Pinselohr am Albtrauf reißt Reh

Luchs „Tello“ geht derzeit in den Wäldern über Mössingen auf Pirsch

Einen einzigen Luchs im Land kann die Forstliche Versuchsanstalt Freiburg derzeit beobachten. Sein Name: Tello. Sein aktueller Wohnsitz: der Albtrauf rund um Mössingen. Gestern riss der für Menschen ungefährliche Jäger ein Reh.

19.07.2016

Von Eike Freese

Fachleute rüsteten den betäubten Luchs Tello im Frühjahr mit einem Sender aus. Bild: FVA

Fachleute rüsteten den betäubten Luchs Tello im Frühjahr mit einem Sender aus. Bild: FVA

Steinlachtal. Er ist jung, etwas faul und verschickt dauernd SMS: Der Luchs „Tello“, Jahrgang 2014, ist das Lieblingstier der Forstlichen Versuchs- und Forschungsanstalt Freiburg. Die FVA-Wissenschaftler verfolgen genau, was die Raubkatze so alles anstellt – denn Tello ist derzeit das einzige Exemplar seiner Art in Baden-Württemberg, das einen Sender am Hals trägt. Die SMS-Daten funkt er automatisch und fast täglich nach Freiburg. „Wir gewinnen so Erkenntnisse über Luchse im Allgemeinen, aber auch über gewisse individuelle Eigenarten“, sagt Micha Herdtfelder, der bei der FVA für „Luchs-Monitoring“ zuständig ist.

Gestern riss Tello eine Rehgeiß, auf einer abgelegenen Wiese in der Umgebung von Mössingen. Jäger hatten das vierjährige Wildtier gefunden und wurden misstrauisch: Diese präzisen Bissspuren am Hals – die deuteten nicht auf einen Hund als Täter hin. Nach ihrem morgendlichen Anruf in Freiburg stieg Fachmann Herdtfelder mit Assistentin Linda Kopaniak flugs in den Luchs-Bus – und war am Mittag am Albtrauf, Spuren sichern.

Für die Fachleute war ziemlich schnell klar, dass ein Luchs das Reh gerissen haben muss: Das zierliche Wildtier wurde offensichtlich beim gemütlichen Äsen überrascht, das zeigte ein kurzer Blick in den Rachen. Luchs-typisch ist das – denn Katzen wie Tello bürden sich nicht gerne die anstrengende Hatz nach aufgescheuchtem Wild auf. Ebenfalls typisch ökonomisch ging Tello beim Töten vor: Ein unangeleinter Hund im Jagdfieber stürze sich meist weitaus wahlloser und brutaler auf das Wild, so Herdtfelder – und das komme gar nicht so selten vor, wie er ergänzt.

Letztes Indiz: Die FVA-Wissenschaftler hatten Tello sowieso in der Gegend vermutet. Die Positions-Daten für den Luchs kommen seit Wochen aus einem gerademal 40 Quadratkilometer messenden Areal zwischen Mössingen, Hechingen und Burladingen. „Hier wird der Luchs auf Nahrungssuche derzeit offenbar gut fündig“, sagt Herdtfelder. Das muss allerdings nicht so bleiben: Übers Jahr gerechnet durchstreift ein Luchs gut und gerne 150 bis 300 Quadratkilometer Natur.

Luchse wie Tello sind in Baden-Württemberg noch immer eine Seltenheit. Das macht sie wertvoll für die Wissenschaft, aber auch zum Thema für Naturschutz, Umweltpolitik – und Hobby-Luchsologen. Deshalb nennt das TAGBLATT nicht den genauen Punkt, an dem sich Tello aufhält. „Wir haben schlechte Erfahrungen mit Luchs-Tourismus gemacht“, sagt Herdtfelder.

Stattdessen knoteten die FVA-Fachleute gestern eine automatische Wildtier-Kamera an einen Stamm im Dickicht am Albtrauf und legten das zuvor gerissene Reh direkt darunter. Sie gehen davon aus, dass Tello nicht auf seine frische Beute verzichten will – und sich noch einmal blicken lässt. Örtliche Jäger prüfen die Kamera künftig und melden geglückte Schnappschüsse nach Freiburg. „Die Wahrscheinlichkeit dafür ist nicht gering“, sagt Micha Herdtfelder: „Wir gehen davon aus, dass sich Tello nur kurz in die Umgebung in ein Tageslager zurückgezogen hat.“

Fall gelöst: Der Täter war der Luchs. Geo-Ökologe Micha Herdtfelder mit Mitarbeiterin Linda Kopaniak vor einer toten Rehgeiß bei Mössingen. Bild: Freese

Fall gelöst: Der Täter war der Luchs. Geo-Ökologe Micha Herdtfelder mit Mitarbeiterin Linda Kopaniak vor einer toten Rehgeiß bei Mössingen. Bild: Freese