Tübingen · Buchvorstellung

Johannes Schweikle: Magische Momente und Milieugrenzen

Seinen Roman „Grobe Nähte“ hat der Autor Johannes Schweikle in der bayerischen Landeshauptstadt im Spätsommer 2015 angesiedelt. Im Mittelpunkt stehen ein Musiker, ein Zeitungsmann und ein Fußballstar.

05.08.2021

Von Dorothee Hermann

Johannes Schweikle am Donnerstag im Presseclub im Tübinger SWR-Studio. Am 26. September liest er beim Bücherfest aus seinem Roman.  Bild: Ulrich Metz

Johannes Schweikle am Donnerstag im Presseclub im Tübinger SWR-Studio. Am 26. September liest er beim Bücherfest aus seinem Roman. Bild: Ulrich Metz

Ein Tübinger Autor schreibt einen Großstadtroman, der in München spielt. Wie es dazu kam? Johannes Schweikle war „tief bewegt“ von Bildern der Flüchtlinge, die im September 2015 im Münchener Hauptbahnhof eintrafen und von den Münchnern mit großer Hilfsbereitschaft unterstützt wurden, noch bevor „Bürokratie und Verwaltung“ sich kümmern konnten. Das sagte der studierte Theologe am Donnerstag im Tübinger Presseclub im SWR-Studio auf dem Österberg.

Der 61-Jährige kennt München bereits aus Studienzeiten und ist der Stadt seither verbunden geblieben. Die „Vielgestaltigkeit der Milieus“ schien ihm als Schauplatz passender als kleinere Städte wie Freiburg oder Tübingen. Die „Willkommenseuphorie“ sei ziemlich schnell abgeebbt, so Schweikle. Stattdessen habe eine gesellschaftliche Polarisierung eingesetzt. Gespräche entwickelten sich in eine seltsame Richtung oder brachen ganz ab, auch unter Verwandten oder Freunden. Man sei rasch in die linke oder in die rechte Ecke gedrängt worden. Auch unter Journalisten-Kollegen sei es kontrovers zugegangen.

Er spielt die Gemengelage an drei Protagonisten durch: Der Musiker Benedikt Scholl lebt in einer Wohngemeinschaft und muss sehen, wie er sich halbwegs über Wasser hält. Dr. Korbinian Moser ist stellvertretender Chefredakteur der „bedeutendsten bayrischen Zeitung“ und schreibt mit der Überzeugung: „Diese Flüchtlinge sind ein Geschenk für unser Land“, so Schweikle. Dann ersticht ein asylsuchender Syrer eine Frau, und der Zeitungsmann macht sich Gedanken, wie er mit dem Fall umgehen soll, den „Krawallmedien“ bereits ausschlachten. Für seinen Autor steckt Moser im Dilemma zwischen „Haltung zeigen“ und „sagen, was ist“.

Der dritte Protagonist ist Victor Akbunike, „ein Fußballspieler, der aus Afrika stammt“, so Schweikle. Akbunike ist bei einem großen Münchner Verein unter Vertrag. „Er ist Publikumsliebling, weil er Tore schießt in der Champions League.“ Doch außerhalb des Stadions hat er einen heftigen Crash-Kurs in Integration vor sich. „Diese Figur speist sich aus meiner journalistischen Arbeit“, sagte der Autor, der Fußballer wie Joshua Kimmich oder Thilo Kehrer porträtiert hat. „Es war sehr spannend, diese Fernseh-Helden real zu treffen.“

„Sport überfrachtet mit gesellschaftspolitischen Problemen“

Zu jeder Figur gebe es real-existierende Menschen, die als Kristallisationsfigur dienten, sagte Schweikle. Er hält eigentlich nichts davon, „wie Sport überfrachtet wird mit gesellschaftspolitischen Problemen“: Als Beispiel nannte er die „Regenbogen-Diskussion“ bei der Fußball-Europameisterschaft. Das Münchner Stadion durfte beim EM-Spiel Deutschland gegen Ungarn im Juni nicht in Regenbogenfarben als Symbol für Diversität erstrahlen.

Im Roman lebt der Fußballspieler Akbunike recht abgeschottet von der deutschen Gesellschaft: „Sein Manager hat ihm eine Villa am Starnberger See besorgt und die passenden Fahrzeuge dazu.“

Ist das Buch ein Männer-Roman? Der Musiker, der Platzhirsch-Journalist, der hoch gehandelte Fußballer? „Es kommen auch Frauen vor“, sagte Schweikle: In der Wohngemeinschaft des Tubaspielers Benedikt leben welche. Der Zeitungsmann ist mit der Fotografin Eva verheiratet, die die Ankunft der Flüchtlinge mit der Kamera begleitet hatte, sagte Schweikle. „Sie zieht los, um diese ,magischen Momente’ einzufangen. Sie ist mit ihrer Familie und den beiden Kindern auch Teil des gesellschaftlichen Prozesses.“ Die Corona-Pandemie habe neuerliche Polarisierungen erzeugt, so der Autor. Er hat den Eindruck, „dass wir uns einfach schwertun, uns als Gesellschaft zu verständigen, über Milieugrenzen hinweg.“ Er sieht es nicht als Aufgabe eines Romanciers, politisch Position zu beziehen. Doch mit diesem Roman habe er sich in eine aktuelle gesellschaftspolitische Auseinandersetzung gewagt. Der Verleger Hubert Klöpfer sagte dazu: „Es ist kein Buch, das zu einem richtig schönen Ende führen kann.“