Salzburger Festsspiele

Luxus, dass es kracht

Das Festival beginnt mit „Richard the Kid & the King“ frei nach Shakespeare und Mozarts „Don Giovanni“. Ein umjubelter Start.

28.07.2021

Von OTTO PAUL BURKHARDT

Selbstverliebt und ziemlich ähnlich sehen die drei Akteure in ihren weißen Charmeur-Anzügen aus: Vito Priante (Leporello), Mika Kares (Il Commendatore), Davide Luciano (Don Giovanni) in der Salzburger „Don Giovanni“-Aufführung vor der Nobelkarosse im Hintergrund. Foto: Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Selbstverliebt und ziemlich ähnlich sehen die drei Akteure in ihren weißen Charmeur-Anzügen aus: Vito Priante (Leporello), Mika Kares (Il Commendatore), Davide Luciano (Don Giovanni) in der Salzburger „Don Giovanni“-Aufführung vor der Nobelkarosse im Hintergrund. Foto: Salzburger Festspiele/Ruth Walz

Salzburg. Provokation? Ach was. Kaum noch jemand regt sich auf, wenn von Don Giovannis Lebensart die Rede ist und dabei eine echte, reale Nobelkarosse vom Schnürboden-Himmel mit großem Plumps auf die Bühne runterkracht. Überhaupt, Regisseur Romeo Castellucci lässt am Montag zur Eröffnung der Salzburger Festspiele mit Mozarts Oper so einiges vom Bühnenhimmel regnen, pardon, plotzen – einen Rollstuhl, später Basketbälle und mehr.

Mit viel Ironie senkt sich bei den Süßholzraspeleien des Titel-„Helden“ auch mal eine riesige Hochzeitskutsche herab, der dann prompt, wenn das Date misslingt, ein Rad abbricht. Und das alles bei „Don Giovanni“, einem Werk, das gerade jetzt, zum pandemiebedingt verlängerten 100-Jahre-Jubiläum als Festspiel-Heiligtum gilt: Laut Annalen ist es nach der Gründung die erste Oper, die dort 1922 aufgeführt wurde.

Und klar, der Regisseur zielt mit seinem Edelauto, das da im freien Fall dem Publikum hingeknallt wird, auch auf den jährlichen Eröffnungszirkus mit noch immer gefühlten 100 Upper-Class-Schlitten, die – samt Prominenten und Adabeis – vorm Festspielhaus viel Aufhebens von sich machen lassen. Natürlich macht der Absturz des Blech-Statussymbols, selbst wenn's ein raffinierter Fake wäre, gewaltig Effekt. Doch der Regisseur öffnet mit solch knalligen, zuweilen funkelnden, verrätselten Ideen eben auch Räume zum Neu-Nachdenken über das alles. Wenn er später auch noch ein Klavier vom Schnürboden auf die Bühne poltern lässt, auf dessen Tastentrümmern Don Giovanni zu klimpern beginnt, spielt er auch mit unserer Täuschbarkeit: Denn die Töne kommen real natürlich aus dem Orchestergraben.

Den Gag mit dem zerdepperten Piano und der trügerischen Optik gab es übrigens vor Jahren schon mal in Donaueschingen. Zurück zur Oper: Das oft zitierte Eroberungs-„Register“ Don Giovannis (allein in Spanien zählt Leporello „mille e tre“) wird bei Castellucci sichtbar gemacht – in Gestalt von 150 Salzburger Frauen, die mit ihrer physischen Präsenz, Vielfalt und Individualität Widerspruch dagegen einlegen, dass sie hier nur als zynische Statistik auftauchen.

Während Don Giovanni (elegant: Davide Luciano) und Leporello (robust: Vito Priante) in ihren weißen Charmeur-Outfits verdammt selbstverliebt und ähnlich aussehen, erobern drumherum die erwähnten Frauen in wechselnden Formationen die Bühne, die gleichsam das Innenleben des Titelhelden darstellt – mahnend, verführend, klagend, tanzend, rächend, je nachdem.

Self-Empowerment oder Bürger(innen)bühne? Beides – und noch mehr. Glänzend die Solisten, vor allem Elvira (schwerelose Höhen: Federica Lombardi), Zerlina (Anna Lucia Richter) und Anna (Nadezhda Pavlova), ebenso Ottavio (zarte Kantilenen: Michael Spyres).

Grandios die Musik, gespielt wird die Prager Fassung: Teodor Currentzis entdeckt mit seinem Ensemble musicAeterna die Oper gleichsam neu und zaubert ein Klangwunder nach dem andern – wuchtig, aufgewühlt bis betörend. Extrem leise Zaubermomente am Rand der Stille.

Angenehm klischeefern

Apropos Regie: Dass die Hauptfigur ein Mörder und Vergewaltiger ist, wird eher weggeblendet. Und im zweiten Akt mutiert die Frauenaktion dann doch zuweilen zu dekorativem Beiwerk. Doch allen Einwänden zum Trotz: Regie und Musik wirken angenehm klischeefern, öffnen ungewohnte Echoräume. Viel Jubel. Ein erster Glanzpunkt.

Krasser Gegensatz: die erste Theaterpremiere der Festspiele am Sonntag. In der früheren Salinenhalle auf der Pernerinsel in Hallein geht es bei „Richard the Kid & the King“ hart zur Sache. Obendrein kalkuliert vulgär, mit extrem hohem F-Wort-Anteil, der sich als hilflose Sprachverrohung und Verblödung zu erkennen gibt.

Zu lachen gibt's wenig, allenfalls bei Deutsch-Englisch-Gags wie „Du meine Güte, I break together!“ Spartenchefin Bettina Hering und Regisseurin Karin Henkel knüpfen mit ihrem Vier-Stunden-Trip zum Thema Gewalt auch an den legendären Zwölf-Stunden-Marathon „Schlachten!“ (1999) von Tom Lanoye und Luk Perceval an, aus dem ein Teil recycelt wird. Erzählt wird der grausige Werdegang Richards III., eines der größten Fieslinge der Theaterliteratur – gespielt von einer Frau. Lina Beckmann legt die Titelfigur, die sich selbst als „Kröte“ bezeichnet, als genderneutrales „Wesen“ an, das schon als ungeliebter, buckliger Knirps auf dem Schaukelpferd oder Dreirad alles terrorisiert.

Später demütigt, foltert und mordet dieses „Es“ alles, was sich ihm in den Weg stellt, und verbrüdert sich dabei mit dem Publikum. Beckmanns Richard liefert seiner schlaffen Umgebung genau die Bestie, die diese marode Society eben auch ohne nennenswerte Gegenwehr ermöglicht oder womöglich gar herbeigesehnt hat. Ein grausames Lehrstück auch mit Blick auf heute. Großer Beifall.