Interview

Katharina Schulze und Danyal Bayaz: „Manchmal quäkt es jetzt eben im Landtag“

Seit Juni sind die Grünen-Fraktionschefin im bayerischen Landtag und Baden-Württembergs Finanzminister Eltern eines kleinen Sohnes. Ein Gespräch über Kind und Karriere, Elternbashing und die Frage, wie familienfreundlich Politik ist.

26.11.2021

Von Dominique Leibbrand & Roland Muschel

Katharina Schulze und Danyal Bayaz träumen von einem Roadtrip durch die USA: „Das Modell 40 Jahre Politik ist nicht unseres.“ Fotos: Oliver Soulas/Instagram/privat

Katharina Schulze und Danyal Bayaz träumen von einem Roadtrip durch die USA: „Das Modell 40 Jahre Politik ist nicht unseres.“ Fotos: Oliver Soulas/Instagram/privat

Zwei grüne Spitzenpolitiker in zwei Bundesländern, die im Juni obendrein Eltern geworden sind: Beim Treffen mit Katharina Schulze und Danyal Bayaz in einem Münchner Café erlebt man ein eingespieltes Paar. Schulze beantwortet Fragen oft zuerst, wendet sich dann aber offensiv ihrem Partner zu: „Wie siehst du das?“. Er pickt ihr derweil einen Fussel vom Kleid. Auf das Baby passt während des Interviews die eigens aus Heidelberg angereiste Oma auf. Unser Reporterteam – ebenfalls ein Paar mit Kind – hat es da einfacher: Sein Sohn bleibt an diesem Tag ausnahmsweise länger in der Kita.

Frau Schulze, Herr Bayaz, im Juni ist Ihr Sohn zur Welt gekommen, was angesichts Ihrer Prominenz in den Medien ein großes Thema war. Wie haben Sie das erlebt?

Katharina Schulze: Mir war klar, dass es schon einige interessieren könnte, wenn die Fraktionschefin der Grünen im bayerischen Landtag ein Baby bekommt. Aber dass darüber so viel diskutiert wird, finde ich seltsam. Es gibt unzählige Menschen, die Kinder bekommen und beruflich erst kürzertreten, um dann aber auch wieder voll zu arbeiten.

Das war für Sie immer klar?

Schulze: Ich habe keine Sekunde daran gedacht, weniger zu arbeiten, weil ich Mutter werde. Nach der Geburt habe ich mich die fünf Wochen bis zur Sommerpause ausgeklinkt und bin zum Bundestagswahlkampf wieder eingestiegen. Jetzt arbeite ich voll, und da ich noch stille, habe ich den Kleinen meistens dabei. Meine Fraktionskollegen unterstützen mich sehr lieb, jeder will ihn mal tragen, die Resonanz im Landtag ist toll. Manchmal quäkt es nun eben im Innenausschuss, und das bin dann nicht ich, sondern mein Baby. Bis der Kleine in die Kita kommt, gibt’s mich nun im Doppelpack. Mir ist natürlich bewusst, dass das nicht jeder so machen kann. Da haben wir Glück, auch weil die Großeltern helfen.

Herr Bayaz, hat bei der Annahme des Ministeramts im Mai die Aussicht, in Kürze Vater zu werden, eine Rolle gespielt?

Danyal Bayaz: Selbstverständlich. Wir haben uns das sehr genau überlegt. Ministerpräsident Winfried Kretschmann hat mich bestärkt und gesagt: Gut, dass du deine Vaterrolle ernst nimmst. Aber klar war, es muss auch mit der Aufgabe des Finanzministers vereinbar sein. Unmittelbar nach der Geburt war ich zu Hause; durch Homeoffice und digitale Formate hat es gut geklappt, der Verantwortung als Vater wie als Minister gerecht zu werden. Jetzt bin ich unter der Woche meist in Stuttgart, da vermisse ich den Kleinen natürlich. Dass sich nun auch Männer wie ich von der Öffentlichkeit kritische Fragen gefallen lassen müssen, wie das funktionieren soll mit Kind und Karriere, finde ich erstmal ein gutes Zeichen von Fortschritt.

Weil die Frage sonst Frauen gestellt wird…

Bayaz: Genau. Als ich neulich Katharina bei einem Termin begleitet habe und meinen Sohn in der Trage hatte, kam jemand auf mich zu und meinte: „Ah, gut, dass du heute das Babysitting machst.“ Ich bin aber Papa, nicht Babysitter. Da gibt es schon noch doppelte Standards nach dem Motto: Wow, es ist Sonntag, Papa kümmert sich auch mal!

Als Eltern kann man es heute gefühlt keinem Recht machen: Man arbeitet zu viel oder zu wenig, gibt das Kind zu früh oder zu spät ab.

