Film · Rottenburg

Lust und Sex als Dienstleistung

Das Rottenburger Kino Waldhorn zeigte als erstes Kino die Fernsehproduktion „Bordell Deutschland“. Im Gespräch berichtete die frühere Prostituierte Sandra Norak von ihren Erfahrungen.

22.02.2019

Von Dunja Bernhard

„Happy Hour, all you can fuck“ mit diesem Angebot locken Billig-Bordelle ihre Kundschaft. Bei so genannten Gangbangs trifft sich eine Prostituierte mit mehreren Freiern gleichzeitig. Bei der 29-jährigen Cleo sind es zehn. Sie habe Spaß dabei, erzählt sie im Film „Bordell Deutschland“. Den Job mache sie freiwillig – und wegen des Geldes.

Neun von zehn Prostituierten werden dazu gezwungen, werden Polizeibeamten im Film zitiert. Jede fünfte Prostituierte ist unter 18 Jahre alt. Über die Anzahl der Sexarbeiterinnen in Deutschland gibt es keine verlässlichen Angaben. Es sollen zwischen 400 000 und einer Million sein.

Deutschland hat europaweit die liberalste Prostitution-Gesetzgebung. Das lockt Sextouristen aus aller Welt und macht Deutschland zur Drehscheibe für Menschenhandel. Zuhälter kaufen Frauen von der Familie oder anderen Zuhältern und markieren sie mit einem Tattoo. Die Frauen müssen den Kaufpreis dann abarbeiten.

Sandra Norak, eine der Prostituierten in dem Film, war zusammen mit der ebenfalls im Film auftretenden Psychologin Ingeborg Kraus am Mittwochabend Gesprächspartnerin von Petra Preunkert im Kino Waldhorn. Norak kam über die Loverboy-Methode zur Prostitution. Ein älterer Mann gaukelte ihr Liebe vor. Er drängte sie in die Prostitution. Sechs Jahre arbeitete die heute 29-Jährige als Prostituierte. Als sie davon krank wurde und kein Geld mehr anschaffen konnte, wurde sie für ihren Loverboy wertlos. „Da hat er von mir abgelassen“, sagte sie. „Ich kann glücklich sein, dass ich psychisch so kaputt war.“ Das ist fünf Jahre her. Heute studiert Norak Jura. Sie möchte Opferanwältin werden und sich für Abschaffung der Prostitution einsetzen.

Denisa, eine junge Rumänin im Film, konnte zu ihrer Familie zurückkehren, als ihr Zuhälter ins Gefängnis kam. „Wenn er raus kommt, holt er mich wieder“, sagt sie. „Ich gehöre ihm.“

Die meisten Prostituierten seien Menschen, die keine Perspektive haben und aus armen Familien kommen, berichtete Norak. „Ich habe in den sechs Jahren nicht eine Frau getroffen, die nicht gesagt hat: ‚Wenn du mir eine Möglichkeit gibst rauszukommen, nehme ich sie.‘“ Selbst ergriffen die Frauen kaum die Initiative, weil sie sich als wertlos empfinden. Ihr, Norak, hätten viele empfohlen, nicht an die Öffentlichkeit zu gehen, um sich nicht „die Zukunft zu versauen“.

Die meisten Sexarbeiterinnen erlebten als Kinder Gewalt. 70 Prozent der Prostituierten leiden laut Kraus unter einer posttraumatischen Belastungsstörung. Dieser Anteil ist höher als bei Kriegsrückkehrern.

Ein häufig angeführtes Argument für Bordelle sei, dass „Männer mal Dampf ablassen müssten“, sagte Preunkert. Kraus erwiderte darauf: „Das ist eines der ältesten Vorurteile.“ Es gebe kein Recht auf Sex. Die Aussage, dass Männer auch ohne Sex überleben, sei für manche revolutionär. „Spazieren gehen oder joggen hilft auch.“ Die meisten Männer, die in Bordelle gehen, seien verheiratet. „Wir müssen über männliche Sexualität nachdenken.“ Sie sei noch sehr tabuisiert.

Durch die Liberalisierung werde an Männer die Botschaft gesendet: „Ihr könnt machen, was ihr wollt.“ Bei Männern werde das Bedürfnis künstlich erzeugt, sagte Kraus. „In Deutschland ist die Sexualität ausgeartet.“ Das mache Männer gewalttätig.

So lang Prostitution legal sei, gebe es keine Gleichstellung zwischen Mann und Frau. Kraus geht noch weiter: „Vertreter des Landes machen ihren Job nicht richtig“, wenn sie für ein solches Gesetz stimmen. Sie sieht darin eine „Krise der Demokratie“. Ein Abgeordneter habe gesagt: „Deutschland ist noch nicht so weit.“

Die Legalisierung der Prostitution habe die Nachfrage noch erhöht, berichtete Norak. Das Gesetz vermittle, es sei eine normale Dienstleistung. Von den Gefahren werde nicht gesprochen. „Der Akt, der die Frauen kaputt macht, findet weiterhin statt.“ Eine Zuschauerin sagte, das sei nicht nur ein juristisches Problem, sondern auch ein menschliches. Es gebe eine Trennung in eine gewalttätige und eine erduldende Welt. „Es muss etwas geschehen, dass Machtverhältnisse sich verändern.“ Sie wollte von Norak wissen, was ihre Vision dafür sei. Nur juristisch komme man da nicht weiter, sagte die angehende Juristin. Auch ihre Kommiliton(inn)en hätten die Freiwilligkeit von Sexarbeiterinnen im Kopf. Aber jeder könne aufklären. „Damit die Menschen beginnen nachzudenken.“ Zusätzlich zur Aufklärung brauche es die Gesetze.

Die Filmvorführung war eine Kooperation der Katholischen Erwachsenenbildung mit dem Kino. Der Eintritt zu dem Film war frei. Es kamen rund 60 Zuschauer. Weit weniger als bei Dokumentarfilmen über Flüchtlingsschicksale, Umweltverschmutzung oder Naturschutz. Etliche Zuschauerinnen wussten nicht, dass es auch in Rottenburg ein Bordell gibt.

In Schweden ist Prostitution seit 1999 verboten

2002 trat in Deutschland das Prostitutionsgesetz in Kraft, das Prostitution zur Dienstleistung machte. Sexarbeiterinnen können sich seitdem kranken-, arbeitslosen- und rentenversichern. Das Gesetz zur Zuhälterei wurde dahingehend geändert, dass das Schaffen eines angemessenen Arbeitsumfelds nicht strafbar ist, wenn keine Ausbeutung stattfindet. Seit dem Inkrafttreten des Prostituiertenschutzgesetzes 2017 müssen Prostituierte ihre Tätigkeit anmelden und erhalten eine Anmeldebescheinigung, die umgangssprachlich „Hurenpass“ genannt wird. Bordellbetreiber benötigen eine Erlaubnis.

In Schweden ist Prostitution seit 1999 verboten. Die Justiz bestraft nicht Sexanbieterinnen sondern ihre Kunden. Die Fahnder machen sie über das Internet ausfindig. Denn seit dem Verbot von Bordellen, verabreden sich Prostituierte und Freier online. Die Ermittler folgen den Männern bis zu den Wohnungen, in denen der Sex stattfindet. Tonaufnahmen dienen als Beweismittel. Das Argument der Schwedischen Gesetzgebung: Verletzung der Menschenwürde, auch wenn die Frau ihre Dienste freiwillig anbietet.

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Erstellt:
22.02.2019, 01:00 Uhr
Lesedauer: ca. 3min 41sec
zuletzt aktualisiert: 22.02.2019, 01:00 Uhr

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