Bitte um Gnade

Macht Schluss mit den Begrüßungsprozeduren!

Sehr verehrte Damen und Herren, lassen sie mich zuerst meine Verleger grüßen, den Chefredakteur sowie den Chef vom Dienst.

05.02.2018

Von Thomas de Marco

Auch meine Kolleginnen und Kollegen möchte ich erwähnen, den Anzeigenleiter, den Chef des Vertriebs und … Halt! Bevor Sie die Lektüre mit einem Kopfschütteln einstellen, lassen Sie mich Folgendes erklären: Seit dem 6. Januar jagt ein Neujahrsempfang den anderen – und so unterschiedlich die Einladenden auch sind, eines haben sie alle gemeinsam: den Hang zur ausgedehnten Begrüßung geladener Prominenz.

Nehmen wir nur mal den gestrigen Empfang der CDU in Reutlingen: Die Stadtverbandsvorsitzende Gabriele Gaiser durfte, wollte oder musste geschlagene zehn Minuten lang die Parade der besonderen Gäste vortragen. Vom Vizepräsidenten des Bundesverfassungsgerichts Prof. Ferdinand Kirchhof bis zur Bezirksvorsitzenden der Frauenunion Silke Kurz, von aktiven und ehemaligen Abgeordneten bis zu CDU-Ortsvorsitzenden, von Astronaut Prof. Ernst Messerschmidt bis Bäcker Hugo Berger, von Reutlinger Vereinen bis zur Feuerwehr.

Ich hoffe, dass ich nicht der einzige bin, der sich fragt, ob das alles sein muss und ob die Begrüßten und Genannten auch wirklich verstärkten Wert auf diese Prozedur legen. Da wäre eine Umfrage mal dringend notwendig – und zwar sollte die Erhebung getrennt gemacht werden bei Prominenten und normalen Gästen. Wenn sich aber nichts ändert, dann bin ich irgendwann im nächsten Jahr bei den Neujahrsempfängen so weit, dass ich mich lieber dem Autobauer VW für Abgastests zur Verfügungen stelle (Verstickoxide!), als wieder Lebenszeit für die Aufzählung von Gästen herzugeben.

Hauptredner Wolfgang Bosbach hat die Prominenten-Parade am Sonntag jedenfalls mit Humor genommen, als er dann endlich dran war. Auch er müsse jetzt noch einige Personen nennen, obwohl nicht mehr viele übrig seien, die noch nicht namentlich begrüßt worden seien. Er dankte Gastgeber Carl-Heiner Schmid, dass der sein „Weißes Haus“ für den Empfang zur Verfügung gestellt hatte. „Es gibt ein Weißes Haus, in dem getwittert wird – und ein Weißes Haus, in dem gearbeitet wird!“, sagte Bosbach zum Leiter der Unternehmensgruppe Heinrich Schmid.

Und dann wollte der frühere Bundestagsabgeordnete und stellvertretende Fraktionsvorsitzende die politische Konkurrenz bei der Union Willkommen heißen: „Zwei Stunden bei der CDU tun immer gut!“ Wesentlich länger dauert es da schon bei den Koalitionsverhandlungen zwischen CDU/CSU und SPD. „Aber ich bin zuversichtlich, dass die Große Koalition bald kommt. Auf mich können Sie sich da verlassen“, betonte Bosbach. Schließlich habe er auch vorhergesagt, dass der Brexit nicht komme und Donald Trump in den USA nicht Präsident werde.

Ich möchte mich nun hier am Ende dieser Engelszungen noch kurz bedanken bei den Papierherstellern, bei den Druckern, den Stadtwerken für die Elektrizität, …