Seinen kleinen Sohn zeigt das Paar auf Social-Media-Kanälen nur verdeckt. Fotos: Oliver Soulas/Instagram/privat

Seinen kleinen Sohn zeigt das Paar auf Social-Media-Kanälen nur verdeckt. Fotos: Oliver Soulas/Instagram/privat

Schulze: In der Tat. Die einen schreiben mir: „Hey, super, wie du das machst! Leider erlaubt das mein Arbeitgeber nicht.“ Da gibt es einen positiven Resonanzboden, Leute, die sich motiviert fühlen. Es gibt aber auch negative Kommentare, dass das schlecht fürs Kind sei und es zu Hause sein müsse. Da denke ich mir: Das Kind will bei seinen Eltern sein, darum geht es doch, egal ob im Landtag oder im Wohnzimmer. Jedes Kind ist anders, jedes Elternteil ist anders, das muss jeweils für die Familie passen. Diese Bewertungen von außen sind teilweise schon krass. Man kann Eltern doch erstmal zugestehen, dass sie das Wohl ihres Kindes im Blick haben und dass es da unterschiedliche Modelle geben kann.

Es gab nach der Geburt auch rassistische Angriffe. Wie sind Sie damit umgegangen?

Bayaz: Wir sind erprobt, was Shitstorms angeht, man muss als Politiker ein dickes Fell haben. Aber es ist etwas anderes, ob die Einrichtung eines Steuerportals in der Kritik steht oder ob sich ein Mob im Netz an meinem Baby austobt und meine Partnerin beleidigt. Da wird eine Grenze überschritten, deshalb haben wir auch Dinge zur Anzeige gebracht.

Schulze: Es ist für mich Zeichen einer absoluten Verrohung von Teilen unserer Gesellschaft, dass ein nur wenige Tage altes, wehrloses Kind rassistisch beleidigt wird. Hallo, geht’s noch? Dieser Hass trifft nicht nur uns, sondern auch viele Kommunalpolitiker oder den Handballtrainer, der ein Turnier gegen Rechtsextremismus organisiert und dann im Shitstorm seines Lebens steht. Da haben wir ein gesellschaftliches Problem, wo wir klare Regeln gegen Hass und Hetze im Netz brauchen, aber auch eine Stärkung der Demokratiebildung.

Bayaz: Damit kein falscher Eindruck entsteht: Wir haben unheimlich viele Glückwunschschreiben bekommen, viele Leute haben sich mit uns gefreut. Und als die Anfeindungen öffentlich wurden, haben wir viel Solidarität erfahren, über politische Lager hinweg. Das war ein starkes Zeichen und hat uns gutgetan.

Fragt man sich in so einer Situation nicht mal: Ist das öffentliche Amt das wert?

Bayaz: Diese Gedankenblitze gibt es, aber die lege ich dann schnell beiseite. Wenn wir uns wegen dieser Hetze aus der Politik verabschieden würden, hätten diese Leute ihr Ziel erreicht. Ich will es aber auch nicht hinnehmen nach dem Motto: Das gehört halt zum Geschäft dazu. Tut es nicht!

Wie können Sie Ihr Kind darauf vorbereiten, mit in der Öffentlichkeit zu stehen?

Schulze: Wir haben natürlich ein Spannungsverhältnis, weil wir Personen des öffentlichen Lebens sind und den Kleinen zu Veranstaltungen auch mitnehmen. Klar ist: Das Kind selbst ist keine Person des öffentlichen Lebens. Es wird deshalb keine öffentlichen Fotos mit dem Gesicht unseres Sohnes geben. Wenn ihn jemand heimlich fotografieren würde, würden wir dagegen vorgehen. Wir würden auch nie ein Bild mit seinem Gesicht in sozialen Medien posten, das soll er später selbst entscheiden, ob er das möchte.

Die Redakteure Dominique Leibbrand und Roland Muschel mit Katharina Schulze und Danyal Bayaz. Fotos: Oliver Soulas/Instagram/privat

Die Redakteure Dominique Leibbrand und Roland Muschel mit Katharina Schulze und Danyal Bayaz. Fotos: Oliver Soulas/Instagram/privat

Ist das die Gratwanderung: Die Familie nicht verstecken und sie trotzdem schützen?

Schulze: Ich nutze die sozialen Medien schon immer, um nahbar über meine politische Arbeit zu berichten. Und wenn mein Sohn jetzt bei der Arbeit dabei ist, wäre es doch gekünstelt, ihn bewusst zu verstecken. Bei der Frage Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist das Private eben doch politisch.

Wie familienfreundlich ist Deutschland im Jahr 2021?

Schulze: Da gibt es viel Luft nach oben. Wir brauchen einen massiven, hochwertigen Ausbau der Kinderbetreuung – auch jenseits der Hauptzeiten. Ein einklagbares Recht auf Homeoffice und ein Rückkehrrecht auf Vollzeit für Eltern, die für ihre Kinder die Arbeitszeit reduziert haben. Mittelfristig muss die Gesamtarbeitszeit sinken, auch mit Blick aufs Ehrenamt oder die Pflege der Eltern. Und wir brauchen ein Umdenken: Solange Arbeitgeber denken, für eine Stelle ziehe ich den 29-jährigen Bewerber der gleichaltrigen Bewerberin vor, weil die ja ein Kind bekommen könnte, läuft etwas schief. Der Mann kann ja genauso ein Kind bekommen und einige Zeit ausfallen.

