Tübingen · Archäologie

Fundstück: Mann und Frau zugleich

Tübinger Forscher identifizierten Fundstück aus Waldstetten: 15.000 Jahre alter Frauenkörper mit Phallus.

24.10.2019

Von ST

Knapp sechs Zentimeter groß ist die aus Quarzitgeröll bestehende Eiszeitfigur.. Bild: Universität Tübingen

Knapp sechs Zentimeter groß ist die aus Quarzitgeröll bestehende Eiszeitfigur.. Bild: Universität Tübingen

Archäologen der Universität Tübingen haben ein Fundstück aus der Gemeinde Waldstetten als 15.000 Jahre altes Kunstwerk aus der Eiszeit identifiziert. Die Frauenfigur vom Typ Gönnersdorf zeigt gleichzeitig einen stark vereinfachten Frauenkörper und einen Phallus.

Figuren dieser Art sind bereits aus Fundstätten in Europa bekannt, erstmals wurde nun ein Exemplar im Ostalbkreis gefunden. In einer Pressekonferenz präsentierten am Mittwoch Prof. Harald Floss (Abteilung Ältere Urgeschichte und Quartärökologie der Universität Tübingen) und sein Team den Fund gemeinsam mit Vertretern der Gemeinde Waldstetten und des „Arbeitskreises Steinzeit Schwäbisch Gmünd“.

Gefunden hat die Figur ein Amateurarchäologe. Er übergab sie an die Tübinger Wissenschaftler. Der Form nach entspricht sie den so genannten Frauenfiguren vom Typ Gönnersdorf, die nach einer Fundstelle am Mittelrhein benannt wurden und stark stilisiert sind: Von der natürlichen Form des Gerölls inspiriert, machen hier nur wenige eingravierte Linien aus einem typisch geformten Stein ein Kunstwerk. Die Darstellung reicht von anatomisch annähernd vollständigen Darstellungen bis hin zu Figuren, die nur aus Rumpf und Gesäß bestehen.

Der Fund aus Waldstetten stellt einen Oberkörper ohne Kopf dar, mit einem dominanten Mittelteil mit Gesäß und einem verkürzten Unterkörper im Profil. Mit einer umlaufenden Gravierung im oberen Bereich folgt er zudem einer Tradition der zweigeschlechtlichen Darstellung, die aus der europäischen Eiszeitkunst bekannt ist. Die Figur kann gleichzeitig als männliches Geschlechtsteil interpretiert werden.

„Diese Art der Abstrahierung zeichnet die Kunst am Ende der Eiszeit aus. Unser Typ Frauenfigur hat wenig mit den üppigen so genannten Venusfiguren aus der früheren Epoche des Gravettien gemein“, sagte der Archäologe Harald Floss. Er und sein Team waren durch eine Kooperation mit dem „Arbeitskreis Eiszeit in Schwäbisch Gmünd“ auf die Fundstelle in Waldstetten aufmerksam geworden.