst eingerichtet, weil durch den Warnstreik die Betreuung in den Kitas eingeschränkt war. „Aber es ist ruhig bei uns“, sagte ein Mitarbeiter auf TAGBLATT-Nachfrage. Auch das städtische Infotelefon hätte es nicht gebraucht. „Eigentlich hat überhaupt niemand angerufen“, erklärte eine Sprecherin. Die Eltern scheinen die Situation in den meisten Fällen selbst gelöst zu haben.