Mathilde

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Das Historienepos „Mathilde – Liebe ändert alles“ wärmt eine historisch belegte Zaren-Affäre wieder auf und schwelgt dabei in gehörigem Bombast.

02.11.2017

Von Dorothee Hermann

Mathilde
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Selten kam ein Film mit so viel Skandalgetöse in die Kinos. Mittlerweile scheinen sich selbst in Russland die Gemüter zu beruhigen, und so könnte man sich entspannt zurücklehnen, um den bekannten Berliner Schauspieler Lars Eidinger („Die Wolken von Sils Maria“) in der Rolle von Zar Nikolaus II. auf sich wirken zu lassen.

Dass der russische Regisseur Alexej Utschitel sich die historisch belegte Liebesgeschichte des Thronanwärters mit der Primaballerina Matilda Kschessinskaja (Michalina Olszanska) vorgenommen hat, werteten russisch-orthodoxe Kreise als Sakrileg. Schließlich war der 1918 von den Bolschewiki samt seiner Familie erschossene Zar unter Putin von ihrer Kirche heiliggesprochen worden.

Sie drohten Brandanschläge auf Kinos an und schickten dem Regisseur Drohbriefe. In dessen Studio flogen Molotow-Cocktails. Auch Zarendarsteller Eidinger geriet ins Visier, weshalb er sich entschloss, der Kinopremiere in Russland fernzubleiben.

Weit weniger dramatisch präsentiert sich das Geschehen auf der Leinwand: Die hochmögende Affäre aus dem ausgehenden 19. Jahrhundert entfaltet sich als opulentes Historiendrama. Herausgeputzte Originalschauplätze protzen mit derart überladenem Pomp, dass die Figuren davor wie Staffage wirken. Ein bisschen erinnern sie an Kostümdarsteller, die in bekannten Sehenswürdigkeiten die Besucher visuell in die alten Zeiten zurückgeleiten sollen.

Da gleitet der mit monarchischer Pracht ausgestattete Sonderzug der Zarenfamilie durch eine tief verschneite Landschaft und suggeriert ein Russland wie aus dem Bilderbuch. Als unvermittelt ein Pferdefuhrwerk die Weiterfahrt blockiert, hat die normale Bevölkerung ihren ersten Auftritt: als unbedeutende Statisten – und daran wird sich auch nichts ändern.

Neben Lars Eidinger hat der Regisseur weitere Darsteller aus Deutschland verpflichtet: Luise Wolfram (im Bremer „Tatort“ die BKA-Spezialistin Linda Selb) gibt Zarinnen-Anwärterin Alix von Darmstadt-Hessen. Schaubühnen-Chef Thomas Ostermeier stellt als Leibarzt für den russischen Thron seine medizinischen Kenntnisse ganz in den Dienst der Macht – geheimdienstliche Zwecke inbegriffen.

Bald entspinnt sich ein Intrigen-Netzwerk, in dem die Liebenden und ihre Gegenspieler sich bühnenreife Kurzauftritte liefern. Doch derart häppchenartig präsentiert, bleiben die Figuren ohne psychologische Tiefe. Als Matilda (für das hiesige Publikum eingedeutscht in „Mathilde“) in verzweifeltem Appell den Zaren-Kosenamen „Nicky!“ in die golddurchwirkte finale Krönungszeremonie ruft, wirkt das hilflos-naiv.

Mit der Zeit staunt man vielleicht am meisten darüber, wie viel Kitsch-Potenzial, dem Sissi-Österreich vergleichbar, das alte Russland in dieser Perspektive bietet. Auf jeden Fall signalisiert dieser Kostümfilm der Welt, dass man bei der Vorliebe für die Farbe Gold dem aktuellen Gegenspieler in Washington schon um Jahrhunderte voraus war. (Ab 12).

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Erstellt:
02.11.2017, 11:49 Uhr
Lesedauer: ca. 2min 15sec
zuletzt aktualisiert: 02.11.2017, 11:49 Uhr

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