Ein Einser-Abi macht noch keinen Arzt

Medizinstudium: Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Numerus-Clausus-Urteil

Der Zugang zum Arztberuf muss bis Ende 2019 neu geregelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat Teile der bisherigen Vergaberegeln für unzulässig erklärt.

20.12.2017

Von afp/chr

Studenten im historischen Hörsaal am Institut für Anatomie der Universität Leipzig. Bild: dpa

Studenten im historischen Hörsaal am Institut für Anatomie der Universität Leipzig. Bild: dpa

Bund und Länder müssen nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts das Auswahlverfahren zum Medizinstudium, den sogenannten Numerus Clausus, gerechter und transparenter gestalten, um die Chancengleichheit der Bewerber zu wahren. Gewinner der Entscheidung sind damit 60 Prozent der Studienplatzbewerber. Aber auch die Gesellschaft könnte davon profitieren – weil sie einem Klagevertreter zufolge künftig bessere Ärzte bekomme.

Geklagt hatte der 26-Jährige Lukas Jäger. Vor sieben Jahren hatte er in Hamburg Abitur gemacht, Notenschnitt 2,6. Jahr für Jahr bewarb er sich erfolglos um einen Medizinstudienplatz. Um Zeit zu überbrücken, machte er eine Ausbildung als Notfallsanitäter und arbeitete auch in diesem Beruf. Das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen legte seinen Fall 2014 in Karlsruhe zur Prüfung vor. Zwar bekam Jäger in diesem Herbst nach 14 Semestern Wartezeit einen Studienplatz in Marburg. Das Bundesverfassungsgericht sprach dennoch ein Urteil – wegen des großen öffentlichen Interesses.

Grafik: SWP

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Die wichtigsten Punkte des Urteils:

Was bedeutet Numerus Clausus? Der Numerus Clausus ist eine Zulassungsbeschränkung für bestimmte Studienfächer, wenn die Bewerberzahl die Zahl der Studienplätze übersteigt. Ein bundesweiter Numerus Clausus gilt für die Fächer Medizin, Tiermedizin, Zahnmedizin und Pharmazie. Die Studienplätze werden zum Teil zentral von der Stiftung für Hochschulzulassung vergeben.

Wie werden die Plätze verteilt? Nach einem festen Schlüssel werden 20 Prozent der Studienplätze zentral über die Abiturnote vergeben, 20 Prozent über Wartezeiten und 60 Prozent über unterschiedliche Kriterien der jeweiligen Hochschulen.

Was sagt das Gericht zur Bestnoten-Quote? Sehr gute Abiturnoten sind laut Urteil ein „zuverlässiger Indikator“ für einen zügigen Studienabschluss. Die zentrale Vergabe nach Bestnoten ist aber nur zulässig, weil länderspezifische Unterschiede in der Benotung durch Landesquoten ausgeglichen werden: So kommen etwa 38,8 Prozent der Abiturienten im großzügigen Thüringen auf einen Notenschnitt von 1,0 bis 1,9; im strengeren Niedersachsen sind es dagegen nur 17,2 Prozent der Schüler.

Wird das Warten auf einen Studienplatz weiter belohnt? Ja und nein: Bei Noten jenseits eines Einser-Schnitts beträgt die Wartefrist bis zu acht Jahre. Das Gericht erklärte dies für unzulässig. Selbst eine Wartezeit von vier Jahren sei für den Studienerfolg eher abträglich. Der Gesetzgeber wurde deshalb ohne weitere Präzisierung aufgefordert, eine „angemessene Wartezeitgrenze“ zu bestimmen. Im Umkehrschluss bedeutet dies, dass bei kürzeren Wartezeitfristen Bewerber mit schlechteren Noten nicht berücksichtigt werden.

Welche Vorteile bringt das Urteil aus Karlsruhe für künftige Bewerber? Die Entscheidung ist vor allem für die 60 Prozent der Studienplätze von Bedeutung, die von den Universitäten direkt vergeben werden: Der Gesetzgeber muss den Hochschulen nun neben dem Kriterium der besten Abiturnote weitere Auswahlkriterien „mit erheblichem Gewicht“ für die Vergabe eines Teils der Studienplätze vorschreiben. In der mündlichen Verhandlung waren dazu besondere kommunikative Kompetenzen sowie ein besonderes Einfühlungsvermögen in Patienten oder eine medizinnahe berufliche Ausbildung genannt worden. Der Klägervertreter Michael Schacht geht deshalb davon aus, dass es künftig bessere Ärzte geben wird.

Wer sind die Verlierer der anstehenden Reform? Die Verfassungshüter haben mit dem Urteil die Freiheit der Hochschulen bei der Bewerberauswahl ebenso eingeschränkt wie die Auswahlmacht ihrer Professoren: Dass der Gesetzgeber den Hochschulen bislang „ein eigenes Kriterienerfindungsrecht“ für die Auswahl von Bewerbern eingeräumt habe, bezeichnete Karlsruhe als „verfassungswidrig“. Eignungsprüfungen an Hochschulen müssten vielmehr bundesweit standardisiert und strukturiert werden. Zudem müssen Eignungsgespräche nach „transparenten Regeln“ erfolgen, damit „klischeehafte“ und diskriminierende Bewertungen der Gutachter möglichst verhindert werden.

Gibt es einen Anspruch auf einen Studienplatz? Derzeit werden pro Jahr 10.800 Medizin-Studienplätze neu vergeben. Die Zahl der Bewerber liegt fünfmal so hoch. Wie die Richter festgestellt haben, gibt es keinen einklagbaren Rechtsanspruch auf einen Medizinstudienplatz.?afp/chr