Koalitionsvertrag
Mehr Konkretes gefordert
Die Reaktionen der Wirtschaft auf die Ziele der Ampel-Koalition fallen unterschiedlich aus. Vor allem die Finanzierbarkeit hinterlässt Fragezeichen. Von Julia Kling
Die neuen Regierungspartner haben sich geeinigt. Der Koalitionsvertrag von SPD, Grünen und FDP steht und erntet von Seiten mehrerer Wirtschaftsverbände viel grundsätzliches Lob. Doch es wird auch Kritik an dem politischen Fahrplan für die kommenden vier Jahre laut. Vieles weise in die richtige Richtung, fasste Arbeitgeberpräsident Rainer Dulger zusammen. Digitalisierung, Dekarbonisierung und demografischer Wandel verlangten allerdings Antworten und einen „großen Wurf“, so Dulger. „Dieser ist leider nicht durchgängig im Koalitionsvertrag erkennbar.“
„Leider hat der Mut gefehlt“
Unter anderem lobte der BDA-Präsident den Verzicht der Ampel auf Steuererhöhungen und das Festhalten an der Schuldenbremse. „Leider hat der Ampel aber der Mut gefehlt, über den Status Quo hinaus neue Freiheiten für Unternehmen und Beschäftigte zu schaffen und Eigenverantwortung zu stärken.“
Positiv äußerte sich auch der Arbeitgeberverband Gesamtmetall. Die völlig neue Regierungskoalition habe die Chance, einen Ruck durch das Land gehen zu lassen, sagte Gesamtmetall-Präsident Stefan Wolf. „Wir finden nicht jedes Vorhaben notwendig, nicht jeden gewählten Ansatz erfolgversprechend und manches fehlt vielleicht auch – aber in Summe haben die Koalitionäre die Chance genutzt.“
IG-Metall-Chef Jörg Hofmann begrüßte, dass sich die künftige Regierung der großen Herausforderung, der sozial-ökologischen Transformation stelle. Zudem würden wichtige Themen etwa auf den Feldern Industriepolitik, aktiver Arbeitsmarktpolitik und Bildung angegangen. Zu kurz gedacht seien allerdings die Vorschläge zur Weiterentwicklung der Mitbestimmung. Und die große offene Frage laute: „Wieviel zusätzliche öffentliche Investitionen sind notwendig und wie sieht ihre Finanzierung aus? Auf Konkretisierung durch Regierungsrealität sind wir gespannt“, sagte der Gewerkschaftschef.
Kritik kam aus der deutschen Industrie. Insgesamt enthalte der Vertrag zu viele vage Absichtserklärungen, sagte Siegfried Russwurm, Präsident des Bundesverbands der Deutschen Industrie (BDI). „Hier bleibt der Löwenanteil der Arbeit noch zu tun.“ Positiv bewertete Russwurm unter anderem das Ziel eines modernen Staates. Wichtig sei aber, die Umsetzung „mit großem Ehrgeiz“ voranzutreiben: „Das angekündigte Jahrzehnt der Zukunftsinvestitionen muss Realität werden.“
Große Ambitionen, aber auch Unklares erkennt auch Hans-Peter Wollseifer in dem 177 Seiten umfassenden Vertragswerk. Der Präsident des Deutschen Zentralverbands des Deutschen Handwerks sieht „große Fragezeichen, etwa bei der dringend notwendigen Reform der sozialen Sicherungssysteme“. Das sei für die lohn- und damit beitragsintensiven Handwerksbetriebe kein gutes Signal.
Der Koalitionsvertrag sei zwar „von konstruktivem Zukunftsgeist geprägt“, sagte DIHK-Präsident Peter Adrian. Für die unternehmerische Praxis gebe es jedoch noch Unsicherheiten. Kritisch sei vor allem „die unklare Finanzierungsfrage vieler Vorhaben“.
Deutlicher äußerte sich der Bundesverband mittelständische Wirtschaft: Die Ampel-Parteien hätten sich auf den „teuersten gemeinsamen Nenner geeinigt“, sagte Geschäftsführer Markus Jerger. „Die Zeche dafür werden die Betriebe und Bürger zahlen.“ Die verschiedenen Vorhaben, etwa der Ausbau Erneuerbarer Energien, seien ohne Steuererhöhungen nur durch Neuverschuldung zu finanzieren.
Der Handelsverband HDE sieht viele positive Ansätze, etwa beim Thema Digitalisierung und der Entwicklung der Innenstädte, kritisierte aber die geplante Anhebung des Mindestlohns: Die sprunghafte Steigerung sei ein Eingriff in die Tarifverträge zahlreicher Branchen. (mit dpa)
Neues Ministerium weckt Hoffnungen
Beim Thema Bauen und Wohnen gibt es ein geteiltes Echo: So begrüßte IG-BAU-Chef Robert Feiger etwa das geplante eigenständige Bauministerium. Das sei „überfällig“ gewesen. Auch die Bauindustrie begrüßt diesen Schritt. Verbandspräsident Peter Hübner lobt das Bekenntnis zu Technologieoffenheit, Lebenszyklusbetrachtung und Quartiersansätzen, mahnt aber weiteren Handlungsbedarf an.
Der Mieterbund begrüßte zwar die geplante Schaffung neuen Wohnraums, nannte den Koalitionsvertrag aber ansonsten „unzulänglich“. „Offensichtlich hat sich die FDP beim Mietrecht deutlich durchgesetzt“, sagte Präsident Lukas Siebenkötten. Beim effektiven Mieterschutz komme man so nicht voran.