Kommentar

Mehr Service-Deko für die Tübinger Umfrage-App

Manchmal spiele ich Lotto. Ja, klar: Das ist keine effektive Methode, Geld zu verdienen. Darum tue ich es selten, aber online. So kann ich keinen Tippschein verschlampen. Gelegentlich bestelle ich auch beim Internet-Versand. Auch selten. Man soll ja den lokalen Handel stärken. Bezahlen muss ich aber auch im Netz: Es gibt ja reichlich sicherheitszertifizierte Online-Bezahldienste.

05.10.2017

Von Hans-Jörg Schweizer

Symbolbild: Schweizer / bahram7 - Fotolia.com

Symbolbild: Schweizer / bahram7 - Fotolia.com

Für die meisten solcher Internet-Geschäfte ist keine fest aufs Smartphone installierte App nötig. Moderne Internetseiten zeigen sich auch auf mobilen Geräten gefällig und funktional – und fast ebenso komfortabel wie ihre App-Kollegen aus dem Play- oder App-Store. Echte Apps fordern bei ihrer Installation jedoch auch allerhand Zugriff auf Funktionen und Datenbestände des Telefons. Aber wer will für gelegentliche Nutzung gleich so viel preisgeben? Da stört es doch wenig, sich alle paar Monate wieder neu auf einer mobilen Internetseite mit Kennung und Passwort auszuweisen, anstatt sich auf das undurchschaubare Gedächtnis einer App zu verlassen, die wer weiß was mit den gespeicherten Daten veranstaltet.

Kurzum: Wer lädt sich wohl eine App aufs Handy, die er nur sehr sporadisch nutzt? Und die auch noch ausschließlich dem einen Zweck dient, dem Gemeinderat beim Entscheiden zu helfen? Dennoch will der Tübinger Rat für schlappe 200 000 Euro eine App für iOS und Android programmieren lassen, die nur das Eine kann: Leute nach ihrer Meinung fragen. Zu lokalpolitischen Themen wie dem im jüngsten Planungsausschuss. Da ging es (vor leeren Zuschauerreihen) darum, wo die Stadt 10 Hektar Gewerbeflächen ausweisen darf – oder eben nicht. Über die Popularität solcher Themen bei den Handybesitzern soll hier nicht weiter spekuliert werden.

Die für Tübingen geplante Befragungs-App soll den Bürgern jedenfalls nichts darüber verraten, welche Baustelle gerade den innerstädtischen Straßenverkehr dem Infarkt näherbringt, ob Boris Palmer mal wieder einen Obstbaumschnittkurs gibt oder wenigstens, wann der Bus fährt. Umfragen soll sie. Sonst nichts. Smartphone-Apps müssen aber vor allem eines sein: nützlich. Sind sie’s nicht, fliegen sie spätestens beim nächsten Speicherplatzmangel wieder vom Gerät. Sogar Leute mit Highend-Handys, die nicht von Gigabyte-Sorgen geplagt werden, installieren sich keine Apps, die ihnen im Alltag nichts bringen. Es soll sogar Menschen geben, die schneller neue I-Phones kaufen, als der Gemeinderat sich frische Abstimmungsthemen ausdenken kann.

Wenn es aber schon unbedingt eine eigene Umfrage-App sein muss, dann sollten sich die Macher gut überlegen, ob sie die eigentliche Funktion nicht lieber mit etwas alltagsrelevantem Service dekorieren sollten: Müllabfuhr-Alarm, nächster Teilauto-Standort, Stromzählerstand-Eingabe der Stadtwerke, Chat mit dem Bürgerbüro, Missstandsfoto-Upload, Live-Stream aus dem Gemeinderat – je hilfreicher die Funktionen im Leben der Menschen, desto größer die Wahrscheinlichkeit, dass die Leute die App wirklich installieren. Und dann folgen sie vielleicht sogar den seltenen Push-Nachricht-Rufen zur direkten Demokratie.