Medikamente gegen Hörverlust

Studie Ein neuer Wirkstoff soll Zellen im Innenohr regenerieren. Die Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Uni Tübingen testet momentan, ob Schwerhörigkeit heilbar ist.

08.07.2019

Von Lisa Maria Sporrer

Medikamente gegen Hörverlust

Die Brille ist zu einem modischen Accessoire geworden. Mit Hörgeräten sieht das anders aus, obwohl sie immer besser, kleiner und schicker werden. Aber sie werden noch immer assoziiert mit dem Alter, ein Makel für viele. Lieber leugnen Hörschwache ihr Problem. Aber nicht nur das Alter ist verantwortlich für Schwerhörigkeit. Auch Lärm, Viren, Erbkrankheiten und verschleppte Mittelohrentzündungen können Auslöser sein.

Oft hat Hörverlust aber etwas mit dem Alter zu tun. Denn wie alle Zellen im Körper nutzen sich auch die Haarzellen im Innenohr ab. Ihre Aufgabe ist es, Schallwellen in elektrische Impulse umzuwandeln und zur Hörbahn ins zentrale Nervensystem zu senden. Rund 15 000 dieser kleinen Rezeptoren hat jeder Mensch im Ohr, im Alter werden es aber weniger und weniger.

„Natürlich gibt es verschiedene Formen des Hörverlusts“, sagt Stephan Wolpert, der sich bei der laufenden Studie aber genau mit dieser Form der Schwerhörigkeit, dem Innenohrhörverlust, beschäftigt. Der Oberarzt und Leiter des Studienzentrums an der Hals-Nasen-Ohren-Klinik der Uni Tübingen testet derzeit in einer klinischen Studie ein neues Medikament, das die Haarzellen regenerieren lassen könnte. „Das wäre schon etwas ganz besonderes, wenn das funktioniert“, sagt Wolpert. Bisher ist das nämlich beim Menschen noch nicht gelungen. Im Hörforschungszentrum in Tübingen beschäftigen sich Forscher schon seit Jahren mit der Regeneration des Innenohrs. „Für Sinnesorgane gibt es meistens Prothesen. Aber die Regeneration von Sinnesorganen wäre revolutionär.“

Bei amerikanischen Mäusen jedenfalls hat es schon funktioniert. Bereits 2013 schafften es Forscher von der Harvard Medical School in Boston, die Hörfähigkeit schwerhöriger Mäuse deutlich zu verbessern. Durch die Injektion eines sogenannten Gamma-sekretase Inhibitors gelang es ihnen, im Innenohr Haarsinneszellen zu reaktivieren und das Hören zu verbessern. In einem ersten Schritt wurde das Medikament im vergangenen Jahr in London an Menschen getestet. „Die Verträglichkeit war ausgezeichnet“, sagt Wolpert. So ausgezeichnet, dass Teil II der klinischen „REGAIN“-Studie nun mit der höchst getesteten Dosis durchgeführt werden kann. In drei Ländern wird die von der EU finanzierte Studie momentan durchgeführt: In England, Griechenland und in Deutschland an der Tübinger Uni. Drei Mal mit je einer Woche Abstand wird den Probanden das Medikament durch das Trommelfell injiziert. Danach folgen Termine zur Kontrolle bei den Patienten, die unter einer leichten bis mittelgradigen Schwerhörigkeit leiden und denen bereits ein Hörgerät empfohlen wurde.

Wolpert weiß, dass sich viele Menschen lieber mit einem schwindenden Gehör arrangieren, als sich eine Beeinträchtigung einzugestehen. „Wenn die Patienten dann kommen, haben viele den Anspruch, das natürliche Hören wiederherzustellen“, sagt er. Wenn das nun getestete Medikament wirken sollte, könnte nicht nur in einer dritten Phase die Indikation erhöht werden, es würde auch ein technisches Problem umgehen.

Bisher tun sich nämlich manche Hörgeräte schwer damit, bei der Schallempfindungsschwerhörigkeit Störgeräusche zu eleminieren. Denn genau genommen handelt es sich weniger um Schwerhörigkeit, als um eine „Fehlhörigkeit“. Die Schallsignale werden noch relativ gut empfangen. Aber sie werden verändert wahrgenommen.

„Versprechungen machen dürfen wir nicht“, sagt Wolpert. Sein Wunsch ist es, dass die Medikamente die Zellen soweit regenerieren, dass die Probanden möglicherweise nicht mehr auf Hörgeräte angewiesen sind.Bild: Lisa Sporrer

Es sind noch Probanden-Plätze frei

Bis Ende November läuft die Studie noch, der Therapiebeginn sollte aber bis Mitte Juli erfolgen. Vier Probanden wurden bereits behandelt, acht weitere Plätze gibt es noch. Die Kriterien, an der Studie teilzunehmen, sind aber recht streng. Es muss ein Hörtest eingeschickt werden, und außerdem muss das Gehör auf beiden Seiten relativ symmetrisch von Schwerhörigkeit betroffen sein. Interessenten erhalten Informationen über das Studientelefon (07 07 1/  29 88 155) sowie per Email: regain-studie@med.uni-tuebingen.de.

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Erstellt:
08.07.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 51sec
zuletzt aktualisiert: 08.07.2019, 01:00 Uhr

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