Haben sich mit der Geburt des Kindes Prioritäten verschoben?

Bayaz: Es klingt paradox: Der Nachwuchs hat mir eine größere Unabhängigkeit und innere Ruhe verschafft. Mir war schon davor bewusst, dass meine Arbeit wichtig, aber nicht alles ist. Das hat sich nochmal verstärkt. Und man muss sich stärker disziplinieren. In meinem Kalender steht jetzt auch mal: Minister beim Kinderarzt. Hinzu kommt, dass die Flexibilität natürlich weg ist. Neulich waren wir in der 16-Uhr-Vorstellung des neuen James-Bond-Films, weil die Oma in der Zeit einspringen konnte. Zu dieser Zeit treffen Sie sonst nur Kinder (lacht).

Wie viel Freiheit lässt Politik für Familie?

Schulze: Politik und Familie lassen sich nicht so gut vereinbaren. Wir sind in einer privilegierten Position, für uns ist die Politik der Beruf. Aber es gibt ganz viele Leute, die machen dankenswerterweise Politik im Ehrenamt – neben einem Beruf. Wenn die Gemeinderatssitzung bis 22 Uhr geht und die eigentlichen Entscheidungen danach beim Bier fallen, sind Eltern schon mal raus. Das betrifft vor allem Frauen; die Frauenquote in den Gemeinderäten ist noch schlechter als in den Parlamenten. Das heißt, wir brauchen Kinderbetreuung bei Parteiveranstaltungen, stringentere und mehr digitale Sitzungen. Dann kann auch die Alleinerziehende mitdiskutieren, was in ihrem Stadtviertel passieren soll. Die jetzigen, familienfeindlichen Strukturen der Politik haben auch zur Folge, dass keine besonders familienfreundliche Politik gemacht wird. Erst wenn die Hälfte der Macht den Frauen gehört, wird sich gesellschaftspolitisch etwas ändern. Dafür brauchen wir ein Parité-Gesetz.

Welche Rolle hat Politik in Ihrem Elternhaus gespielt?

Schulze: Meine Eltern haben meinem Bruder und mir immer gesagt: „Du bekommst die Welt nicht besser gemeckert, du musst sie besser machen!“ In der Rückschau ist das einer der Treiber, warum ich in die Politik gegangen bin. In einer Partei war bei mir in der Familie niemand. Mein Mama ist aber im Landtagswahlkampf 2018 bei den Grünen eingetreten, weil sie das bayerische Polizeiaufgabengesetz so schrecklich fand. Sie ist mit mir deswegen sogar auf Demos.

Bayaz: Mein Opa war türkischer Botschafter, meine Mutter kommt aus einer hessischen CDU-Familie. Das heißt, Politik war bei uns immer Thema, das hat mich schon geprägt. Bei der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ist meine Mutter für mich auch ein Vorbild: Sie hat nach meiner Geburt und später nach der meiner Schwester relativ rasch wieder als Dolmetscherin gearbeitet – in den 80er-Jahren keine Selbstverständlichkeit.

Als Oppositionsführerin in Bayern könnten Sie, Frau Schulze, 2023 für das Amt der Ministerpräsidentin kandidieren. Ihr Name, Herr Bayaz, wird genannt, wenn es in Baden-Württemberg um die Nachfolge von Winfried Kretschmann geht. Haben Sie eine Absprache, wer bei einer Kandidatur den Vortritt hätte?

Schulze: Ich habe keinen Masterplan für die nächsten 20 Jahre, dafür ist die Politik viel zu schnelllebig. Wir sind der Meinung, Bayern gehört von den Grünen regiert. Jetzt müssen wir sehen, ob die Bürgerinnen und Bürger das genauso sehen und dann: Schaun mer mal.

Bayaz: Für mich gibt es auch ein Leben jenseits der Politik, auch weil Demokratie von Wechsel und neuen Köpfen und Ideen lebt. Das Modell 40 Jahre Politik ist nicht unseres. Wir träumen zum Beispiel auch davon, irgendwann einen langen Roadtrip durch alle Bundesstaaten der USA zu machen.

Erfolgreiches grünes Politiker-Paar

Katharina Schulze, 36, machte sich früh mit ihrem Engagement gegen den Ausbau des Münchner Flughafens einen Namen. Im bayerischen Landtag ist die Innenexpertin seit 2017 Co-Fraktionschefin der Grünen. Schulze ist in Freiburg im Breisgau geboren und in Herrsching am Ammersee aufgewachsen.

Danyal Bayaz, 38, gelang 2017 der Einzug in den Bundestag, wo er sich im Wirecard-Untersuchungsausschuss einen guten Ruf erwarb. Seit Mai 2021 ist der frühere Unternehmensberater Finanzminister in Baden-Württemberg. Bayaz, der die deutsche und türkische Staatsbürgerschaft hat, stammt aus Heidelberg.

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Erstellt:
26.11.2021, 06:00 Uhr
Lesedauer: ca. 6min 40sec
zuletzt aktualisiert: 26.11.2021, 06:00 Uhr

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