Mehr Profil wagen

Streit-Lust: Dorothea Kliche-Behnke und Stephan Neher

Die Kreisvorsitzenden von CDU und SPD, Stephan Neher und Dorothea Kliche-Behnke, reden über Fehler ihrer Parteien, Inhalte, Köpfe und Rezo.

08.06.2019

Von Gernot Stegert

Die einst stolzen Volksparteien CDU und SPD verlieren Wahl um Wahl Stimmen – bundesweit wie bei den Kommunalwahlen. Die Grünen sind nicht nur in Tübingen Nummer eins geworden. Das TAGBLATT bat die Kreisvorsitzenden Stephan Neher (CDU) und Dorothea Kliche-Behnke (SPD) zum Video-Gespräch.

„Das Problem unserer Parteien ist, dass wir zu viel rückwärtsgewandt diskutieren“, kritisierte Neher. Die SPD debattiere noch über Hartz IV und die Agenda 2010, die CDU über die Grenzöffnung 2015 von Kanzlerin Angela Merkel. „Es ist entschieden.“ Die Diskussion bringe nichts, so der Rottenburger Oberbürgermeister. „Die Grünen diskutieren zukunftsorientierter.“

Die CDU müsse ihr Wirtschaftsprofil schärfen, empfiehlt der Kreisvorsitzende. Falsch findet er: „Wir laufen den Themen anderer hinterher.“ Die Wähler entscheiden sich seiner Meinung nach immer fürs Original. Das habe er bei der Flüchtlingsdebatte mit Blick auf die AfD gesagt, und das sage er jetzt beim Klimaschutz mit Blick auf die Grünen. „Jede Partei muss ihr Profil finden.“ Was ist konservativ? Neher definiert es so: „Das Gute der Vergangenheit in die Zukunft tragen“ – unter veränderten Bedingungen. Die Modernisierungen der CDU in der Merkel-Ära trägt er mit. Neues Personal an der Bundesspitze hält der Kreisvorsitzende nicht für nötig. Über Annegret Kramp-Karrenbauer sagte Neher: „Auf jeden Fall ist sie die Richtige. Sie hat aber zu stark den Versuch unternommen, möglichst alle einzubinden und zu wenig das eigene Profil zum Vorschein gebracht.“

Beim Klimaschutz widerspricht die SPD-Kreisvorsitzende: „Wir haben an der Stelle versagt. Dass Deutschland die eigenen Ziele verfehlt, ist ein Skandal.“ Da müsse man in der Regierung bessere Antworten liefern. Für Kliche-Behnke ergibt sich daraus, was heute sozialdemokratisch ist: „Die soziale Frage ist weiter existenziell und stellt sich auch beim Klimaschutz.“ Dieser habe so starke Auswirkungen auf die Arbeitswelt wie die Digitalisierung. „Grün muss man sich leisten können.“ Sie fordert deshalb: „Wir müssen jetzt klarmachen, was unsere sozialökologische Alternative ist.“

Dass der Umgang in der SPD und der Abgang von Andrea Nahles alles andere als solidarisch sind, beschönigt die Kreisvorsitzende, auch Mitglied im Landesvorstand, nicht. Doch will sie nach vorne schauen. Jetzt müssten die Inhalte geklärt werden und dann, welche Personen das verkörpern. Sie ist mittlerweile auch für eine Doppelspitze offen und rechnet mit Überraschungen: „Es könnte am Ende ein Spitzenduo sein, das ich noch gar nicht kenne, obwohl ich wirklich viele in der Partei kenne.“

Das Video des Youtubers Rezo sieht Neher kritisch. Den „Hype“ findet er übertrieben. Für Kliche-Behnke bedeutet der Erfolg des Videos: „Man muss klarer und radikaler sein in den Botschaften.“